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Ein Platz für Ideen

Wie der Nibelungenplatz in Zukunft aussehen soll? Das haben die Bürger*innen der Stadt Tulln durch einen umfangreichen Beteiligungsprozess mitentschieden – und „Platz gemacht“!

Blick in einen Park mit mehreren Ebenen und grünen Flächen mit verschiedenstem Bewuchs. Zwischen Rasen, Blumenbeeten, Büschen und Bäumen spazieren Menschen, fahren Rad oder sitzen auf Bänken oder in der Wiese.
Der Nibelungenplatz liegt rund um das Tullner Rathaus, zwischen der gärtnerisch neu gestalteten Donaulände und dem Hauptplatz. Foto: Stadtgemeinde Tulln

Wie kann aus einem Platz, der einzig als Abstellfläche für 220 Autos dient, ein multifunktionaler Platz der Begegnung und gleichzeitig nachhaltiger Naturraum werden? Und wie überzeugt man Bürger*innen davon, dass dies einen positiven Effekt auf ihre Stadt und sie selbst haben wird? Diese Fragen standen am Anfang des Beteiligungsprozesses, den Tulln vor fünf Jahren startete, um den zentral gelegenen Nibelungenplatz zu revitalisieren.

„Entsiegelung hat eine Achillesferse“

Oft können Bürger*innen nicht nachvollziehen, warum an einer Stelle kostenintensiv entsiegelt wird, während an anderer Stelle große Bauprojekte vorangetrieben werden, die wiederum zu Versiegelung führen. Wenn das Verständnis der Bevölkerung fehlt, kann das die Achillesferse der Projekte sein.

Ein Mann mittleren Alters im blauen Anzug mit weißem Hemd und blauer Krawatte. Er trägt die an den Schläfen angegrauten Haare kurz geschnitten und eine Brille.
Peter Eisenschenk, Bürgermeister der Stadtgemeinde Tulln. Foto: Daniel Zangerl
„Die Entscheidung, die Bürger*innen von vornherein in die Entsiegelung des Nibelungenplatzes miteinzubeziehen und über alle Schritte zu informieren, hat deren Akzeptanz deutlich erhöht“, sagt Peter Eisenschenk, Bürgermeister der Stadt Tulln.

Der Nibelungenplatz liegt rund um das Tullner Rathaus, zwischen der gärtnerisch neu gestalteten Donaulände und dem Hauptplatz. 2020 stellte Eisenschenk seine Idee im Gemeinderat vor, dem Platz, der bisher nur für Autos da war und 90 Prozent des Regenwassers vom Versickern abhielt, einen neuen Zweck zu geben. Die Opposition war skeptisch und forderte eine Volksbefragung – man einigte sich, den Bürger*innen bis Ende 2021 drei Varianten der Umgestaltung zur Auswahl zu stellen. Bis dahin gab es noch einiges zu tun.

Ideen werden gesammelt

Unter dem Motto „Gemeinsam Platz machen“ startete die erste Phase des Bürger*innendialogs: Eine Projektzeitung informierte alle Haushalte Tullns über das Vorhaben und lud ein, auf einer Karte Wünsche an das Rathaus zu schicken. Auch über Online-Fragebögen und das „Dialograd“, das verschiedene Plätze in Tulln abfuhr, wurden Ideen gesammelt und bei einer Freiluftausstellung am Hauptplatz präsentiert.

„Die Tullner*innen wissen, dass in ihrer Stadt der Garten und die Natur wichtige Themen sind, und das merkt man auch an den Rückmeldungen“, sagt Cornelia Hebenstreit, Projektleiterin und Abteilungsleiterin für Straßen und Verkehr der Stadt Tulln. Die eingereichten Ideen gingen von „möglichst naturnaher Gestaltung“ und „viel Holz in den Möbeln“ über „Handy- und E-Ladestation“ und „Schließfächer“ bis zu utopischeren Vorschlägen, wie einem Leuchtturm oder einem Flying Fox vom Rathaus über die Donau. Im Endeffekt wurden etwas mehr als 50 Prozent der Vorschläge tatsächlich umgesetzt. Kritische Stimmen wollten nicht auf Parkplätze verzichten – denn dies würde auch den Handel schädigen. Eine Umfrage unter den bisherigen Parkplatz-Nutzer*innen zeigte jedoch, dass sie in erster Linie in den umgebenden Amtsgebäuden arbeiteten, also keine Kund*innen waren. Für sie wurden mehr Parkplätze der umliegenden Parkgaragen einem bestehenden günstigen Tarifmodell zugeordnet.

