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AUFMÖBELN leicht gemacht

Dass wir in einer Wegwerfgesellschaft leben, hören wir regelmäßig. Ungern zählt man sich selbst dazu. Dabei ist es nicht schwer, einem ausgedienten Tisch neues Leben einzuhauchen oder ein abgewetztes Nachtkästchen in ein Schmuckstück zu verwandeln. Zwei Koryphäen auf dem Gebiet der DIY-Recycling-Möbel wissen, wie es geht.

Eine junge Frau bemalt auf einer Terasse einen Holzsessel senfgelb.
Foto: Blackcat, iStock

Türkis und violett zeigt sie sich, in angesagtem Shabby-Chic-Look, und steht selbstbewusst im Wohnzimmer einer heimeligen Wiener Altbauwohnung. Davor war sie eine unscheinbare Kommode, millionenfach von einem schwedischen Möbelhaus produziert. „Mein Mann wollte sich vor zehn Jahren von dieser Kommode trennen. Ich habe sie gerettet. Noch heute freue ich mich jeden Tag, wenn ich sie sehe. Zwar habe ich nie wieder ein Stück in diesem Stil kreiert, aber diese Kommode war der Anfang meiner späteren Unternehmensgründung“, erzählt Anni Mori, eine 38-jährige gebürtige Kärntnerin, die es der Liebe wegen nach Wien verschlagen hat. Dort führt sie seit bald sechs Jahren ihre One-Woman-Firma „ANNI´S ART & LIVING“, über deren Online-Shop man entweder bereits recycelte Kostbarkeiten erstehen kann oder die Möglichkeit hat, Spezialwünsche in Auftrag zu geben.

Fast alles selbst gemacht: Schliff, Reparatur, Farbe

„Von der Anrichte bis zum Zeitungsständer werte ich alles auf, Hauptsache, es ist aus Holz“, erklärt die Jungdesignerin. In ihrer Werkstatt spielen vor allem Acrylfarben und Schablonen sowie Muster in Form von Geschenkpapier, Tapeten und speziell angefertigten Folien die Hauptrolle. „Bevor ein Möbelstück verschönert werden kann, muss man es vorbereiten. Ich mache fast alles: Ich schleife, repariere Risse, Löcher oder ausgeschlagene Kanten mit Möbelkit, tausche Beine und Knäufe, Oberflächenbretter und Glasscheiben“, so Anni.

Ein runder dreibeiniger Vintagetisch hat einen neuen senfgelben Anstrich bekommen. Auf dem Tisch liegt ein Buch, darauf steht eine Vase mit Trockenblumen.
Foto: Anni's Art and Living
Eine Kommode mit auffälligem Zick-Zack-Muster in gelb-weit-dunkelblau steht vor einer Backsteinwand.
Foto: Anni's Art and Living

Rund 140.000 gebrauchte Tische, 88.000 Betten, 60.000 Sessel und 55.000 Kästen werden allein auf Österreichs größter Flohmarkt-App zum Verkauf angeboten, andere Verkaufskanäle hier nicht eingerechnet.
Quelle: willhaben

Hocker und Tisch als Anfängerstücke

Ursprünglich ist die Neo-Wienerin gelernte Hotelfachfrau. Ihre Kompetenz in Bezug auf Möbel-Recycling und Einrichtungs-Design hat sie sich ehrgeizig selbst angeeignet. „‚Learning by doing‘ ist mein Motto. Ich habe viel ausprobiert und mir von Projekt zu Projekt mein Wissen angeeignet. Wenn ich nicht weiterwusste, holte ich mir Rat aus dem Familien- und Bekanntenkreis oder von Profis“, sagt Anni. Fachliteratur und Online-Videos haben sie angeleitet. Liegt doch einmal etwas außer Annis Kompetenzbereich, arbeitet sie mit ansässigen Handwerksbetrieben zusammen. Die Möbel-Recyclerin will allen Leuten Mut zusprechen, selbst Hand anzulegen und auszuprobieren: „Wer Spaß daran findet, ein Stück aufzuarbeiten, für den gibt es keine Grenzen. Zu Beginn würde ich aber einen kleinen Hocker oder ein Tischerl empfehlen und von einer Glasvitrine oder einem Rollkasten abraten.“

