zum Inhalt springen

Raus aus Gas: Wo ein Wille, da sind Wege

Der Krieg in der Ukraine zeigte uns, dass unsere Abhängigkeit von (russischem) Erdgas fatale Folgen haben kann. Hat diese Erkenntnis etwas im Handeln der Akteur*innen in Österreich geändert?

Ein System aus Rohren und Kompressoren vor einer unverputzen Ziegelwand.
Foto: Sigmund/Unsplash

Im Neubau sind die Änderungen angekommen – hier wählen die Eigentümer*innen und Bauträger*innen teilweise aufgrund gesetzlicher Vorgaben meist eine fossilfreie Heizung oder Fernwärme. Mengenmäßig relevant ist jedoch die große Zahl an Bestandshäusern, die dringend Alternativen zum Erdgas brauchen. Hier liegen auch die größten Herausforderungen aus technischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht. Aber sie sind lösbar!

Am Anfang steht die Zentralisierung

Im großvolumigen Wohnbau wird oft noch mit dezentralen Einzel-Gasthermen geheizt. Eine fossilfreie Alternative braucht in der Regel ein zentrales Leitungssystem, das die neue Wärmequelle (z. B. Wärmepumpe, Fernwärmeanschluss oder Biomassekessel) im Keller oder am Dachboden mit den Wohnungen verbindet. Diese Leitungen müssen meist neu errichtet werden. Während die Leitungsarbeiten im Stiegenhaus und am Gang für die Bewohner*innen nur moderate Beeinträchtigungen verursachen, sind die „letzten Meter“ innerhalb der Wohnung bis zum bestehenden Heizkreis eine große Herausforderung. Bauarbeiten in den eigenen vier Wänden sind – auch wenn sie nur einige Tage dauern – nicht beliebt. Eine innovative Lösung hat die gemeinnützige SOZIALBAU AG entwickelt. Dabei werden die einzelnen Wohnungen über die stillgelegten Wohnungskamine vom Dachboden aus an ein zentrales Heizsystem, eine „Energiezentrale“, angeschlossen – neue Leitungen braucht es nicht. Das geht rasch und kann schrittweise für jede Wohnung einzeln erfolgen: Wohnungs-Gastherme raus, Leitung in den ehemaligen Gasthermenkamin verlegen, Wohnung anschließen. Für die Bewohner*innen ist der Heizungstausch in einem halben Tag erledigt. Ein cleveres und praxistaugliches System, mit dem die SOZIALBAU AG in den letzten Jahren bereits 47 Häuser auf nachhaltige Energie umgestellt hat.

Auf einem Dachboden ist eine Heizzentrale installiert.
Foto: VOGUS

„Mit der Zentralisierung der Wärmeversorgung im Gebäude ist ein erster wichtiger Schritt getan. Mit der Wahl des Energieträgers ist man flexibel. Die Umstellung auf Wärmepumpe wäre das Einfachste, denn dabei handelt es sich nicht um einen bewilligungspflichtigen Einbau.“

Ernst Bach, Vorstandsdirektor der SOZIALBAU AG.

www.sozialbau.at
 

Fernwärme, Wärmepumpe oder Biomasseheizung?

Wer in der Stadt seine Gastherme durch eine fossilfreie Alternative ersetzen möchte, hat im Grunde zwei Möglichkeiten: Sich an die Fern-/Nahwärme anzuschließen oder eine Wärmepumpenheizung zu errichten. Eine Biomasseheizung wird hingegen eher in ländlichen Regionen eingesetzt. Entscheiden können das aber nicht die Mieter*innen selbst, dies muss von den Eigentümer*innen initiiert werden.

Welche Lösung in einzelnen Stadtgebieten am besten geeignet ist, untersucht die ÖGUT im Rahmen des Forschungsprojekts „AnergieWieNeu+“. Im 20. Wiener Gemeindebezirk wurden Häuserblöcke identifiziert, die sich besonders gut für ein Wärmenetz, das mit niedrigen Temperaturen arbeitet (auch Anergienetz genannt), und damit für Wärmepumpenheizungen eignen. Dabei hat sich gezeigt, dass Fern-/Nahwärme und Wärmepumpen gut kombinierbar sind: So können die Erdwärmesonden des Anergienetzes im Sommer die Kühlungsabwärme aus fernwärmeversorgten Häusern „aufsaugen“ und im Winter für die Heizung nutzen. Die Wärmepumpenhäuser profitieren durch „Gratis-Wärme“, die Fernwärmegebäude durch eine energiesparende Kühlmöglichkeit.

Ein weiterer Pluspunkt von Anergienetzen mit Grundwasser-Wärmepumpen ist ihr Kühleffekt auf das Grundwasser. In Städten wird das Grundwasser durch die Bebauung, die Beheizung der Häuser und die Einleitung von Abwärme immer wärmer. In einigen Gebieten hat es sich von den natürlichen 10 bis 12 Grad Celsius bereits auf 14 bis 16 Grad Celsius erwärmt. Anergienetze mit Grundwasser-Wärmepumpen können das Grundwasser wieder auf das natürliche Niveau abkühlen.