Alle Stakeholder werden mit eingebunden

Auf die Ideensammlung folgte eine Perspektivenwerkstatt. Stakeholder, wie „Die Garten Tulln“ oder Wirtschaftstreibende aus der Innenstadt, gaben Feedback zu den gesammelten Ideen. Drei Planungsbüros hörten zu und entwickelten anschließend Skizzen für die Neugestaltung. 

Eine Frau in etwa ihren Dreißigern steht mit verschränkten Armen vor einem hellen Vorhang und lächelt. Sie trägt einen olivgrünen Blazer über einem beigen Shirt, ihr krauses Haar hat sie nach hinten gebunden und ihre Brille hat einen bernsteinfarbenen Kun
Cornelia Hebenstreit, Projektleiterin und Abteilungsleiterin für Straßen und Verkehr der Stadt Tulln. Foto: Stadtgemeinde Tulln
„Das Spannende für uns war, dass diese direkt der Bevölkerung gezeigt wurden, ohne dass die Stadt vorher ja oder nein dazu sagen konnte. Knapp 200 Bürger*innen gaben beim ersten Stadtforum direkt Feedback, das dann wiederum in die Entwicklung miteingebunden wurde“, erklärt Hebenstreit. Drei Varianten – eine kleine, eine mittlere und eine große – wurden ausgearbeitet, beim zweiten Stadtforum präsentiert und bei der Volksbefragung am 5. Dezember 2021 vorgelegt. 60 Prozent entschieden sich für die große Variante und eine komplette Engsiegelung des Platzes, der zweieinhalb Jahre später offiziell eröffnet wurde.

Das Konzept geht auf

 „Die Qualität öffentlicher Plätze bestimmt das Zusammenleben und der Nibelungenplatz nimmt genau diese Idee auf“, sagt Bürgermeister Eisenschenk und tatsächlich kommen die Leute dort zusammen. Geht man rund um das Rathaus in Richtung Donau, ist es kaum mehr vorstellbar, dass hier vor einigen Jahren noch ein riesiger Parkplatz das Bild bestimmte. Stauden blühen in den verschiedensten Farben, Kinderwägen werden durch den Garten geschoben, eine größere Gruppe stellt die mobilen Tische zusammen, um gemeinsam die Mittagspause zu verbringen. Auch das Mobilitätsverhalten hat sich vom Auto aufs Rad verlagert. Viele Bürger*innen finden ihre Ideen verwirklicht – gemeinsam hat man Platz gemacht.

Sonja Kittel

Die Timeline des Bürger*innenbeteiligungsprozess „Gemeinsam Platz machen“ grafisch aufgeschlüsselt.
Illustration: liga.co.at; iStock/khvost
  1. Frühjahr/Sommer 2021: Grundlagen erheben, Rahmenbedingungen klären
  2. April/Juni 2021: 1.000 Ideen via Dialogkarte, Online-Fragebogen und Dialograd gesammelt
  3. Ende Juli/Anfang August 2021: Freiluftausstellung – Ideen werden präsentiert
  4. August 2021: Perspektivenwerkstatt – Stakeholder geben Input, Planungsbüros entwerfen erste Skizzen
  5. August 2021: Stadtforum #1: Die Skizzen werden Bürger*innen präsentiert und Feedback eingeholt
  6. Spätsommer/Herbst 2021: Drei Varianten werden erarbeitet
  7. Herbst 2021: Stadtforum #2: Die Varianten werden Bürger*innen präsentiert
  8. 5. Dezember 2021: Volksbefragung
  9. Frühling/Sommer 2022: Landschaftsarchitekturwettbewerb – eine Fachjury wählt aus fünf Entwürfen für die neue Begrünung des Nibelungenplatzes
  10. September 2022: Stadtforum #3 – das endgültige Konzept wird präsentiert

WEBTIPPS

Aktuelles vom Nibelungenplatz: www.tulln.at/erleben/stadt-kultur/nibelungenplatz

Infoseite „Gemeinsam Platz machen“: www.tulln.at/aktuelles/nibelungenplatz-beteiligungs-und-planungsprozess