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Verordnete Einfalt

Von Iga Niżnik, Politische Referentin bei ARCHE NOAH, Verein zur Erhaltung und Verbreitung der Kultupflanzenvielfalt

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Iga Niznik, ARCHE NOAH, Foto von Lucia Bartl Iga Niznik, ARCHE NOAH, Foto von Lucia Bartl

„Was geht mich das alte Saatgut an?“, fragte mich mein Freund F. „Alte, regionale Sorten? Wollt ihr zurück ins Mittelalter?" Wir sitzen im Café und ich zeige ihm am Smartphone die 170.000 Unterschriften. „Wie habt ihr das nur gemacht? Die Menschen haben doch andere Sorgen, als altes Saatgut.“ F. ist Ingenieur und redet mit mir nur deswegen über Saatgut, weil wir befreundet sind. Dass binnen nur zweier Wochen 170.000 Menschen die Petition auf www.freievielfalt.at unterstützt haben, lässt aber selbst F. nicht kalt. In der Petition machen ARCHE NOAH und GLOBAL 2000 auf die Gefahren der geplanten EU-Saatgutverordnung aufmerksam. Viele traditionelle, seltene und lokale Sorten von Obst und Gemüse würden durch die neue Gesetzeslage aussterben.

Seltene, alte und regionale Sorten sind im vergangenen Jahrhundert diskreditiert worden: sie seien nicht so ertragreich, wie die Wunderpflanzen aus den Retorten der Saatgutindustrie. Bauern, die am Anbau von Sortenraritäten festgehalten haben, galten als fortschrittsfeindliche Spinner. In den vergangenen zehn Jahren zeigt der Trend in eine andere Richtung: Die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen wurde als Ressource erkannt. Die alten und seltenen Sorten sind nämlich nicht von gestern: Dank der genetischen Vielfalt passen sie sich besonders gut an sich verändernde Klimabedingungen an – und sind damit fit für den Klimawandel. Zudem brauchen sie kaum Pestizide: Schließlich haben sie Tausende Jahre in ihrem Umfeld ohne diese „Pflanzenschutzmittel“ überlebt. In der kapitalistischen Logik hat man auch den Wert der „Dienstleistungen“ der Artenvielfalt berechnet: Laut der TEEB-Studie  wird uns Europäern der Verlust der Vielfalt im Jahr 2050 die unvorstellbare Summe von mehr als 1,1 Billionen Euro pro Jahr kosten. Damit ist auch für meinen Freund F. klar: Die Sortenraritäten bewahren – das ist keine Wohltätigkeitsveranstaltug für ein paar arme Pflanzen, die sonst aussterben würden.

Doch vielen Menschen schlägt die EU-Saatgutverordnung einfach direkt auf den Magen. Denn es geht um die Frage: Was landet auf meinem Teller? Habe ich die Wahl, Lokales und Traditionelles zu essen? Bekomme ich noch blaue Erdäpfel, Kipflerbohnen oder Haferbirnen? Oder muss ich den Einheitsbrei der Industrie schlucken? Auch mein Freund F. geht übrigens gerne gut und gschmackig essen. Dass der Paradeiser in Einheitsgröße aus dem Supermarktregal kaum noch Aroma hat, beklagt er schon lange. Schon seltsam, dass die EU-Kommission gerade den Konsumentenschutz als Vorwand für die Verschärfung der Regelungen nimmt: Denn Geschmack, Vitamine, regionale Anpassung, Resistenzen gegen Schädlinge sind kein Kriterium. Um zugelassen zu werden, müssen die Früchte einer Sorte in ihrem Erscheinungsbild möglichst identisch sein. Nicht mehr, nicht weniger.

Den Paragraphen in der EU-Saatgutverordnung in dem steht, dass seltene und alte Sorten verboten werden, wird man vergeblich suchen. Ein kompliziertes Regelwerk aus diversen Auflagen treibt unser Obst und Gemüse de facto in die Illegalität. Geplant sind administrative und biologische Hürden, die weder die Landwirte noch die Sortenraritäten bewältigen können. Doch zum Glück ist die Sache noch längst nicht gegessen: Jetzt sind erst einmal die EU-Parlamentarier und die EU-Landwirtschaftsminister am Wort. Die Signale sind positiv: Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich hat im April die Petition auf www.freievielfalt.at unterschrieben; auch unsere EU-Abgeordneten signalisieren, dass sie die Vielfalt bewahren wollen. Widerstand allein aus Österreich wird allerdings nicht ausreichen – jetzt gilt es, andere EU-Länder zu gewinnen. Mein Freund F. hat jedenfalls unterschrieben.