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Ist das Kunst oder kann man das essen?

Genussgrübeleien von Jürgen Schmücking

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Foto: Jürgen Schmücking Foto: Jürgen Schmücking

Die Kunst und das Essen bilden eine eigenwillige Liaison. Im Moment sehen die Teller vieler ambitionierter Köche aus wie kleine Werke großer Meister. Da wird gepinselt und gespachtelt, und kein Gericht verlässt die Küche, bevor der Chef nicht noch einmal selbst Hand angelegt hat. Notfalls mit Nadel und Pinzette.

Kunst am Teller also. Perfekt arrangierte Gerichte, stylisch in Form gebracht nach den Richtlinien der Farben- und Formenlehre. Sie müssen aber gar nicht teuer essen gehen, um sich an einem Teller mit „Atlantik-Hummer mit Mandeln, Bergamotten-Marmelade, Pomelo, grüne Mango und Kamille“ zu erfreuen. Peter Gilmore vom QUAY in Sidney hat dieses Werk erschaffen. Und wie viele andere seiner Kollegen gibt es natürlich auch ein QUAY-Kochbuch.

Damit hätten wir schon die zweite „Kunst und Essen“-Kategorie. Das Kunstkochbuch. Sie unterscheiden sich signifikant von anderen Kochbüchern. Sie sind unbrauchbar, weil die Gerichte darin entweder so kompliziert oder ressourcenaufwändig nachzukochen sind, dass sogar eine durchschnittliche Wirtshausküche daran scheitert. Oder sie sind so großformatig und schwer, dass sie in kein Bücherregal vernünftigen Ausmaßes passen. In die Küche schon gar nicht. Aber sie sind schön. Die meisten sogar exzeptionell schön. (Übrigens ein weiterer Hinweis für ihre praktische Unbrauchbarkeit. Wer will da schon Fett- Blut- Wein- oder sonstige Flecken drin haben?) Sie sehen aus wie hochwertige Ausstellungskataloge und sind auch genauso aufgebaut. Anfangs ein wenig Text, um Koch und Küche vorzustellen, dann eine Rezeptsammlung mit großformatigen Bildern. Kaufen Sie sie trotzdem. Es zahlt sich alleine der Bilder wegen schon aus.

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Foto: Jürgen Schmücking Foto: Jürgen Schmücking

Interessanter wird die Sache mit der Kunst und dem Essen, wenn Künstler sich des Themas annehmen. Daniel Spoerri hat beispielsweise gedeckte Tische hergenommen, was draufstand draufgepickt und an die Wand gehängt. Seine „Fallenbilder“ haben die eat art begründet. Später eröffnet er ein (ziemlich schräges) Restaurant in Hamburg und serviert Konventionelles ebenso wie Unkonventionelles. Sein „Ameisenomelette“ erfährt allergrößte Bekanntheit, auch wenn es das einzige Gericht ist, das so gut wie nie bestellt wurde.

Für mich ist das die Spitze kulinarischen Kunstschaffens: Wenn der Kochlöffel zu des Künstlers Arbeitsgerät wird. Genau dann entstehen die Aktionen, die Kunst zu Kunst machen. Genuss und Botschaft, Kritik und Ästhetik, Meditation und Reflexion. Paul Renner ist so ein Künstler. Mit Projekten wie dem hellfire dining club oder dem illegalen Wirtshaus im Piemont legt er die Latte sowohl künstlerisch, wie auch kulinarisch verdammt hoch. Halten Sie Ausschau nach performances von AO&, Paul Renner, der volxküche oder food not bombs. Und gehen Sie hin.