15 % ihres Nettoeinkommens geben die Österreicher*innen für neue Möbel und Einrichtungsgegenstände aus.
Quelle: WKO

Gut geschliffen, halb gewonnen

In Annis Augen ist das Um und Auf das Schleifen. Selbst wenn Beize und Lack noch gut in Schuss sind, sollte man nicht darüber pinseln. Man tut gut daran, einen Anschliff zu machen, nur dann kann die Farbe robust haften. Blättert Lack bereits ab, dann muss er sorgfältig an allen betroffenen Stellen abgeschliffen werden. Anni: „Wenn Lack und Beize tief im Holz sitzen, dann sollte man mit einer Holzgrundierung vorstreichen, vor allem, wenn man mit Weiß, Beige oder hellen Pastelltönen arbeiten will, sonst bilden sich unschöne Farbflecken.“ Außerdem immer von grobem Schleifpapier zu feiner werdendem arbeiten, bis eine samtige Oberfläche entsteht.

Step by Step zum aufgehübschten „alten“ Möbelstück

  1. Idee und Planung: Das Möbelstück genau untersuchen – muss es repariert werden, sollen Teile ersetzt werden oder will man nur die Farbe ändern? Für jeden nötigen Schritt herausfinden, welches Werkzeug und Material benötigt wird, und diese im Vorfeld besorgen.
  2. Reparieren: Steht eine Reparatur an, muss sie im Regelfall zuerst vorgenommen werden. Risse und ausgebrochene Stellen lassen sich mit Möbelkit in Ordnung bringen. Zerbrochene Glasflächen, morsche Ladenböden oder durchgesessene Sitzpölster müssen ersetzt werden. Profis unterstützen beim Nachbauen von schwierigeren Teilen, das Internet mit Anleitungen. Neue Teile aber noch nicht wieder am Möbel anbringen.
  3. Zerlegen: Spätestens vor dem Schleifen sollten weitere Sitzpolster, Griffe, Knäufe und Beine abgenommen werden. Auch Laden, Einlageböden und Türen sollten abmontiert und gesondert weiterbearbeitet werden.
  4. Schleifen: Die Oberflächenbehandlung ist einer der wichtigsten Arbeitsschritte. Ein kurzer Probeschliff an einer unauffälligen Stelle entscheidet, ob die Oberfläche sauber zu bekommen ist. Bei passender Farb- und Oberflächenbeschaffenheit kann später überstrichen bzw. überklebt werden, dann ist nur ein Anschliff nötig. Ansonsten muss völlig abgeschliffen werden. Zwischen Schleifschritten kann nass gewischt werden. Dadurch stellen sich die Holzfasern auf und werden im nächsten Schleifschritt besser erfasst. Wenn man fertig ist, eher trocken wischen, da die Oberfläche sonst wieder rau wird.
  5. Verschönern: Die Einzelteile werden tapeziert, lackiert, gestrichen oder mit Folie beklebt. Produktdetails beachten! Beim Einlassen mit Öl muss beispielsweise nicht nur ein Überstand entfernt werden, damit die Oberfläche danach nicht klebt, auch besteht Selbstentzündungsgefahr für Lappen, mit welchen man das Öl aufgetragen hat.
  6. Zusammenbauen: Nach genügend langer Trockenzeit werden die Teile wieder zusammengesteckt, -geschraubt oder -geleimt. Zum Schluss Beine, Knäufe und Griffe montieren.

Anleitung vom Profi gesucht

Wer sich noch nicht alleine an ein geliebtes Stück herantraut, ist in den Händen einer anderen Handwerksunternehmerin erstklassig aufgehoben. Die Parallelen zwischen ihr und Anni Mori sind verblüffend. Die Vorarlbergerin Antoinette Rhomberg hat es gleichfalls der Liebe wegen nach Wien getrieben, wo sie sich nun ebenfalls seit rund sieben Jahren hingebungsvoll mit der Herstellung und Reparatur von neuen und alten Möbeln befasst. „Eigentlich bin ich gelernte Betriebswirtin, mein Freund Martin Papouschek ist spät berufener Tischlermeister. Als Martin mit seiner Ausbildung fertig war, haben wir überlegt, was wir beruflich gemeinsam machen wollen“, erzählt die Wahlwienerin. Eine Tischlerei nur für uns alleine zu gründen, war uns zu altbacken, das Eröffnen einer geteilten Gemeinschafts-Werkstatt sehr viel interessanter. Das minimalistisch lebende Paar, das sich privat auf rund 40 Quadratmetern wohlfühlt, wollte etwas Neues, noch nie Dagewesenes schaffen. Das ist ihnen mit ihrem gemeinsamen Handwerksunternehmen, dem WERKSALON Co-Making Space, im 22. Wiener Gemeindebezirk gelungen.

