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Mehr Lebensqualität durch nachhaltige Mobilität

Wenn wir über umweltfreundliche, nachhaltige Mobilität reden, denken wir vor allem an Elektroautos und den öffentlichen Verkehr. Selten fragen wir uns, was uns veranlasst oder sogar zwingt, so viel unterwegs zu sein.

Aus der Vogelperspektive sieht man eine Straße durch einen Wald führen.
Foto: Marcin Jozwiak, Unsplash

Wussten Sie, dass der Verkehr immer mehr wird, obwohl wir gleich lang unterwegs sind? Das Reisezeitbudget, also die Zeit, um in die Arbeit oder in die Schule zu kommen oder einzukaufen, liegt seit vielen Jahrzehnten konstant bei etwa einer bis eineinhalb Stunden pro Tag. Das zeigen langjährige Forschungen. Kurios, oder? Die Zahl der Wege einer Person pro Tag bleibt konstant, nur die Weglänge nimmt zu. „Es gibt ein Verkehrswachstum, aber kein Mobilitätswachstum“, bestätigt auch Ulrich Leth, Verkehrsexperte an der Technischen Universität Wien.

Der Siegeszug des Autos …

Die Geschwindigkeit, in der wir heute leben, hat zugenommen. Die Züge fahren schneller, ja, wir gehen heute sogar viel schneller als noch vor einigen Jahrzehnten. Einen wesentlichen Anteil daran hat das Auto und dessen Aufstieg zu einem bequemen, individuellen Verkehrsmittel für alle. Es hat die Art und Weise, wie wir leben und wie wir unterwegs sind, in nur wenigen Jahrzehnten völlig umgekrempelt. Als Kind, vor rund 50 Jahren, habe ich die Milch mit einer Kanne von einem kleinen Laden im Ort geholt, den ein Bauer selbst betrieben hat. Es gab einen Schuster, einen Gemischtwarenhändler, drei Lebensmittelhändler, einen Bäcker und fünf Wirtshäuser. Heute wachsen die Einfamilienhäuser mit Doppelgaragen wie die Schwammerl auf den Hügeln rund um das Zentrum. Geblieben ist der Bäcker, ein Wirt und ein Supermarkt mit großem Parkplatz.

Man geht auch nicht mehr einkaufen, man fährt! Und zwar zu den HoferBillaSparLidlLutzLeinerMöbelixObi-Tempeln an den Einfahrtsstraßen der nahen Stadt. Und weil es im Ort immer weniger Arbeitsplätze gibt, müssen wir in die nächste Stadt oder noch weiter zur Arbeit fahren. Weil alle fahren, sind viele Straßen hoffnungslos überlastet. Der Ruf nach neuen Straßen oder dem Ausbau der alten wird immer lauter und bislang auch zumeist gehört. Neue Straßen ziehen zusätzlichen Verkehr an, an den neu erschlossenen Straßen siedeln sich neue Einkaufstempel an, die wieder nur mit dem Auto erreichbar sind.

Sitzreihen und Köpfe sind in einem Bus gegen die Sonne fotografiert.
Foto: Mediocre Studio/Unsplash

… und wie er unser Leben verändert hat

Wir können uns ein Leben ohne eigenes Auto kaum mehr vorstellen. Vor allem am Land hört man immer wieder, dass es ohne Auto gar nicht gehe. In nur wenigen Jahrzehnten hat es das Auto geschafft, uns völlig abhängig zu machen. Abgesehen davon fressen Anschaffung, Betrieb und Erhalt einen ziemlichen Brocken des Haushaltsbudgets.

All das akzeptieren wir auch, weil das Auto nach wie vor ein Statussymbol ist. Ein bequemes erweitertes Wohnzimmer, das mit ausgefeilter Technologie ein lustvolles und angenehmes Reisen ermöglicht und das Gefühl vermittelt, im eigenen Takt unterwegs zu sein.

