Nährboden der Zukunft
Der sorgsame Umgang mit der Ressource Boden ist ein Gewinn für uns. Von Regenwürmern bis Leerstand – werfen wir einen Blick darauf, wie wir mit unserer wertvollsten Ressource umgehen und was gesunder Boden mit uns zu tun hat.
Betriebsam bewegt sich der Traktor über das Grün. Er zieht ein ungewöhnliches Gerät, das nicht zur Ernte dient, sondern zur Direktsaat – einer Einsaat ohne vorherige Bodenbearbeitung. Sät man direkt ins Grüne, wird das Bodenleben ernährt und Humus aufgebaut. Wenn das Erdreich kaum bearbeitet wird, gut durchwurzelt und immer bedeckt ist, schützt dies den Boden gleichzeitig auch vor Erosion, Hitze und Trockenheit – denn ungeschützte Erde kann sich an heißen Sonnentagen auf bis zu 60 °C erwärmen.
„Ich kann einfach keinen ‚nackten Acker‘ mehr sehen“, meint Hans Gnauer, Landwirt in Grüben (Niederösterreich), der am Steuer sitzt. Der Vorstand des Vereins Boden.Leben hat es lange genug in der Praxis ausprobiert, dass er mit Gewissheit sagen kann: Landwirtschaft ohne Bodenbearbeitung funktioniert.
Ein Kosmos im Kleinen
Humus und Bodenleben sind dafür verantwortlich, dass wir Landwirtschaft überhaupt betreiben können. Nur wenige Zentimeter Humus ernähren die Menschheit. Der Aufbau ist ein sehr langsamer Prozess, er dauert Jahrhunderte.
„Daher muss man Boden in drei Dimensionen denken. Viele Menschen denken vor allem an die Fläche und vergessen auf die unterirdische Komponente“, erklärt Dr. Dipl. -Ing. Sigrid Schwarz, Lektorin am Institut für Integrative Naturschutzforschung der BOKU und im Vorstand der Österreichischen Bodenkundlichen Gesellschaft. „Wie in einem riesigen Erdkeller wird in der Tiefe klimawirksamer Kohlenstoff in Form von Humus gebunden. Nährstoffe und Wasser werden gespeichert und eine unglaubliche genetische Vielfalt steht uns und zukünftigen Generationen zur Verfügung.“ Den Boden als lebendigen Organismus wahrzunehmen, ist nicht üblich. Das erfolgreiche Zusammenspiel von Lebewesen zu fördern, macht jedoch erfolgreiche Land- und Forstwirtschaft und auch alles andere Grün um uns aus.
Boden ist Lebensraum. In einer Handvoll Erde findet man mehr Lebewesen, als Menschen auf diesem Planeten. Millionen an Wimperntierchen, Fadenwürmern, Wurzelfüßern, Pilzen und Bakterien tummeln sich auf verschiedenen Etagen, den sogenannten Bodenhorizonten. Wenn Springschwanz, Regenwurm und Co. volle Arbeit leisten, wirkt sich das positiv auf die Pflanzengesundheit aus. Nährstoffe und Wasser werden gespeichert und langsam an die Pflanzen, die darauf wachsen, abgegeben. So wird auch weniger Dünger benötigt.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die FAO, spricht vom gesunden Bodenmikrobiom daher als „Gamechanger“ für die Landwirtschaft, die menschliche Gesundheit und als wichtigstes Element einer nachhaltigen, globalen Ernährungssicherheit.
Wenn Siedlungen wachsen
Böden sind sehr unterschiedlich, es kann nicht jede Feldfrucht und jedes Gemüse überall angebaut werden. Wir Menschen wissen das und siedeln seit jeher bevorzugt dort, wo wir fruchtbares Ackerland vorgefunden haben. Weil Siedlungen mit der Zeit zu Städten und Ballungszentren wachsen, ergeben sich dadurch aber auch Nutzungskonflikte. Was zum wirtschaftlichen Aufschwung beitragen würde, wie zum Beispiel das geplante Bauprojekt einer Computerchipfabrik in Sachsen-Anhalt in Deutschland, würde andererseits extrem fruchtbare Böden versiegeln. In diesem Fall wurde das Projekt abgesagt. 400 Hektar Ackerfläche bleiben erhalten.
Was macht es mit dem Boden, wenn er betreten, befahren, versiegelt und wieder entsiegelt wird? Er wird mit jedem Schritt, mit jedem Gefährt ein wenig mehr verdichtet – Speicherfähigkeiten und Fruchtbarkeit gehen verloren. Diskussionen über den Flächenverbrauch haben daher nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Komponente – denn wenn Boden erst einmal versiegelt ist, dauert es Generationen, um daraus wieder fruchtbares Erdreich zu machen.
Verlieren wir fruchtbare Böden, geht die Biodiversität zurück, verändert sich die Artenzusammensetzung und steigt das Hochwasserrisiko, was durch die klimatischen Veränderungen zusätzlich verschärft wird. Eine Untersuchung der World Weather Attribution zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für Naturgefahren steigt. Im Vergleich zu einem um 1,2 Grad kühleren Planeten ist ein hundertjähriges Hochwasser heute bis zu 9-mal wahrscheinlicher.
Ein Archiv voller Überraschungen
Wenn große Mengen Erdreich leichthändig von links nach rechts verschoben werden, zieht das sofort Menschen an. Vor allem Kinder staunen beim Anblick mächtiger Maschinen hinter hohen Bauzäunen. Spätestens wenn man für ein Bauprojekt in die Tiefe gräbt, zeichnet sich hier aber auch die Geschichte ab. Archäologische Ausgrabungen zeugen von untergegangenen Kulturen, vergessenen Reichen und geben uns wichtige Hinweise auf die Entwicklung der Erde und des Lebens. Bei Grabungen werden auch lebenswichtige Ressourcen entdeckt: Die Stadt Wien hat in Aspern in 3.000 Meter Tiefe ein Thermalwasserreservoir entdeckt, mit dem sie bis 2030 bis zu 125.000 Haushalte mittels Fernwärme versorgen kann.