Drei Sessel mit geschwungenen Rückenlehnen - zwei mit rotem Bezug, einer ganz aus Holz - stehen in einer Werkstatt.
Diese hochwertig aus Buchenholz gefertigten aber in die Jahre gekommenen Esstischsessel wurden im WERKSALON repariert: Der Bezugstoff war teilweise durchgewetzt und fleckig, der Schaumstoff war nach 30 Jahren gerissen und die Sperrholzplatten kaputt oder eingebrochen. Nach zwei intensiven Arbeitstagen waren die Sessel vielleicht schöner als je zuvor. Foto: Werksalon Co-Making Space GmbH, werksalon.at

Ein Besuch lohnt sich

Der 400 Quadratmeter große Co-Making Space vereint Werkstatt, Atelier, Workshops, Arbeitsplatz und Kreativschule für Laien und Profis. „Bei uns können sich selbständige Architektinnen, Designer, Tischlerinnen, Schneidermeister, Autorinnen und viele andere aus der Kreativbranche langfristig einmieten und jenes Equipment nützen, das sie benötigen. Das kann ein reiner Computerarbeitsplatz, ein Atelier oder eine voll ausgestattete Tischlerwerkstatt sein. Hobbyist*innen können stunden- oder tageweise Werkzeug und Material nach Gebühr vor Ort benützen und erhalten professionelle Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Projekte“, sagt Antoinette. Das System ähnelt einem Fitness-Center, wo man entweder selbst nach Eigenwissen sportelt, sich zwischendurch den Rat von Trainer*innen holt oder lieber einen Kurs bucht.

In acht Stunden zum eigenen Tischchen

Workshops ermöglichen erste Erfahrungen mit Materialien und Werkzeug. Angeboten werden Tischler-Workshops, in denen ein Tischchen, ein Kästchen oder ein Bücherregal angefertigt wird, spezielle Holzbearbeitungskurse, die in die Tiefe gehen, Polster- und Tapezier-Workshops, Brillenbau-Workshops sowie Kurse für Kinder und Teenager. Wer noch mehr braucht, der bucht sich ein Individual-Training mit dem Tischlermeister.

Über 1,7 Millionen Tonnen Rest- und Sperrmüll fallen jährlich in österreichischen Haushalten an. Das sind mehr als 170 Eiffeltürme. Ein guter Teil des Rest- und Sperrmülls wäre sicherlich wiederverwendbar.
Quelle: rundgehts.at

Aufmöbeln: Reparatur Werkstatt-Tage

„Was das Wiederbeleben von Möbeln betrifft, eignen sich unsere Reparatur-Werkstatt-Tage. Dabei können eigene Wunschmöbel im Kurs repariert werden. Zudem bieten wir allen Kund*innen eine kostenlose Vorab-Beratung an. So kann man den alten Polstersessel der Uroma per Foto schicken und wir besprechen gemeinsam, was machbar ist, welches Material man braucht, was es kostet und wie viel Zeit man benötigt“, so die Werksalon-Gründerin.

Selbermachen macht glücklich

„Wenn die Leute selbst etwas machen, dann sehen sie, wie viel Zeit und Mühe in einem Möbel stecken, und sind letztlich unfassbar stolz, was sie geschaffen haben. Egal, ob es sich um die Reparatur von etwas Altem handelt oder um etwas ganz neu Gebautes“, erklärt Antoinette.

Dos and Don‘ts in Sachen nachhaltig Handwerken

Do: Recycling- oder Upcycling-Material zum Aufhübschen verwenden, zum Beispiel alte Vorhangstoffe für Polstermöbel oder alte Schrankgriffe für ein anderes Möbelstück nutzen.

Do: Bei Kleber, Farben und Lacken auf Inhaltsstoffe und Öko-Zertifizierung achten. Am besten eigenen sich Stoffe, die sogar für Kinderspielsachen zugelassen sind.

