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Vom Asphalt zum Aufatmen

Best-Practice-Beispiele aus Niederösterreich machen vor, wie Entsiegelung gehen kann: Wo Beton war, wächst jetzt Begegnung.

Collage aus drei Bildern: Blick aus der Vogelperspektive auf einen Park mit abwechselnd Grün aus Wiese, Büschen, Bäumen und schmalen Gehwegen sowie Spielplatzflächen. Darunter eine Frau beim Baden in einem natürlichen Fluss. Rechts daneben der Blick in ei
Fotos: Angie Lopez; Felipe Santana; Sergey Leont

Bäume statt Beton, Wiese statt Asphalt: Dort, wo es grüner wird, fühlen sich Menschen wohler. Aber nicht nur das. Entsiegelung hat eine Reihe an positiven Effekten. Diese zeigen die folgenden Best-Practice-Beispiele aus Niederösterreich – sie erzählen von Lebensqualität, Klimawandelanpassung und Begegnung, vom Mitbestimmen und Gestalten sowie von Hochwasserschutz, Biodiversität und Naherholung. Gefördert wurden die Projekte unter anderem mit dem Blau-Gelben Bodenbonus des Landes Niederösterreich. Gemeinden, Vereine und Gemeinschaften bekommen bei Entsiegelungs- und Schwammstadtprojekten durch den Bonus bis zu fünfzig Prozent der Kosten gefördert.


WIENER NEUDORF
DER LINDHEIMPLATZ

Der Lindheimplatz in Wiener Neudorf war früher eine triste Asphaltwüste – heute kann man dort zwischen bienenfreundlicher Wiese und Bahnhof Kaffee trinken oder auf der Parkbank den Wasserfontänen des Brunnens zuschauen.

Blick von oben auf einen großteils zubetonierten Platz zwischen Gebäuden und Straßen.
Der Lindheimplatz vor der Umgestaltung. Foto: Marktgemeinde Wiener Neudorf

Immerhin, auch früher hatten Emin Koc und seine Mitarbeiter*innen etwas Grün im Blick, wenn sie ihren Kund*innen Hühnerkebab, Salamipizza oder Pide mit Schafskäse über die Verkaufstheke reichten: Eine Thujenhecke war akkurat vor „Kebab&Pizza House Koc“ gepflanzt. Abgesehen davon gab es am Lindheimplatz in Wiener Neudorf aber kaum Pflanzen. Der Platz, wo Emin Koc vor zwanzig Jahren einen ehemaligen Würstelstand in Gehweite zum Bahnhof gekauft hatte, glich einer Asphaltwüste: diagonal von einer Straße durchquert, mit einer großen Parkfläche und einem kleinen Häuschen, in dem sich zwei-, dreimal im Jahr der Brieftaubenzüchter-Verein versammelte. In der Umgebung waren zwar zu den Stoßzeiten viele Pendler*innen unterwegs, der Platz selbst aber war kein Ort, an dem man sich längere Zeit aufhielt. Keine schattenspendenden Bäume, keine einladenden Parkbänke, nachts keine Beleuchtung. „Ein Bahnhofsplatz wie aus den 1960er oder 1970er Jahren“, sagt Bürgermeister Herbert Janschka. Vergangenes Jahr änderte sich das. Die Gemeinde Wiener Neudorf gestaltete den Lindheimplatz völlig um.

Der Platz ist kaum wiederzuerkennen: zwei kleinere Gebäude mit Dachbegrünung, mehrere Elemte mit Wiese und Bäumen über den Platz verteilt, im Zentrum gepflastert aber mit Wasserfontänen zur Abkühlung im Sommer.
Aus Asphaltwüste wird Ortsmitte: Die Entsiegelung am Lindheimplatz schafft Raum zum Verweilen. Foto: Marktgemeinde Wiener Neudorf

