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Österreich ist meine Heimat

Ein Gespräch mit einer sehr netten Frau, Nesrin Jebraili, aus dem Iran über Flucht, Heimat, Bildung, Arbeit und ihr Gefühl, in Österreich zu leben.

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Nesrin Jebraili und Asya in der Diakonie-Flüchtlingsdienst Privat, Nesrin Jebraili und Asya in der Diakonie-Flüchtlingsdienst

LEBENSART: Frau Jebraili, können Sie  sich  bitte vorstellen? Wer Sie sind?

NESRIN JEBRAILI:  Ich bin Nesrin, 35 Jahre alt und  komme aus dem Iran, bin  verheiratet und habe zwei Kinder,  einen Sohn  und  eine Tochter. Mein Sohn ist  10 und meine Tochter 5 Jahre alt. Ich bin seit Dezember 2009 in Österreich. Meine Muttersprache ist Persisch, ich spreche noch Deutsch und Englisch.

Welche Ausbildung  bringen Sie aus  Ihrem Herkunftsland mit?

Ich habe im Iran Mathematik studiert  und mit dem Master für angewandte Mathematik  abgeschlossen.

Haben Sie in diesem Bereich im Iran  gearbeitet?

Ich habe neben dem Studium Nachhilfe in Mathematik und  Englisch gegeben, nebenbei noch viele Kurse gemacht als Hobbys.  Zum Beispiel habe ich einen Kurs für  Frisörinnen  und einen Aerobik Trainer Kurs  für Anfänger und Fortgeschrittene gemacht. In den Ferien  wollte  ich immer irgendwas anders machen als Mathematik.Mein Mann hatte im Iran ein Elektro-Geschäft, ich hab ihm bei der Abrechnungen  auch geholfen.

Wie war am Anfang  für Sie  in Österreich? Was war besonders schwer? Was war leicht?

Eigentlich war nichts einfach,  es war alles ganz schwierig,  natürlich, weil ich die Sprache nicht konnte, nur ein bisschen englisch. Ich habe ganz liebe Leute getroffen, das hat mir geholfen. Obwohl ich eine Ausländerin war, hab ich immer das Positive von den Leuten  erlebt. Deshalb finde ich Kontakte am Anfang sehr wichtig!

Besonders schwer war die Sprache, weil ich nicht einmal Ja oder Nein sagen konnte. Das Leben hat von NULL anfangen, nein eigentlich sogar mit einem Minus. Wir lebten 10 Monate zu dritt – mein Mann, mein kleine Sohn und ich – in einem kleinen Zimmer, wo nur zwei Betten  reinpassten. Wir bekamen 40 Euro Taschen Geld monatlich, wir durften nicht selber kochen, wir bekamen Fertiggerichte und Brot mit Wurst und Käse am Abend. Mein Sohn war damals zwei Jahre alt  und ein kaltes Abendessen war gar nicht gut für ihn. Wir wollten manchmal in die Stadt fahren aber auch das konnten wir nicht, denn die Zugfahrt war zu teuer.

Zum Glück haben wir noch während des Asylverfahrens eine Privatwohnung in St Pölten  gefunden.  

Wie haben Sie  Deutsch gelernt?

In St. Pölten haben wir einmal in der Woche drei Stunden einen Deutschkurs besucht. Die anderen  Tage  haben wir selber zu Hause gelernt. Es gab kein Internet bei uns,  daher haben wir ein paar Bücher von Freunden ausgeborgt und geübt. Später als subsidiär Schutz Berechtigte durften wir mit Unterstützung des AMS jeden Tag und  regelmäßig einen Deutsch-Kurs besuchen

Wollten Sie anknüpfen an Ihren Studium angewandte Mathematik?

Mein Studium ist in Österreich bereits anerkannt. Ich lerne eigentlich sehr gerne und wollte mich bei der Uni anmelden für Versicherungsmathematik und weiter studieren aber das ist sich finanziell nicht ausgegangen, ich musste einfach arbeiten. Mit zwei Kindern wäre es auch sehr schwierig. Erstens auf  der Uni anwesend zu sein und zweitens zu hause lernen. Das habe ich mir mit den Kindern ganz schwer vorgestellt.

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Frau Jebraili bei der Arbeit Foto: Asya

Was machen Sie heute beruflich?

Ich arbeite  bei der Diakonie, beim Flüchtlingsdienst  in St Pölten,  als Administrationskraft. Ich mache die Abrechnungen, Kassaführung, bin am Empfang als Journaldienst , ich mache Telefondienst und leite die Emails  an die richtige Stelle weiter.

Wie war der Einstieg bei der Arbeit?

