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Wild und wunderbar

Wie schmeckt der Sommer?  Kraftvoll wie Thymian. Entspannt wie Salbei, der seinen Gute-Laune-Duft vom Wind verteilen lässt, während die orangen Blüten der Kapuzinerkresse am Gaumen eine zarte Schärfe hinterlassen. Die wilden Kräuter bringen Würze in unser Leben und manchmal auch kleine Wunder in den Alltag.

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Foto: Anita Arneitz

Menschen können ganz schön brutal sein. Mit dem Rasenmäher wird der Löwenzahn geköpft, mit den Schuhen auf den Gänseblümchen herum getrampelt und der lästige Giersch wütend mit einem Ruck aus dem Blumenbeet gerissen. Aber die Wildkräuter lassen sich nicht so schnell vertreiben. Über die Jahrhunderte hinweg haben sie gelernt zu kämpfen. Bereits ein paar Tage nach dem „Massaker“ im Garten steht das Gänseblümchen wieder in voller Blüte auf der Wiese. In der kleinen Pflanze steckt wie in vielen anderen Wildkräutern eine enorme Lebenskraft. Als es noch keine Labors oder Hightech-Forschungsgeräte gab, nahmen sich die Menschen Zeit und beobachteten die Natur. Um zu überleben, mussten sie sich auf ihre Intuition verlassen. Sie wussten nicht, warum eine Pflanze gegen Fieber half, nur dass sie ihre Eigenschaften auf den Menschen zu übertragen schien. Dieses Wissen wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben.

Fast vergessener Erfahrungsschatz

Die Rezepte wurden in den Klöstern niedergeschrieben. Immer wieder tauchen historische Aufzeichnungen auf. In Mariazell wurden die Rezeptbücher von Michael Hölzl gefunden, der von 1821 bis 1871 als Apotheker arbeitete. „Die Heilkunde damals war eine Erfahrungsheilkunde“, erklärt Angelika Prentner, die 2007 die Apotheke übernahm und eine Heilpflanzen-Akademie gründete. Nach ihrem Studium der Pharmazie forschte die Steirerin in Südamerika und der Schweiz. Zurück in ihrer Heimat will sie, dass das wertvolle Wissen über heimische Kräuter nicht weiter in Vergessenheit gerät. „Kräuter waren schon immer die Grundlage zur Herstellung von Heilmitteln. Sie spielten aber auch in der Ernährung der Menschen eine zentrale Rolle“, sagt Prentner. Die Frühlingskräuter mit ihren Bitterstoffen regten den Stoffwechsel an, reinigten den Körper und führten ihm gleichzeitig natürliche Mineralien, Spurenelemente, Vitamine und Nährstoffe zu. Diese können vom Körper vollständig aufgenommen und umgesetzt werden.

Wissen aus der Signaturenlehre

Früher lebten die Menschen viel intensiver mit und in der Natur. Sie konnten die Zeichen der Natur deuten und betrachteten die Pflanzen: Wo wachsen die Pflanzen – in der Sonne, im Schatten, im Trockenen oder im Feuchtgebiet? Welche Form haben die Blätter? Welche Farbe die Blüten? Aus all diesen Zeichen zogen sie Rückschlüsse auf die Wirkung. Das wird als Signaturenlehre bezeichnet. „Heute kann man die Pflanzen mit den modernen Analysemethoden sehr genau untersuchen und es zeigt sich, dass die Menschen recht hatten“, sagt Prentner.

In Europa werden schätzungsweise rund 1000 Pflanzen für Heilzwecke eingesetzt. Ein Großteil davon sind Kräuter, die wild auf Äckern, Wiesen oder Wälder wachsen. Diese krautigen Pflanzen, die in einer bestimmten Region heimisch sind und nicht durch Züchtungen verändert worden sind, werden Wildkräuter genannt. Beinhalten diese auch medizinisch wirksame Inhaltsstoffe sagt man Heilkraut zu ihnen. „Für die Herstellung unserer Heilmittel verwende ich nur Heilkräuter in Arzneibuchqualität, also aus kontrolliertem Anbau, da hier die Wirkstoffgehalte stabiler sind und diese überprüft werden.“ Die Wirkstoffe von wilden Kräutern oder jenen, die angesetzt werden, sind immer dieselben, nur die Konzentration kann unterschiedlich sein. Standort, Klima, Boden und Sonneneinstrahlung beeinflussen die Intensivität der Wirkstoffe. Allgemein sind Wildkräuter oft robuster, da sie sich in ihrer Umgebung behaupten müssen und von niemandem beschützt, gepflegt oder gegossen werden.

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Autorin: Anita Arneitz