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Freies Saatgut ernährt die Menschen

Biologische Vielfalt liegt der indischen Wissen­schaftlerin und Nobelpreis­trägerin Vandana Shiva am Herzen. Im Interview erzählt sie, warum nicht die Gentechnik sondern freies Saatgut genügend Nahrung für alle schafft.

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Vandana Shiva, Foto: ARCHE NOAH Vandana Shiva/Arche Noah

Vandana Shiva, seit dreißig Jahren setzen Sie sich für biologische Vielfalt und gegen Gentechnik ein. Was hat sich seither geändert?

Damals begann die Anwendung von Gentechnik in Indien massiv zuzunehmen. Mir war sofort klar, dass hier etwas Eigenartiges passiert. Bei einer Tagung zur grünen Revolution sprachen Vertreter der Gentech-Industrie, welch gute Erträge sie mit den Lizenzgebühren erwirtschaften werden. Man müsse aber die ganze Welt davon überzeugen. Daraufhin baute ich Bewegungen gegen die Gentechnik und für die Erhaltung von Saatgut auf. Niemand hinterfragte damals die grüne Revolution. Jeder glaubte daran, dass mehr Nahrung gegen Armut und Hunger hilft. Heute wissen wir, dass es nicht so ist.

Heute arbeiten die Menschen daran, das Saatgut zu erhalten, wie zum Beispiel die ARCHE NOAH in Österreich. Es herrscht ein neues Bewusstsein bei den Konsumenten. Sie wollen Vielfalt beim Essen. Das ist die positive Veränderung.

Andererseits hat die Gentech-Industrie 1992 genmanipuliertes Essen durchgebracht. Sie wurden stark und hatten den meisten Einfluss auf Regelungen in der Essenskultur – und demnach auf den Planeten, die Gesundheit der Menschen und auf die Demokratie. Worüber ich glücklich bin: 1987 sagte die Gentechnik-Industrie, mit der Jahrhundertwende würden fünf Firmen das weltweite Essen und die Gesundheit steuern. Ja, es sind fünf Firmen, weil sie die kleinen Firmen übernommen haben. Aber sie kontrollieren nicht unser Saatgut, denn das haben wir verteidigt!

Warum kaufen die Bauern gentechnisch verändertes Saatgut, wenn sie keinen höheren Profit erzielen können?

Das ist wie eine Gehirnwäsche. In Indien kaufen die Bauern alles auf Kredit, weil sie kein Geld haben. Kredite bekommen sie aber nur, wenn sie vorweisen können, dass sie Chemikalien verwenden. Früher pflanzten sie unterschiedlichsten Gemüse und Getreide, auch Baumwolle. Von der Ernte konnten sie sich und ihre Familien ernähren. Beim chemischen Anbau ist die Monokultur normal, und die Bauern begannen, statt 40 Arten nur mehr fünf anzubauen. Dieses System hat aber die Produktivität nicht erhöht. Zwar verdienen die Bauern mehr, müssen aber das Geld plus Zinsen an die Kreditgeber zurückzahlen. Wegen der Chemikalien können die Bauern nicht mehr essen, was sie anbauen. Von einer Milliarde hungernden Menschen sind 500.000 Bauern.

Warum ist die Kulturpflanzenvielfalt so wichtig?

Die Bauern sind verantwortlich für Qualität, Geschmack und Vielfalt. Und diese Vielfalt entsteht nicht aus der Natur sondern durch Kreuzungen. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist es wichtig, viele Sorten zu haben, um neue Züchtungen hervorbringen zu können. Die Bauern erhöhen die Vielfalt, Unternehmen verringern sie. Es sind nicht die Firmen, die die Welt ernähren, es sind die kleinen Bauern.

Was können wir tun?

Mehr Vielfalt essen, nicht im Supermarkt einkaufen sondern auf Bauernmärkten oder direkt beim nächsten Bio-Bauern. Österreich hat eine starke ökologische Bewegung und gute, chemiefreie Lebensmittel. Wer einen Garten oder einen Balkon hat, kann selbst Gemüse anpflanzen.

Werden Sie weiter kämpfen?

Ja, denn es geht um das Leben.

Das Interview führte: Annemarie Herzog