Ich habe gleich mit B2 Level angefangen, ohne in einen  Kurs zu gehen, nur selber zu Hause gelernt, die B1 und B2 Prüfung gemacht und geschafft. Das war natürlich nicht leicht. Aber ich habe Glück gehabt,  die Kollegen bei der Arbeit waren sehr lieb und nett, der Chef auch. Sie haben mir am Anfang sehr geholfen, meine Fehler ausgebessert und mich ermutigt. Ich finde das bei einer Arbeit sehr wichtig!

Im Bereich Ihrer  Ausbildung „ angewandte Mathematik“ hätten Sie keinen Job gefunden?

Ich habe es eigentlich nicht  probiert. Mir macht die Arbeit in der Diakonie wirklich Spaß, das Arbeitsklima, mit Migranten, mit Flüchtlingen etwas zu erleben können, das ist für mich auch  interessant weil ich selber als Flüchtlinge nach Österreich gekommen bin. Das sehe ich als meine Aufgabe,  ich fühle, ja das ist mein Job,  ich bin damit total zufrieden. Ich würde mich gerne in diesem  Bereich weiter entwickeln und weiterbilden.

Wie haben Sie  diese Arbeit gefunden?

Durch mein Berater bei der Diakonie. Es war einfach Glück. Ich hab ihm gesagt, dass ich studieren, dann arbeiten möchte und eine Woche später rief er mich an und sagte, dass der  Diakonie- Flüchtlingsdienst eine Administrationskraft brauchte. Ich sagte zuerst „nein“, sah es als ein zu große Aufgabe und Verantwortung, die ich sicher nicht schaffen könne. Er hat mich sehr motiviert und unterstützt und meinte „Du sollst an dich glauben und  dir eine Chance geben“. Danach  hab ich mich beworben und jetzt bin ich da! Es ist sehr wichtig dass man an sich glaubt, so kann man alles schaffen.

Sie arbeiten ja mit Migranten bzw. mit Flüchtlingen, was ist besonders schwer für sie außer Sprache?

Deutschlernen ist die häufigste Frage,  sie wollen deutsch lernen damit sie dann arbeiten können um sich ein neues Leben aufbauen zu können. Und auch  wohnen ist ein großes Thema.

Was empfehlen Sie anderen Migrantinnen, wenn sie nicht gleich deutsch lernen können und auch keine Arbeit finden. Was sollen sie tun?

Für die Sprache z.B. sage ich immer bitte nicht nur auf einen Deutschkurs warten sondern selber zu Hause lernen. Es gibt viele Möglichkeiten auf  YouTube eben auch online Kurse, die sind meistens kostenlos, man muss sich  früh wie möglich selber bemühen, selber beschäftigen.  Die Kinderbücher sind  sehr gut geeignet um Deutsch zu lernen. Ich lese sie  heute immer noch (lacht J)

Es ist nicht einfach, aber  man muss einen Weg  finden um sich beschäftigen. Ich kann anderen Menschen nur Mut machen sich schon sehr früh sehr gut beraten zu lassen, fleißig zu sein und die eigenen Ziele nie aus den Augen zu verlieren.

Was mögen Sie an der österreichischen Kultur?

Wenn ich vergleichen soll, die Österreichischer  sind sehr direkt und sehr ehrlich und das gefällt  mir, das macht  Freundschaft und Kontakte sehr  unkompliziert.

Wie ist es im Iran anders?

Im  Iran ist es ein bisschen anders. Wenn zum Beispiel österreichische  Freunde zu mir kommen möchten und ich keine Zeit habe, dann kann ich einfach sagen „sorry ich hab keine Zeit, treffen wir uns ein anderes mal.“ In Österreich geht eigentlich alles mit Planung, und das finde ich nicht schlecht :)

Bei uns kann man das nicht einfach sagen. „Nein“  sagen ist bei uns  nicht höflich, egal ob wir Zeit haben oder nicht. Wenn  man jemand besuchen will, muss man sich nicht vorher anmelden. 

Was braucht es, damit Integration erfolgreich ist?

Viele Österreicher fürchten sich leider vor Ausländern und halten der Abstand,  aber wir müssen einen Weg finden, gemeinsam besser leben zu können. Wir müssen Zeit miteinander verbringen. Integration gelingt, wenn sich  beide Seiten interessieren.

Die Nachbarschaft könnte vielleicht verbessert werden. Ich lebte einige Zeit im Zentrum von St. Pölten und leider kannte ich meine NachbarInnen nicht.

Was möchten Sie anderen Migrantinnen mitteilen?

Die Hoffnung nicht niemals  verlieren. Es gibt in Österreich viele Möglichkeiten sein Leben wieder aufzubauen. Österreich ist ein freies Land, man muss nur ein Ziel  haben, aktiv sein und leben wollen! Ich sage das immer  „Österreich ist mein Heimat und ich fühle mich hier sicher!“

Interview: Asya Khalef