Boden ist eine knappe Ressource. Unwiederbringlich, nicht zu ersetzen und daher unermesslich wertvoll. Gleichzeitig bestimmt eine Vielzahl von politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Faktoren die Nutzung von Grund und Boden. Die 83.884 Quadratkilometer unserer Staatsfläche sind durch die Widmung als Bauland, Grünland sowie Sonder- und Verkehrsflächen klar aufgeteilt. Da Wald, Gewässer und unsere Alpen einen Großteil der Landesoberfläche ausmachen, eignen sich nur 36 Prozent als Dauersiedlungsraum – also für Bebauung oder Landwirtschaft. 5.900 km² dieser produktiven Böden – 19 % des Dauersiedlungsraumes – nutzten wir 2024 bereits abseits der Landwirtschaft also zum Beispiel als Verkehrsfläche oder für Gebäude.
Ernährungsouveränität erhalten
Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) hat berechnet, dass durch den Verlust von Ackerflächen – zum Beispiel durch Umwidmung als Bauland oder der Nutzung als Verkehrsfläche – jährlich Nahrungsmittel für mehrere Zehntausend Personen entfallen.
Der Umgang mit dem bereits existierenden Bestand ist daher eine Schlüsselfrage. Laut Architekturzentrum Wien gibt es in Österreich bereits ausreichend Wohnraum und auch das Umweltbundesamt zählt unglaubliche 40.000 Hektar an Gebäudeflächen, die nicht genutzt werden. Würden wir diese Leerstände entwickeln, könnten wir die Versiegelung von neuen Ackerflächen vermeiden und uns weniger abhängig von Lebensmittelimporten machen.
Der Boden von morgen
Entsiegeln statt versiegeln, Böden lebendig halten statt zupflastern – darin liegt unsere beste Vorbereitung auf klimatische Veränderungen und Wandel überhaupt. Artenvielfalt über und unter der Erde schafft die Grundlage für ein stabiles Morgen. Hans Gnauer ist davon überzeugt. Wenn wir unsere Böden pflegen und stärken, können sie das leisten, was wir am dringendsten brauchen: Nahrung, Kühlung, Lebensraum und Vielfalt. Auch wenn die Bearbeitungsverfahren mehr Geduld brauchen und die technischen Anforderungen höher sind: Ein lebendiger Boden ist ein guter Grund – er ist Speicher, Schutzraum und Quelle. Der richtige Umgang bereitet den Boden für die Zukunft kommender Generationen.
Alles entsiegeln?
Boden ist eine begrenzte Ressource. Bebauung, Versiegelung und Übernutzung wirken sich unmittelbar auf Wasserhaushalt und Fruchtbarkeit aus. Selbst wenn entsiegelt wird, dauert es Jahrhunderte, bis er seine Funktionen wieder voll entfalten kann.
Doch es gibt Situationen, in denen eine Entsiegelung nicht sinnvoll ist, wie bei Verkehrsflächen mit hoher Nutzung, bei Industrie- und Gewerbeflächen, bei denen Boden und Grundwasser vor Gefahrstoffen geschützt werden müssen, oder bei kritischer Infrastruktur.
Ein besonderes Beispiel ist auch der Domplatz in St. Pölten, denn unter ihm lagern Fundstücke von der Römerzeit bis in die Neuzeit. Nach umfangreichen Ausgrabungen wurde der historisch relevante, denkmalgeschützte Platz wieder versiegelt. Zum einen, um den Ortscharakter zu erhalten, zum anderen, damit er weiterhin für Wochenmärkte und Großveranstaltungen genutzt werden kann, ohne das Archiv im Boden zu gefährden.
Während bestimmte Flächen also versiegelt bleiben werden, haben wir es an anderen Orten selbst in der Hand – Rasengittersteine, sickerfähiges Pflaster, Schotterrasen sowie Mulch- und Kieswege ermöglichen dem Boden, seine natürlichen Aufgaben zu erfüllen – lies deshalb ab Seite 10, welche Gemeinden mit guten Ideen vorangehen, und finde ab Seite 20 heraus, was du selbst tun kannst.
Caroline Goldsteiner
WEM GEHÖRT DER BODEN?
Knappe Ressourcen, darunter auch Boden, sind seit jeher ein Grund für Konflikte. Land ist begrenzt, die Nutzungsansprüche vielfältig und die Rechtssysteme verhandelbar. Wer Boden verteilt, entscheidet damit auch über Macht, Leben und Zukunft.
Gemeinden, Land und Bund halten Anteile des Bodens, in Österreich ist er jedoch überwiegend in Privateigentum, also in der Hand von Kirche, Unternehmen und Privatpersonen. Auch Vereine besitzen Flächen: Der Österreichische Alpenverein ist im Besitz von 50 Berggipfeln und einem Großteil des Nationalparks Hohe Tauern. Nicht nur Berge, sondern auch Seen sind teils in privater Hand. Ein Beispiel ist der Mondsee, der im Sommer 2025 in die Schlagzeilen geriet, als Pachtverträge beendet wurden.
Grundeigentum reicht theoretisch bis zum Erdkern, die Bebauungstiefe bestimmt die Gemeinde. Bestimmte Rohstoffe jedoch gehören dem Bund, wie zum Beispiel Steinsalz oder sogenannte bergfreie mineralische Rohstoffe wie Kohle, Eisen und Gips.