Ein Schornstein von unten in den Himmel ragend fotografiert.
Foto: Jakub Pabis/Unsplash

Wohnungseigentum: Viele Köche – ein heißer Brei

Da neue, fossilfreie Heizungen meist eine gemeinsame Lösung für das ganze Haus erfordern, braucht es dafür derzeit einen einstimmigen Beschluss der Wohnungseigentümer*innen. Wer einmal bei Eigentümer*innenversammlungen zu einem solchen Thema teilgenommen hat, wird das Zitat des österreichischen Schauspielers Helmut Qualtinger „Simmering gegen Kapfenberg – des nenn i Brutalität“ wohl neu schreiben. Eine Einstimmigkeit für eine Umstellung „raus aus Gas“ ist in der Praxis schwer zu erreichen – das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) verhindert oftmals den Prozess der Heizungsumstellung. Selbst wenn sich einzelne Eigentümer*innen nicht an dem neuen Heizungssystem beteiligen, können sie die gesamte Umsetzung verhindern, indem sie z. B. ihre Zustimmung zu Erdwärmesondenbohrungen auf den gemeinsamen Freiflächen verweigern.

Ein weiteres Forschungsprojekt von ÖGUT, cobee solutions GmbH, tatwort Nachhaltige Projekte GmbH und FH-Technikum Wien untersuchen deshalb in einer Wohnhausanlage, wie der Prozess der Information, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung der 100 Eigentümer*innen bei der gemeinsamen Gebäudesanierung und Heizungsumstellung verbessert werden kann. Darauf aufbauend wird eine Online-Plattform entwickelt, die Entscheidungsträger*innen auf ihrem Weg zur Heizungsumstellung unterstützt.

Für die optimale Gestaltung der Online-Plattform wird derzeit untersucht, welche Informationen Wohnungseigentümer*innen zu welchem Zeitpunkt brauchen, welche Art der Information für unterschiedliche Zielgruppen zweckmäßig ist und wie der Informations- und Entscheidungsfindungsprozess gestaltet sein kann, damit er transparent, zeiteffizient und mit vertretbaren Kosten erfolgt.

Weitere Informationen.

Das Einfamilienhaus – „Raus aus Gas“-Lösungen à la carte

Das Schöne bei der Heizungsumstellung in Einfamilienhäusern ist, dass der Entscheidungsprozess vergleichsweise einfach ist. In der Regel gibt es ein/e Besitzer*in, der/die das Haus auch bewohnt. Während bei Stadtwohnungen meist eine Gasheizung zu ersetzen ist, sind es bei Einfamilienhäusern auch Ölheizungen, die bis spätestens 2040 getauscht werden müssen.

Eine Gruppe von Menschen steht in einem Garten und unterhält sich.
Foto: ÖGUT

Was kommt aber in Zukunft in den Heizungskeller? Biomasseheizung, Wärmepumpe oder Nahwärmenetz können den Platz der Öl- und Gasheizungen im Keller einnehmen. Berücksichtigt man, dass die Wärmepumpe in drei Varianten (Erdwärme, Grundwasser, Luft) umgesetzt werden kann und bei Biomasse sowohl Pellets als auch Stückgut eingesetzt werden, kommt man auf sechs Möglichkeiten für die neue Heizung. Es ist für Hauseigentümer*innen nicht einfach, sich in diesem Dschungel an Möglichkeiten und Förderungen zurechtzufinden. Aber niemand muss das allein machen – gemeinsam Wege zu finden, bringt alle schneller ans Ziel.

Wenn in einer Siedlung mit beispielsweise 50 Einfamilienhäusern fast alle vor der gleichen Aufgabe stehen, ihr Haus klimafit und fossilfrei zu machen, bieten sich „Lerngemeinschaften“ der Hausbesitzer*innen förmlich an. Zum Beispiel in einer öffentlichen Vor-Ort-Sanierungsberatung: Diese gab es als Pilotprojekt bereits in Baden (NÖ) und Kirchham bei Vorchdorf (OÖ). Dabei identifiziert die Gemeinde Hausbesitzer*innen, die ihr Haus energetisch sanieren und die Heizung fossilfrei machen möchten. Diese Hausbesitzer*innen bekommen kostenfrei eine ausführliche Beratung durch eine*n Energieberater*in. Im Gegenzug sind die Hausbesitzer*innen bereit, die Energieberatung „öffentlich“, z. B. im Garten oder am Gehsteig vor dem Haus, durchführen und benachbarte Hausbesitzer*innen zuhören und mitlernen zu lassen. Die „Zuhörer*innen“ sind eingeladen, im Rahmen eines moderierten Prozesses ihre eigenen Erfahrungen zu dem Thema einzubringen. Meist kommt die Gruppe schnell zu der Erkenntnis, dass man bei einer bestimmten Frage nicht allein ist – immer wieder gibt es jemanden in der Gruppe, der*die dazu bereits eine Lösung gefunden hat. Ein positiver Nebeneffekt: Die öffentlichen Beratungen stärken den sozialen Zusammenhalt, Tipps werden ausgetauscht und neue Kontakte geknüpft.

Aktuell werden sechs weitere Beratungen in unterschiedlichen Regionen Österreichs durchgeführt, unter anderem in Gmunden, Mödling und in Velden am Wörthersee.

Ablauf einer Sanierungsberatung: partizipation.at/praxisbeispiele/oeffentliche-vor-ort-sanierungsberatung

Link zum Projekt: www.oegut.at/de/events/2022/11/webinar-dialogformat-oeffentliche-vor-ort-sanierungsberatung.php

Gerhard Bayer, ÖGUT-Experte für Energieeffizienz und Nachhaltige Energiesysteme für Gebäude und Quartiere

Abo bestellen