Wasserfontänen kühlen

Einige Jahre hatte man in Wiener Neudorf schon über eine Neugestaltung nachgedacht, die die Bahnhofumgebung attraktiver machen und an die veränderten Bedingungen durch den Klimawandel anpassen sollte. Schließlich kaufte die Gemeinde vor zwei Jahren jenen Teil des Platzes, der ihr damals nicht gehörte: Die Fläche beim „Kebab&Pizza House Koc“. Dann fuhr schweres Gerät auf. 2.500 Quadratmeter Asphalt und 350 Quadratmeter Gebäudefläche wurden entfernt, auch der Stand von Emin Koc wurde abgerissen. Der gesamte Platz wurde völlig neu strukturiert und umgestaltet: Im Zentrum plätschert heute ein barrierefreier Brunnen. Seine Wasserfontänen kühlen im Sommer die direkte Umgebung – und die Menschen, die an Hitzetagen eine Abkühlung brauchen. Kinder zum Beispiel, die zwischen den Fontänen spielen. An zwei Samstagen im Monat wird der Brunnen abgestellt und zugedeckt, um Platz für einen Bauernmarkt zu schaffen – der bietet nicht nur Lebensmittel von den Bauern und Bäuerinnen aus der Region, sondern soll der Ortsidentifikation dienen.

Ortsmitte schaffen

Überhaupt war das von Anfang an eines der Hauptmotive für die Neugestaltung des Lindheimplatzes: einen Ort zu schaffen, an dem sich Bewohner*innen – wenn sie wollen – auch ohne Konsumzwang treffen können. „Wiener Neudorf hatte keine richtige Ortsmitte“, sagt Bürgermeister Janschka. Der neue Lindheimplatz sollte zu einer Art Ortskern werden in einer Gemeinde, die sich entlang der Bundesstraße entwickelt hat. Für Kinder wurde ein Spielplatz errichtet, auch auf den Rasenflächen darf gespielt werden. Es gibt ein Stück bienenfreundliche Wiese, Weinstöcke grenzen den begrünten Teil hin zur Parkplatzfläche ab. Auf dem Areal wurden insgesamt 32 Bäume gepflanzt. Hitzeresistente Arten, die auch bei steigenden Temperaturen in Folge des Klimawandels gedeihen. Wie rasant die Erderwärmung voranschreitet und was das für die Vegetation bedeutet, zeigt sich am Baumbestand in Wiener Neudorf: „Wir haben in ganz Wiener Neudorf in den vergangenen Jahren über hundert Bäume angepflanzt“, sagt Fritz Hudribusch, der Leiter des Bauamts. „Den Bergahorn, für den wir uns noch vor zehn Jahren entschieden haben, kann man heute nicht mehr setzen – dafür ist es mittlerweile zu heiß.“

Wasser für Bäume auch in Dürreperioden

Am Lindheimplatz setzte man das Schwammstadtprinzip um: Der Wurzelbereich der Bäume wurde mit Schotterkörpern angereichert, die verhindern, dass das Regenwasser sofort versickert. Die Lufträume im Schotter speichern das Wasser und versorgen den Baum auch während Dürreperioden – ein Schwamm, an dem sich die Wurzeln laben können, auch wenn der Regen ausbleibt. Die Parkplatzflächen am Platz wurden verkleinert. Das habe nicht allen gefallen, erzählt Hudribusch. „Aber es gibt in der Umgebung Alternativen.“ Und einige Parkmöglichkeiten bietet nach wie vor auch der Lindheimplatz. Was sich noch verändert hat: Die Parkplätze wurden mit versickerungsoffenen Steinen und Rasengittersteinen gepflastert. Fahrradboxen, Scooterparkplätze und ein verbreiteter Zugang zur Badner Bahn machen es Pendler*innen aber ohnehin leichter, das Auto daheim stehen zu lassen und auf andere Verkehrsmittel umzusteigen.
Und wo kaufen die früheren Kund*innen von Emin Koc ein, seit sein Stand zugunsten der Neugestaltung des Platzes dem Erdboden gleichgemacht wurde? „Kebab&Pizza House Koc“ ist in ein neu errichtetes Gebäude direkt am Brunnen umgezogen. Das neue Lokal ist modern, geräumig und bietet mehr Sitzgelegenheiten als der frühere Stand. Schräg gegenüber befindet sich ein neues Café. Emin Koc ist mit der Umgestaltung des Platzes zufrieden. „Die Leute halten sich hier viel stärker auf“, sagt er. Dem Geschäft sei das zuträglich: „Unsere früheren Kunden sind uns treu. Und viele andere sind dazugekommen.“


