zum Inhalt springen

Coole Straße: Ein kühles Wohnzimmer im Freien

Bis zu fünf Grad kühler waren „Coole Straßen“ in Wien letzten Sommer. Wir haben mit DI Petra Jens, Fußverkehrsbeauftragte der Stadt Wien, über ihre Erfahrungen gesprochen.

Auf einer Straße sitzen zwei Personen in Liegestühlen.
Die "coole" Hasnerstraße lädt zum Verweilen ein. Foto: Mobilitätsagentur, Christian Fürthner

Ein Straßenabschnitt, der im Sommer zum Wohnzimmer im Freien wird und Menschen, die in besonders heißen Gegenden wohnen, einen zusätzlichen Freiraum bietet, damit sie unkompliziert Zeit draußen verbringen und sich abkühlen können: das sind sogenannte „Coole Straßen“. Ein Ort, an dem es Schatten, Sitzgelegenheiten, Trinkwasser, ein Wasserelement und einen Materialcontainer für Spielsachen und Möbel gibt. Startpunkt des Projekts war eine Stadtkarte, die die Hitzepunkte der Stadt mit soziodemographischen Daten verschnitt. „Sie zeigte uns, wo es besonders heiß wird und wo auch besonders viele ältere Menschen und Kinder leben“, erläutert Petra Jens. 2019 gab es in drei Straßen ein sechs Wochen langes Pilotprojekt, 2020 waren es 18 Coole Straßen in 16 Bezirken – ganze drei Monate lang.

Eine persönliche Betreuung vor Ort unterstützte jede Straße dabei, Ideen umzusetzen. Bloß den Straßenraum frei zu machen, sei zu wenig – das zeigen ein Projekt aus München, aber auch die Pop-up-Begegnungszonen und die Probezeit der Mariahilfer Straße in Wien. Eine personelle Herausforderung: „Wir haben zirka 50 Leute aufgenommen und mit Basis-Stadtwissen ausgestattet. Es ging es darum, den Anrainer*innen vor Ort zuzuhören und ihnen ein Grundverständnis für die Stadtentwicklung und Stadtstrukturen mitzugeben. Das ist der erste Schritt von Partizipation.“ Diese Vermittlungstätigkeit sei eine Kulturarbeit, führt Jens aus: „Es geht darum, den Menschen zu zeigen, was der Straßenraum leisten kann und welche sozialen Funktionen er hat, dass Straßenraum viel mehr als nur Transitraum und Raum zum Parken ist. Und das ist gut aufgegangen.“

Ein Container, Tische und Sessel auf einer abgesperrten Straße. Der Asphalt ist mit Kreide bunt bemalt. Auf einer Straßenseite sind Bäume.
Foto: Mobilitätsagentur, Christian Fürthner

Die Coolen Straßen haben sich ganz unterschiedlich entwickelt – von der Flaniermeile bis zum Begegnungs- und Aufenthaltsraum. Im 1. Bezirk, in der Börsegasse, aßen Businessleute zu Mittag und hielten kleine Meetings ab. Im 16. Bezirk, in der Hasnerstraße, wurde Theater gespielt und Modeschauen veranstaltet. „Dort hat sich die Straße vom ersten Tag an fast selbst organisiert, weil da sehr viele kreative Menschen leben“, erinnert sich Jens. Ähnlich am Karmeliterplatz im 2. Bezirk, wo etwa einmal pro Woche spontan kleine Konzerte entstanden. Was auf den Coolen Straßen passiert, zeigt auch, was in den Bezirken notwendig ist, ist Jens überzeugt: „Im 10. Bezirk, in der Hardtmuthgasse, waren sehr viele Kinder, darunter viele, die tagsüber unbetreut sind. Der Bedarf an einer erwachsenen Ansprache, an einer Person, die mit den Kindern spielt, sich mit ihnen beschäftigt, war immens hoch.“ Auch im 17. Bezirk, am Dornerplatz, meldeten sich Kinder zu Wort – endlich hätten sie nun andere Kinder aus der eigenen Nachbarschaft kennengelernt. Diese soziale Wirkung ist laut Jens der wichtigste Erfolg des Projektes: „Die Coole Straße hat dazu beigetragen, die Grätzl zu stärken und resilienter zu machen. Wenn ich meine Nachbar*innen kenne, wenn die Kinder in der Wohngegend Freunde zum Spielen finden, dann hebt das die Lebensqualität. Ich glaube, es gibt nichts Wichtigeres für eine Stadt, als dass Menschen einander kennen.“ Und natürlich der zusätzliche Freiraum unmittelbar vor der Tür – denn nicht alle Menschen haben die Möglichkeit, aufs Land zu fahren oder ein größeres Freizeitareal aufzusuchen. „Sie sind darauf angewiesen, in Wohnortnähe Orte zu finden, wo es Schatten, Spielmöglichkeiten und Wasser gibt“, sagt Jens. Der Kühlungseffekt lässt sich auch nicht nur an der geringeren Temperatur festmachen: „Wir hatten Standorte ausgewählt, wo es schon Baumbestand und Beschattung gab. Der große Unterschied war, dass die Kühle den Menschen zugutegekommen ist und nicht den Autos, die dort parken.“

Befragungen unter den Anrainer*innen und Passant*innen zeigten, dass die Maßnahme überwiegend positiv wahrgenommen wurde – auch wenn dadurch weniger Parkplätze zur Verfügung standen. Auch bei einer wienweiten Befragung fand das Projekt Zustimmung – etwa 80 Prozent äußerten sich positiv, mehr als die Hälfte wünschte sich eine Coole Straße in ihrem Wohnviertel. An fünf Standorten sind in Folge dauerhafte Coole Straßen entstanden.