Das Auto hat nicht nur die Einkaufs- und Arbeitswelt verändert, sondern auch eine neue Freizeitindustrie beflügelt. „Komm‘ ein bisschen mit nach Italien“, trällerte der deutsche Schlager in den 1950er Jahren. Heute wälzt sich jeden Sommer eine Blechlawine quer durch Europa bis „ans blaue Meer“. Im Winter werden unsere Gebirgstäler heimgesucht, wenn wir „am Freitog auf'd Nocht die Schi aufs Auto“ – wohin sonst – montieren.

Auch die Natur leidet

Für Straßen und Parkplätze haben wir in Österreich bereits eine Fläche von rund 2.080 Quadratkilometern versiegelt. Zum Vergleich: Vorarlberg ist mit 2.600 Quadratkilometern nicht wesentlich größer. Wir verlieren damit nicht nur wertvolle Flächen, die uns eigentlich ernähren sollten, sondern zerschneiden auch den Lebensraum für wildlebende Tiere. „Wir sind es den kommenden Generationen schuldig, beim Flächenfraß die Notbremse zu ziehen“, betont der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung Kurt Weinberger bei jeder Gelegenheit. Denn wir Österreicher sind Weltmeister beim Zubetonieren.

Darüber hinaus blasen wir durch unsere Autos große Mengen an Kohlendioxyd in die Luft. In Österreich kommt knapp ein Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen vom Verkehr. Auch hier sind wir weltmeisterlich unterwegs. Kein einziges Abkommen zum Klimaschutz wurde bislang eingehalten. Seit 1990 sind die Treibhausgase aus dem Verkehr sogar um 75 Prozent gestiegen. Die Corona-Pandemie brachte mit minus 13,5 Prozent eine kurze Trendwende. Doch mittlerweile haben wir schon wieder das Niveau von 2019 erreicht, wahrscheinlich sogar übertroffen.

Dann steigen wir halt auf Elektroautos um

Wenn wir das Klima stabilisieren wollen, müssen diese Emissionen gegen Null heruntergefahren werden, und zwar sehr rasch. In nur wenigen Jahren sollte uns das gelingen. Aber wie? Die einfachste Antwort: Wir stellen um auf elektrischen Antrieb! Und gleich haben wir ein Thema, über das wir leidenschaftlich streiten können, über geringe Reichweiten, böse Batterien, schmutzigen Atomstrom und vieles mehr.

Fakt ist, dass wir die Benzin- und Dieselkarossen nicht einfach eins zu eins gegen Elektroautos tauschen werden können. Das hätte keinerlei Einfluss auf den viel zu hohen Ressourcenverbrauch, den wir im Sinne der Klimaziele reduzieren müssen. Fakt ist aber auch, dass die Elektroautos ein Teil der Lösung sein werden. Nicht nur Autos, die mit Strom fahren, sondern generell elektrische Antriebssysteme. Denn auch die E-Bikes haben gezeigt, dass sie alltagstauglich sind und durchaus Autofahrten ersetzen können.

Elektroauto im Faktencheck

Über kaum ein anderes Thema wird in Sachen Klimaschutz derart hitzig diskutiert wie über das Elektroauto. Matthias Komarek, Energie- und Mobilitätsexperte bei der Energie- und Umweltagentur Niederösterreich, hat die Fakten zu den häufig genannten Kritikpunkten zusammengestellt - Nützliche Informationen für die Diskussion in Ihrer nächsten Runde.

1. Elektroautos sind (viel) teurer als Benziner oder Dieselautos.

Ja, das stimmt, wenn man nur den Kaufpreis betrachtet. Für Wartungs- und Betriebskosten brauchen Sie nur etwa die Hälfte kalkulieren, bei den aktuell hohen Preisen für Benzin und Diesel noch weniger. Besonders lukrativ wird es, wenn Sie Strom aus der eigenen PV-Anlage laden. Zusätzlich entfallen die Kosten für die motorbezogene Steuer, es wird keine Normverbrauchsabgabe (NoVA) verrechnet und obendrauf gibt es noch Förderungen.

