zum Inhalt springen

Mikroorganismen gegen Fungizide

Pestizide lassen sich nahezu überall in der Umwelt nachweisen - neue biobasierte Lösungsansätze könnten Böden und Lebensmittel, die mit Fungiziden belastet sind, reinigen.

Eine Frau in beigem Blazer und gemusterter Bluse steht an einem Holzzaun vor einem Backsteingebäude.
Dr. Katharina Kraxberger, Leiterin Forschung & Entwicklung Multikraft Foto: Multikraft

Wetterextreme stellen die Landwirtschaft zunehmend vor Herausforderungen – nicht zuletzt durch Pilzkrankheiten in wassergesättigten Böden. In der Landwirtschaft reagierte man darauf insbesondere mit Fungiziden, die meist den Wirkstoff Azoxystrobin enthalten. Da Wetterextreme nicht abreißen, wird auch der Einsatz nicht weniger werden. Dabei gilt der Wirkstoff als langlebig und steht im Verdacht, die Umwelt, Biodiversität und Gesundheit zu beeinflussen. Jetzt lassen neueste Studienergebnisse aufhorchen: Die Mikrobiologin Katharina Kraxberger zeigt, dass spezielle Mikroorganismen, gezielt angewendet, Fungizide abbauen können.

Pestizide lassen sich nahezu überall in der Umwelt nachweisen. Laut aktuellen Berichten der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) befinden sich Rückstände verschiedener Wirkstoffe in Lebensmitteln, in Wasser und Böden. Sie kontaminieren ganze Ökosysteme und verursachen Resistenzen im Boden. Die Folge: potenzielle Gesundheitsrisiken wie Krebs, Entwicklungsstörungen und Nervenerkrankungen – sowie massiver Biodiversitätsverlust. Und dennoch gibt es aktuell keine Lösungen, diese schneller in der Umwelt abzubauen. Dabei hat sich der Pestizideinsatz seit 1990 weltweit verdoppelt und selbst Rückstände früherer Jahrzehnte sind bis heute in heimischen Böden nachweisbar. „Wenn wir weitermachen, wie bisher, ist der Großteil unserer Böden in zirka zehn Jahren unbenutzbar. Gepaart mit Wetterextremen könnten die Erträge in Österreich um knapp 50 Prozennt zurückgehen – das betrifft vor allem fruchtbare Böden, wie aktuelle Prognosen zeigen“, Katharina Kraxberger, Mikrobiologin und Leiterin Forschung & Entwicklung bei Multikraft. Kraxberger widmete sich dieser Herausforderung deshalb in ihrer Doktorarbeit zum Thema „Fungizid-abbauende Bakterien: von der Isolation zur Produktentwicklung“ (Englisch: „Fungicide-degrading bacteria: From isolation to product development“). Ihre Forschung erfolgte gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur Wien, dem Auftraggeber Multikraft, Projektpartner Austrian Institute of Technology (Competence Unit Bioresources) sowie dem Fördergeber FFG.

Forschung zeigt: entdeckte Mikroorganismenstämme besitzen Abbaufähigkeiten von Azoxystrobin

Die Kontroversen bei diesem Thema sind groß: In der EU sind aktuell 450 aktive Wirkstoffe von Pestiziden zugelassen, gleichzeitig herrscht ein großes Umdenken in der Gesellschaft. „Supermärkte und Lebensmittelproduzenten lehnen pestizidbelastete Waren immer häufiger ab, da ihnen die Konsument*innen Druck machen. Landwirt*innen brauchen aber Alternativen, die funktionieren, um ihren Pestizideinsatz zu reduzieren. Hier ist also nicht die Bäuerin oder der Bauer am Zug, auch wenn es in ihrem Sinne und der ihrer Äcker und Tiere ist, sondern die Forschung“, erklärt Kraxberger. Eines der am häufigsten eingesetzten Fungizide in der Landwirtschaft ist Azoxystrobin. Der Abbau des Wirkstoffs ist aber kaum erforscht. Das Fungizid wirkt, in dem es in die ATP-Produktion von Pilzen eingreift und diese absterben lässt. Es steht in Verdacht, Umwelt, Biodiversität und Gesundheit negativ zu beeinflussen. Gleichzeitig gilt es mit einer Halbwertszeit bis zu 300 Tagen als besonders langlebig. Dies sah Kraxberger als dringenden Anlass, nach einer Lösung zu forschen.