Was braucht eine Straße, um kühler zu werden?

DI Petra Jens:

1. Helle Oberflächen.

2. Keine Versiegelung, möglichst viel Erdreich, möglichst viel wassergebundene Oberflächen, wo Wasser verdunsten kann.

3. Möglichst viele Pflanzen. Das Beste ist ein großkroniger Baum. Es dauert 40 Jahre, bis ein Baum eine so große, klimawirksame Krone ausbildet. Viele Bäume sterben vor dieser Zeit. Zur grünen Infrastruktur gehören auch Umhausungen, die Leitungen vor Wurzeln schützen, besonderes Substrat, das in den Wurzelraum eingebracht wird und Wasser besser speichern kann (Schwammstadt-Prinzip) sowie eigene Wasserleitungen für die automatische Bewässerung von Baumscheiben.
Dann natürlich kleinere Pflanzen, Sträucher, Blumen, Fassadenbegrünungen. Die Stadt bemüht sich um mehr grüne Fassaden, aber hier fehlt noch viel Wissen, was die Gebäudesicherheit anbelangt und die möglichen Schäden, die Pflanzen an Dachhaut und Fassaden anrichten können. Viele haben Scheu vor dem Pflegeaufwand. Und natürlich braucht das auch Platz. Gehsteige sind selten ausreichend breit, um auch noch Pflanztröge für Fassadenbegrünung aufzunehmen. Da muss auch eine Raumumverteilung stattfinden. Sonst haben wir Gehsteige, die von noch mehr Stadtmobiliar zugepflastert werden – das eigentlich in die Parkspur gehört.

Langfristig führen Projekte wie dieses zu einer partizipativeren Stadt. In Wien ein weiter Weg, so Jens: „Wien ist eine Stadt mit einer ausgereiften Verwaltung und einer langen Tradition. Wien ist nicht Berlin, wo die Leute sich ihren Klappsessel nehmen und sich mit ihrem Bier oder ihrem Prosecco draußen hinsetzen und sich den Raum selbst aneignen.“ Das beste Beispiel dafür seien die Parklets – anstelle eines Parkplatzes eingerichtete Sitzgelegenheiten oder Grünflächen. „Es war vor einigen Jahren noch undenkbar, in Wien ein Parklet zu errichten, weil es dafür keine Vorschrift gab“, erzählt Jens. Es brauchte die Entwicklung eines eigenen Behördenverfahrens und organisatorische und finanzielle Unterstützung, bis Bürger*innen aktiv wurden. Jedes Jahr gibt es nun mehr Parklets in Wien. „Das ist etwas sehr Schönes“, resümiert Jens. „Es ist auch eine temporäre Maßnahme – im Winter wird da geparkt, im Sommer ein sehr hochwertiger Mikrofreiraum im Straßenraum geschaffen.“

Ein anschauliches Beispiel, wie viel Anstoß Stadtaneignung braucht. „Einerseits bei den Bürger*innen, dass sie ermutigt und nicht sofort von einer Flut von Formalitäten und Kosten frustriert werden,“ sagt Jens, „andererseits bei der Kultur: dass man eine Basis schafft, den Straßenraum zu verstehen und gemeinsam an Veränderung zu arbeiten.“ In mediterranen Städten sei es viel üblicher, sich den öffentlichen Raum anzueignen, da fände aufgrund der Temperatur viel mehr öffentliches Leben in den Nachtstunden statt: „Es macht Sinn, sich solche Strukturen anzusehen, weil sich Wien verändern wird. Es wird im Sommer so heiß sein, dass wir auch viel mehr in der Nacht draußen sein wollen werden. Wir sind gewohnt, dass es in Wohnvierteln ruhig ist, es gibt eine Nachtruhe in Wien. Das sind Dinge, die ausverhandelt gehören.“

Insgesamt hat das Projekt gezeigt, dass sich die Menschen mehr Grün in der Stadt wünschen. „Es macht viel Sinn, dort umzugestalten, wo ohnehin in die Straße eingegriffen werden muss, wenn zum Beispiel Rohre getauscht werden müssen oder ein Fahrbahnbelag saniert werden muss“, erklärt Jens. Der Blick in die Zukunft ist jedenfalls hoffnungsvoll: „Es gibt ein noch nie dagewesenes Budget für die Bezirke für Klimawandelanpassungsmaßnahmen, für Entsiegelung, für Baumpflanzungen, für Wasserelemente – 20 Millionen Euro pro Jahr.“ Dabei wird der Fokus auf grüner Infrastruktur und baulicher Investition liegen. Und wenn die Bürger*innen darüber hinaus selbst aktiv werden – dann steht einer noch cooleren Hauptstadt nichts mehr im Weg.

Zwei Kinder mit Fahrradhelmen haben grüne Papierfächer in der Hand, auf denen
Foto: Mobilitätsagentur, Christian Fürthner
Abo bestellen