2. Mit einem Elektroauto komme ich ja nicht weit!

So 200 bis 250 Kilometer sind mit den gängigen Modellen problemlos zu schaffen, bei manchen Modellen mehr. Das reicht völlig für den Alltag. Für Ausflüge mit einer weiteren Distanz ist das Schnellladenetz gut ausgebaut. Mit kurzen Pausen erreicht man auch entferntere Ziele.

3. Und im Winter?

Ein Elektroauto hat im Winter eine etwas geringere Reichweite, weil eine kältere Batterie weniger Energie bereitstellen kann. Die Heizung selbst wirkt sich nicht besonders aus, sie hat sogar den Vorteil, dass es sofort warm wird, weil man nicht auf die Abwärme des Motors warten muss.

4. Wo soll der viele zusätzliche Strom herkommen, den wir für die Elektroautos brauchen?

Elektroautos sind viel effizienter als Verbrenner und brauchen deshalb viel weniger Energie. Optimal ist natürlich eine eigene PV-Anlage. Mit nur einem Quadratmeter kann man pro Jahr Strom für 1.000 Kilometer erzeugen. Ein einziges modernes Windrad kann mehr als 3.000 Elektroautos mit Strom versorgen.

5. Wäre es nicht gescheiter, auf das Wasserstoffauto zu warten?

Nein. Mit dem Elektroauto fahre ich circa fünf bis sechs Kilometer mit einer Kilowattstunde. Wird die gleiche Menge Strom vorher in Wasserstoff umgewandelt, reicht die Energie nur mehr für zwei bis drei Kilometer. Ich muss also für die gleiche Strecke mindestens das doppelte an Strom produzieren. Wasserstoff kann für LKWs und Schiffe und in der Industrie eine relevante Alternative zu Erdgas, Erdöl und Kohle werden.

6. Elektroautos sind wegen der Batterien genauso umweltschädlich wie andere Autos.

In den Batterien befinden sich wertvolle Rohstoffe, deren Abbau ökologisch und sozial bedenklich sein kann. Da gibt es, genauso wie bei der Gewinnung von Öl, durchaus noch Optimierungspotenzial. Der Vorteil ist jedoch, dass ein Großteil der Rohstoffe aus den Batterien wiedergewonnen werden kann. Hingegen ist das Öl nicht nur verbrannt, es macht uns in Form von CO2 größte Probleme.

7. Und wie lange halten diese Batterien?

Lithium-Ionen-Akkus sind auf die Lebensdauer des Autos ausgelegt. Sogar die Garantie der Hersteller liegt meist zwischen fünf und acht Jahren bzw. 100.000 bis 200.000 Kilometer – und das völlig wartungsfrei. Nach der Nutzung im Elektroauto können die Akkus noch als Speicher für den Strom aus der PV-Anlage verwendet werden.

8. Die Autos sind so leise, dass man sie kaum hört. Ist das nicht ein Sicherheitsrisiko?

Zuerst einmal ist es eine Entlastung für alle Menschen, die an viel befahrenen Straßen wohnen. Neu typisierte Elektroautos müssen bis zu einem Tempo von 20 km/h ein Warngeräusch von sich geben. Über 20 km/h erzeugen die Reifen ausreichend Geräusch, dass man das Fahrzeug kommen hört.

Fazit: Wer tatsächlich ökologisch unterwegs sein möchte, muss zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren. Vergleicht man den gesamten Lebenszyklus – inklusive Energieaufwand bei der Herstellung und Entsorgung – emittiert ein Elektroauto um bis zu 80 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als ein Auto mit Verbrennungsmotor und ist damit ganz eindeutig eine umwelt- und klimaschonende Alternative.

www.enu.at/mobilitaet

Eine alte Person fährt mit dem Elektroroller auf dem Radweg.
Foto: Rasmus Gerdin/Unsplash

Mobilität für Ältere?