Eine Illustration wie Pflanzen mit Rückstenden mit Mikroorganismen besprüht werden und Azoxystrobin 71 % effektiver abbauen.
Bild: Lara Langner

„Azoxystrobin greift Pilze und menschliche Zellen an – und trotzdem wird das kaum beachtet.“

Rund 25 Prozent des weltweiten Fungizid-Einsatzes fallen in die Gruppe, zu der auch Azoxystrobin gehört – ob bei Obst, Gemüse oder Getreide. Das verursacht einen besonders großen Zugzwang. „Ich habe mich einem Problem gewidmet, das den meisten gar nicht bewusst ist: Die Wirkstoffe, die heute in unserer Umwelt, in den Böden und im Wasser, schlummern, sind immer noch jene, die oft schon vor Jahrzehnten ausgebracht wurden. Darunter äußerst bedenkliche, wie Azoxystrobin, die mit ihrer Wirkungsweise nicht nur Pilze, sondern auch menschliche Zellen und andere Organismen angreifen können. Und trotzdem wird das kaum beachtet“, erklärt Kraxberger. „Es gibt Probleme, denen man in der intensiven Produktion nicht Herr wird. Hier helfen weder Pestizide noch Dünger, da braucht es einfach Biologie. Sind die biologischen Prozesse dahinter erforscht, könnten auch bereits aufgegebene Flächen wieder aufgebaut werden“, ergänzt Lukas Hader, Geschäftsführer von Multikraft.

Damit gewinnen Ansätze, die auf natürliche Abbauprozesse basieren, zunehmend an Bedeutung. Kraxberger hat ein Modell erstellt, das aufzeigt, wie ein potenzieller Abbau dieses Fungizids mittels Mikroorganismen stattfinden kann. Mikroorganismen deshalb, weil sie von Natur aus vielfältige Funktionen, wie den Abbau organischer und anorganischer Substanzen oder Verbesserung der Nährstoffverfügbarkeit, in Böden und auf Pflanzen haben. Diese kommen der Landwirtschaft zugute. Das unterstreicht auch Angela Sessitsch, Head of Competence Unit Bioresources des AIT und Betreuerin der Dissertation an der BOKU Wien und ergänzt: „Die mikrobiologische Forschung an Bakterien, die in Verbindung mit Pflanzen vorkommen, zeigt großes Potenzial zur Minderung von Umwelt- und Gesundheitsrisiken. Zudem können sie positive Eigenschaften zur Erhöhung der Widerstandskraft von Pflanzen und deren Schutz gegen Krankheiten fördern. Solche Erkenntnisse sind entscheidend für eine künftig nachhaltigere und umweltfreundlichere Landwirtschaft.“

Entdeckte Bakterienstämme: Azoxystrobin-Abbauende sowie pflanzenwachstumsfördernde Effekte

Bei ihrer Arbeit identifizierte Katharina Kraxberger geeignete Bakterienstämme, die nicht nur das Fungizid abbauen, sondern das Pflanzenwachstum verbessern können. Die effizientesten Stämme zeigten dabei eine Abbauleistung von 29 bis 71 Prozent. Zudem brachte sie Protokolle hervor, die mit weiterer Forschung eine Grundlage für praktische Anwendungen bilden. Nun müsse laut Kraxberger weitere, praxisorientierte Forschung in der Produktentwicklung stattfinden. Sessitsch ergänzt: „Diese Arbeit ist besonders spannend, da sie die ideale Verbindung zwischen Grundlagenforschung und praktischer Anwendung darstellt. In Zusammenarbeit mit unserem Industriepartner Multikraft konnten wir nicht nur mikrobiologische Fragen auf wissenschaftlichem Niveau bearbeiten, sondern auch erste Schritte in Richtung Produktentwicklung gehen.“

Appell an die Forschung: „Wir stehen erst am Anfang“

„Ziel ist es, in Zukunft ein effektives, umweltschonendes und sicheres Produkt zu haben, das Landwirt*innen eine echte Alternative bietet. Wir stehen aber erst am Anfang. Nun ist die Wissenschaft gefordert, über die Grundlagenforschung hinauszugehen und die Produktentwicklung einzubeziehen. Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, gegen langlebige Schadstoffe vorzugehen, wenn man sich damit auseinandersetzt“, appelliert Kraxberger an Forschungskolleg*innen. Hader ergänzt: „Der Wandel hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft braucht Innovation. Die Wissenschaft liefert mit der gezielten Nutzung mikrobieller Helfer erste konkrete Ansätze. Die Zeit drängt – denn die Altlasten jahrzehntelanger Pestizidanwendung sind allgegenwärtig und wirken auch ohne zusätzlichen Einsatz weiter. Die Forschung ist gefragt, diesen Stoffen den Kampf anzusagen – am besten mit der Kraft der Natur.“

Es gehe laut Hader mittlerweile nicht mehr nur darum, die Äcker für die nächsten Generationen gesund zu erhalten, sondern noch für die eigene – die Bodenunfruchtbarkeit schreitet immer schneller voran. Unter anderem könnten mit Hilfe von biologischen Prozessen auch bereits unfruchtbare Böden wieder fruchtbar gemacht werden. „Das Allheilmittel ist nicht, pestizid-abbauende Produkte zu entwickeln und weiterzumachen, wie bisher, sondern die Landwirtschaft so zu gestalten, dass wir Pestizide in den aktuellen Mengen gar nicht mehr brauchen, sondern nur gezielt anwenden müssen“, so Kraxberger abschließend.

Eine Illustration stellt belastete Böden mit wenig Biodiversität und dem Verlust frauchtbaren Bodens (bis zu -59 % der Erträge der nächsten 10 Jahre) dem regenerierten Boden gegenüber.
Bild: Lara Langner