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Die vertauschten Geschenke

Märchen von Nina Stögmüller

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Nina Stögmüller Nina Stögmüller

Es war einmal … ein ganz normaler Weihnachtsabend in einer ganz normalen Familie.
Alle waren da: Oma, Opa, Mama, Papa, zwei Kinder. Und natürlich Geschenke. Standardgeschenke. Doch an diesem besonderen Weihnachtsabend hatte ein ganz besonderer Weihnachtswichtel die Adresse dieser Familie zugeordnet bekommen: Wichtel Edeke – ein sehr ehrgeiziges Wichtelkind und noch dazu ziemlich gewitzt und kreativ. Zur Erklärung: Jeder Haushalt bekommt zu Weihnachten Besuch von einem Weihnachtswichtel. Natürlich kann man diese Wichtel nicht sehen, sie greifen ein, wenn es zu Weihnachten Streit gibt, sorgen für gute Stimmung oder helfen dabei ein Geschenk in letzter Minute zu finden.

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Wichtel Edeke war dieses Weihnachten also bei den Meiers eingeteilt. Im großen Weihnachtswichtelbuch stand geschrieben: Familie Meier: Ganz normale Familie. Zu Weihnachten ist es immer etwas fad. Die Erwachsenen bekommen meistens dieselben Sachen geschenkt. Keine besonderen Vorkommnisse. Einmal verbrannte ein Christstollen in der Vorweihnachtszeit, das wurde von Mutter Erna jedoch nicht bekannt gegeben. Auch heuer drohte es wieder ein sehr langweiliges Weihnachtsfest bei den Meiers zu werden. Die Geschenke lagen schon unterm Weihnachtsbaum und die Familie Meier war bereit für die Bescherung. Da kam Wichtel Edeke die rettende Idee! Mit seinen Wichtelkräften vertauschte er die Geschenke und wartete gespannt auf die Reaktionen der Meiers.

Das siebenjährige Gretchen staunte nicht schlecht über Stofftaschentücher mit Monogramm. Nur, dass das Monogramm ein „K“ darstellte, (für Oma Klara). Doch Gretchen freute sich trotzdem sehr. Endlich hatte sie ein Tischtuch-Set für ihren Barbie-Haushalt, und wem die Tischtücher gehörten, war natürlich auch ganz klar, Barbies Mann Ken!
Nun war der zehnjährige Bernhard an der Reihe. Sein Geschenk war auch ein bisschen eigenartig. Ein weißes, fein gestreiftes Nachthemd mit ziemlich langen Ärmeln oder war es doch ein Longshirt? Besser nicht nachfragen, dachte er. Er probierte das coole neue Kleidungsstück an, krempelte die Ärmel hoch und fand, dass ihm das Ding ziemlich gut stand.
Mama Erna packte als Nächste aus. Ein Plüschtier! Der Teddy, den sie jetzt im Arm hielt, erinnerte sie doch sehr an ihren Plüschbären aus der Kinderzeit. So ein schönes Geschenk!
Opa Franz fand eine riesige Schachtel Pralinen für sich unter dem Christbaum und strahlte über das ganze Gesicht! Schon lange durfte er keine Süßigkeiten mehr essen, doch heute würde er wohl eine Ausnahme machen!
Oma Klara war an der Reihe. Sie packte ein Malbuch aus und strahlte ebenso. Das Malen war ihr früher eine große Freude gewesen, doch mit ihren zittrigen Händen hatte sie sich schon lange nicht mehr getraut. Mit den vorgezeichneten Motiven würde ihr das Malen nicht mehr schwer fallen, und Buntstifte waren auch noch dabei!
Auch Papa Gerhard wickelte nun sein Paket aus und konnte sein Glück kaum fassen. Eine Carrera-Rennbahn! Der Traum seiner Kindertage wurde endlich wahr!
Wichtel Edeke hatte ganze Arbeit geleistet, denn alle Familienmitglieder hatten große Freude mit ihren Geschenken. Wichtel Edeke bekam von seiner Wichtellehrerin ein dickes, fettes Plus im Weihnachtsbuch eingetragen. Und die Familie Meier sprach noch lange über dieses Weihnachten mit den seltsamen Geschenken, jedoch kam keiner auf die Idee, die Geschenke zu tauschen, jeder fühlte sich reich beschenkt.


Märchen zur ersten Raunacht aus dem Buch „Raunächte erzählen“ – Ein Lese und Märchenbuch zu den 12 heiligen Nächten im Jahr, Nina Stögmüller, Verlag Anton Pustet, 2012