Eine immer größer werdende Gruppe von Menschen leidet unter dem Rückbau der regionalen Infrastruktur ganz besonders: Menschen, die heute 80 Jahre und älter sind. Sie waren es ihr ganzes Leben lang gewohnt, mit dem Auto mobil zu sein. Und dann kommt plötzlich der Moment, wo das nicht mehr geht, weil die Konzentration nachlässt, die Augen schlechter werden, die Gelenke nicht mehr mitmachen oder weil das Auto für eine kleine Pension einfach zu teuer ist.

Im Ort selbst gibt es keinen Arzt mehr, keine Apotheke, kein Lebensmittelgeschäft. Mit dem Auto waren die vier Kilometer in den Nachbarort kein Problem, aber was jetzt? Das Angebot im öffentlichen Verkehr am Land ist nicht gerade dazu ausgelegt, dass man schnell einmal Medikamente holen kann. Abgesehen davon, dass ältere Menschen, die nie in ihrem Leben mit den Öffis unterwegs waren, mit Fahrplänen heillos überfordert sind. Hier auf die Regierung zu warten, ist wohl zu wenig. Was es braucht, sind engagierte Menschen in Gemeinden und auch in den Pfarren, die das Problem erkennen, die richtigen Schlüsse daraus ziehen und Lösungen anbieten.

Neue Lebenswelten schaffen

Die größte Herausforderung für eine nachhaltige, klima- und menschenfreundliche Mobilität liegt nicht in der Umstellung des Antriebssystems, sondern in der Art und Weise, wie wir unsere Städte und Dörfer gestalten. Sie bieten den Rahmen dafür, ob wir nachhaltig leben können oder nicht. Hermann Knoflacher, Professor emeritus am Institut für Verkehrsplanung, plädiert für einen Umbau der Ortschaften und Städte in „Lebensräume, in denen die lokale Wirtschaft wieder Arbeitsplätze in kleinen Strukturen einrichten und erhalten kann, die befriedigend sind und das Geld in der Nähe kreisen lassen“. Dörfer und Städte sollten so gestaltet werden, dass es dort „schöner und interessanter ist als in den Industrieanlagen des Massentourismus.“ Wenn das letzte Geschäft den Ort verlassen hat und der letzte Wirt zusperrt, kommt auch das soziale Leben zum Erliegen. Wo trifft man sich dann noch zum Tratschen oder auf ein Bier am Abend?

Ulrich Leth fordert darüber hinaus eine Verbesserung im öffentlichen Verkehr. Denn die bisherige Verkehrsplanung konzentrierte sich auf Verbindungen für den motorisierten Verkehr: „Wer Straßen baut, wird (Auto-)Verkehr ernten. Wer Radwege baut, wird Radverkehr ernten. Wer Linien öffentlicher Verkehrsmittel errichtet, Fahrpläne verdichtet, bequeme Züge und Busse, Bedarfsverkehr wie Anrufsammeltaxis und Gemeindebusse anbietet, wird Fahrgäste ernten. Die Regierung muss sich daran messen, wie sie die Abhängigkeit vom Auto reduzieren und gleichzeitig die Mobilität der Menschen sicherstellen kann.“

Katharina Roggenhofer, die Initiatorin des Klimavolksbegehrens, zeichnet ein Bild, wie sie sich die Zukunft vorstellt: „Ich lebe in einer grünen Stadt, voller Natur. Es spielen Kinder auf der Straße, es gibt genug Platz für Radfahrer*innen, die Luft ist gut. Wir kommen gemütlich und angenehm mit dem Fahrrad, dem Bus, dem Zug von A nach B, der Strom kommt vom Dach, alle Häuser werden zu kleinen Kraftwerken. Wohnungen werden so geplant, dass die Menschen wieder zusammenkommen können, Familien sitzen und essen draußen, Lebendigkeit liegt in der Luft.“

Christian Brandstätter

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