Do: Genau rechnen, damit wenig übrigbleibt, und nicht nach dem Motto „viel und billig“ kaufen. Gute Planung macht auch das Bauen leichter. Restmaterial mit anderen teilen oder verschenken.

Do: Schablonen, Pinsel und Rollen sorgfältig reinigen und wiederverwenden.

Do: Möbel-Zubehör, wie Knäufe und Beine, secondhand erstehen. Auch diverses Werkzeug, wie Sägen, Schleifer oder Schraubenzieher, kann man so bekommen oder ausleihen.

Don‘t: Abbeizen! Als „abbeizen“ oder „ablaugen“ bezeichnet man einen hochgiftigen Prozess, der mittels chemischer Stoffe Farbanstriche und Lacke entfernt. Das erspart an sich mühevolles Abschleifen, die Frage ist nur, ob es den Preis wert ist.

Don’t: Jeden Internet-Trend und Einrichtungs-Hype nachmachen, ohne ihn zu hinterfragen. Momentan ist es „in“, Tische und andere Einrichtungsgegenstände mit Epoxidharz zu gestalten. Epoxidharz gefährdet die Umwelt, reizt Haut, Schleimhäute und Augen und muss in den Sondermüll.

In Möbeln stecken Erinnerungen

Das Magische am Werksalon sind das Flair und der Spirit vor Ort. Noch nie hat man so viele motivierte und selbst tätig werdende Personen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, nebeneinander gesehen: Profis zwischen Laien, Alt neben Jung, Intellektuelle mischen sich unter Künstler und klassische Arbeiter. „Es ist einfach unbeschreiblich, zu beobachten, wenn ein Vater mit seinem Sohn kommt, um das Kinderbett für das neue Jugendzimmer umzubauen. Dann arbeiten die beiden Schulter an Schulter in der Werkstatt an etwas, das sich von Geburt an in ihrem Haus befindet, und daraus wird etwas ganz Neues.“

Von Wertschätzung und Investition

Bevor man künftig ein Möbelstück wegschmeißt, so sind sich die beiden Werkstattqueens Anni und Antoinette einig, sollte man überlegen, ob man es nicht aufhübschen, reparieren oder anders nutzen könnte. „Lediglich wenn etwas total durchgemorscht ist, würde ich es entsorgen“, sagt Anni. Bevor man etwas ganz Neues kauft, lohnt es sich, Gebrauchtes zu ergattern. „Das Holz, das jeden Kurs-Sonntag bei uns zu Möbeln umgewidmet wird, hat mehr gesehen als unsere Großeltern. Die Eiche vom neuen Nachtischchen hat vielleicht sogar den ersten Weltkrieg überlebt“, bringt es Antoinette auf den Punkt. Denn Möbel sind Gebrauchs- und nicht Verbrauchsgüter.

Bedeutung von Reparatur – Recycling – Upcycling – Restauration

Reparieren, Reparatur. Duden: „etwas, was nicht mehr funktioniert, entzweigegangen ist, schadhaft geworden ist, wieder in den früheren intakten, gebrauchsfähigen Zustand bringen“

Veranschaulicht: Das beschädigte Scharnier einer Kommodenlade wird wieder funktionstüchtig gemacht oder eine ausgebrochene Tischkante wird mit Möbelkit wieder nachgebildet. Das Möbel, wie es ursprünglich war, verändert dabei jedoch nicht bis kaum sein Erscheinungsbild.

Recycling. Duden: „Weiternutzung von Abfallstoffen oder gebrauchten Gegenständen durch Umwandlung in höherwertige Materialien bzw. Waren“

Veranschaulicht: Die maroden Beine des Esstisches der Urgroßmutter werden durch neue ersetzt und das Möbelstück wird dadurch nicht nur vor der Entsorgung gerettet, sondern wird weiter genützt und erhält damit einen ganz neuen Wert. 

Upcycling. Duden: „Aufbereitung und Wiederverwendung bereits benutzter Rohstoffe“

Veranschaulicht: Dabei können auch Gegenstände und Materialien zweckentfremdet werden, z. B. alte Heizungsrohre werden zu Seitenelementen eines Bücherregals oder leere Weinflaschen werden zu einer Deckenlampe. Wie das Wort „up“ vermuten lässt, wird hier vermeintlicher Müll aufgewertet.

Lisa Strebinger

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