AMSTETTEN
GRÖSSTE SCHWAMMSTADT NIEDERÖSTERREICHS

Den Blau-Gelben Bodenbonus nutzte auch Amstetten, wo in den vergangenen Jahren das Stadtzentrum umgestaltet und begrünt wurde. Im Vorfeld hat die Gemeinde die Bewohner*innen nach ihren Wünschen gefragt. Schnell wurde klar: Das Mikroklima im Zentrum sollte verbessert werden, sodass man sich dort auch bei Hitze gut aufhalten kann.

Blick auf einen Platz in der Stadt: außer ein paar schmächtigen Bäumchen gibt es hier nur Häuser und Autos auf Betonpflaster und Asphalt. Der Platz ist menschenleer. Links im Bild eine Litfasssäule mit Werbeplakat für eine weltbekannte Softdrinkmarke.
Der Hauptplatz in Amstetten vor der Umgestaltung. Foto: Stadtgemeinde Amstetten

Die Bewohner*innen Amstettens wünschten sich Wasser, mehr Schatten und weniger Verkehr. Heute schränkt eine Begegnungszone den Verkehr ein, ein Spielbrunnen sorgt für Abkühlung und über siebzig neue Bäume spenden Schatten. Gepflanzt wurden klimafitte Hochstammbäume, die eine flexible Nutzung des Hauptplatzes weiterhin ermöglichen, darunter Feldahorn, Vogelkirsche und Ulme. Dabei setzte man wie in Wiener Neudorf auf das Schwammstadtprinzip: So bekommen die Bäume auch im urbanen, dicht bebauten Gebiet ausreichend Wasser, außerdem reduzieren die Schwammstadtkörper im Untergrund die Gefahr von Überschwemmungen und der Regenwasserkanal wird entlastet.

Blick auf einen Hauptplatz: zwischen Bäumen gibt es Blumenbeete und Wiesenelemente mit Sitzgelegenheiten und Fahrradständern. Über allem hängen Lampions und andere sommerliche Dekoration. Auch der Schanigarten eines an
Derselbe Platz? Kaum wiederzuerkennen! Foto: Stadtgemeinde Amstetten

Heute hat das Stadtzentrum von Amstetten nicht nur insgesamt hundert Bäume, sondern ist auch die größte Schwammstadt in Niederösterreich, die eine Niederschlagsmenge von 370.000 Litern speichern kann.


BAD VÖSLAU
PFLANZ MICH!

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Ausgezeichnet: Das Pflanzkonzept des Schlossplatzes folgt einer nachhaltigen, ökologischen und klimaangepassten Gestaltung. Fotos: YEWO Landscapes/Kurt Hörbst
Blick auf einen gepflasterten Stadtplatz mit Grünelementen. Im Bildvordergrund blühen hochstehende Wiesenblumen hinter einer Parkbank, ein junger Baum mit Stütze wächst auch dazwischen.
Foto: Stadtgemeinde Bad Vöslau

Viel Asphalt musste – gefördert durch den Bodenbonus – auch in Bad Vöslau weichen. 83 Prozent des Schlossplatzes im Zentrum waren früher asphaltiert. Seit dieser neu gestaltet wurde, sind es nur noch 16 Prozent.

Der Asphalt wurde durch durchlässige Pflasterflächen und offene Grünflächen ersetzt. Und die neu gepflanzten Bäume? Verankern ihre Wurzeln auch in Bad Vöslau im speicherfähigen Substrat der Schwammstadt. Und werden hoffentlich auch für zukünftige hitzegeplagte Generationen als natürliche Klimaanlage für Abkühlung sorgen.

Sandra Lobnig