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Über den Tellerrand schauen

Berührungspunkte zwischen den Generationen gibt es laut dem Soziologen Franz Kolland außerhalb des familiären Kontextes kaum. Vier Projekte, die sich generationenübergreifenden Begegnungen verschrieben haben, zeigen, wie bereichernd und horizonterweiternd es sein kann, wenn Junge und Alte zusammenkommen.

Durch eine Loch in einer knallig gelben Papierwand schaut ein Fernglas.
Foto: Alexey Surgay, iStock

Selbst schwimmen zu können und jemandem das Schwimmen beizubringen, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das musste Christa Sünder feststellen, als sie sich mit der zehnjährigen Amy aufmachte, um mit ihr schwimmen zu üben. „Ich schwimme gerne, aber ob ich es so gut kann, dass ich jemandem dabei helfen kann, wusste ich nicht“, sagt die 66-jährige Wienerin. Den Schwimmunterricht haben Christa und Amy gut gemeistert. Normalerweise trifft Christa die Zehnjährige allerdings in einem anderen Setting. Die pensionierte Ergotherapeutin unterstützt das Mädchen, dessen Eltern aus Nigeria stammen, im Rahmen des intergenerationellen OMA/OPA-Projekts im 17. Wiener Gemeindebezirk beim Lernen. „Wir haben begonnen, da war sie sechseinhalb, jetzt ist sie zehneinhalb und kommt in die Pubertät. Das ist wahnsinnig spannend für mich.“ Gemeinsam Hausübung machen, lernen, spielen, einander erzählen, was im eigenen Leben los: Christa und Amy sind eines von vielen Lernteams, die es aktuell an drei Standorten – in Wien, in Amstetten und in Krems – gibt.

Eine alte Frau und eine Jugendliche legen Blätter auf einem Blatt Papier auf.
Foto: JunA

Begegnung im Seniorenheim

Auf eine ganz andere Form der generationenübergreifenden Begegnung hat sich der Tiroler Verein JunA spezialisiert. Unterschiedliche Projekte sollen Berührungsängste zwischen den (ganz) Jungen und den Ältesten in der Gesellschaft abbauen. Da werden Senioren in Innsbruck von Freiwilligen in einer Rikscha aus ihrem Wohnheim abgeholt, um eine Runde durch ihr ehemaliges Wohngebiet zu drehen oder bei einem Eis zu plaudern. In der Generationen-Werkstätte sind Jung und Alt gemeinsam kreativ, interaktive Lesungen in Schulen sollen Kinder für das Thema Demenz sensibilisieren, bei Besuchen in Pflegewohnheimen kommen einander Kinder und alte Menschen nahe. Bei diesen Treffen gebe es zwar anfangs Scheu und Zurückhaltung, „spätestens nach dreißig Minuten sind die Berührungsängste aber weg“, erzählt Tatjana Pospisil, Gründerin von JunA. Die Senior*innen blühen auf und die Kinder lernen Verständnis und Empathie im Umgang mit jenen, die im Alter von verschiedenen Einschränkungen betroffen sind. Damit die Begegnungen in den Pflegeheimen für alle Beteiligten gewinnbringend sind, brauche es die professionelle Begleitung des Vereins. Eine Begleitperson, die die Treffen anleitet, achtet deshalb darauf, dass diese nicht zu lange dauern, nicht zu viel Programm auf einmal gemacht wird und die Pflegeabläufe nicht zu sehr durcheinander gebracht werden. „Wenn man darauf Rücksicht nimmt, dann sind diese Begegnungen wirklich wunderschön.“

Ein älterer und ein jüngerer Mann in einer Küche.
Foto: Wohnbuddy

Wohnbuddy: Wo alt und jung zusammenwohnen

Wie bereichernd es sein kann, über den eigenen „Generationentellerrand“ zu schauen, zeigt auch das Projekt Wohnbuddy, das in Wien jungen Wohnungssuchenden erschwinglichen Wohnraum bei älteren Menschen oder in Senioren- und Pflegewohnheimen vermittelt. „Das ist für alle eine Win-win-Situation“, sagt Marlene Welzl von Wohnbuddy. Die Jungen wohnen günstig und finden familiären Anschluss, die Älteren bekommen Gesellschaft und Unterstützung bei alltäglichen Tätigkeiten. „Für viele Ältere werden wieder Aktivitäten möglich, die sie schon aufgegeben haben, wie zum Beispiel der Besuch im Theater.“ In welchem Umfang die jungen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner ihren Vermieter*innen zur Hand gehen, vereinbaren sie im Vorfeld. Beim Wohnungsangebot in den Seniorenheimen gibt es ein festgelegtes Stundenpensum pro Monat. „Das Besondere ist, dass beide Seiten raus aus ihrer Alltagsblase kommen“, sagt Welzl. Klimawandel und Digitalisierung, die Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt, und die Vergänglichkeit des Lebens: Alt und Jung kommen mit Themen in Berührung, die ihnen sonst wohl nicht begegnen würden. Es zeige sich, dass die Lebensrealitäten von Alten und Jungen gar nicht so verschieden sind. Und dass es für ein gutes Zusammenleben immer Respekt und Rücksichtnahme braucht – unabhängig davon, ob Junge und Alte jeweils unter sich bleiben oder gemischt unter einem Dach wohnen. „Die Probleme in unseren Wohngemeinschaften sind keine anderen wie in den WGs von Gleichaltrigen. Es geht immer um Fragen wie ‚Wer hat die Küche nicht aufgeräumt?‘“ Führen unterschiedliche Gewohnheiten von Alten und Jungen nicht eher zu Konflikten? Welzl verneint. „Ein typisches Stereotyp ist, dass sich die Alten darüber aufregen würden, wenn die Jungen zu laut Musik hören.“ Genauso komme es aber vor, dass der laute Fernseher des betagten Zimmernachbarn im Seniorenheim die junge Studentin stört. „Da muss man dann eben miteinander reden.“

Ein junges Mädchen und eine ältere Frau beim Lernen.
Foto: Spendeninfo

Niederschwellige Lernbetreuung

Beim OMA/OPA-Projekt begleiten Freiwillige bildungs- und sozial benachteiligte Kinder, die überwiegend Migrationshintergrund haben. „Viele der Kinder haben keine Großeltern in Österreich“, sagt Hannes Reitberger, Co-Projektleiter. „Diese Rolle kann von den Lernhelferinnen und Lernhelfern eingenommen werden, die bei uns größtenteils Senior*innen sind. Diese haben Zeit, viel Lebenserfahrung und können mit den Kindern eine ganz andere Art von Beziehung eingehen als ihre Eltern, wie Großeltern eben.“ Die niederschwellige Lernbetreuung beim OMA/OPA-Projekt bringt Menschengruppen zusammen, die einander im Alltag kaum begegnen. Das sei eine der großen Stärken der Initiative, sagt Reitberger. „Bei uns kommt es zum Dialog zwischen den Generationen und zwischen den Kulturen.“ Den Senior*innen biete das Projekt die Möglichkeit, sich aktiv und selbstwirksam zu engagieren. „Damit prägen wir auch ein neues Bild des Alterns mit“, ist Reitberger überzeugt. „Unsere Freiwilligen begleiten junge Menschen in ihrer Entwicklung und werden so zu Vorbildern. So gelingt spielerisch soziale Inklusion.“

Eine ältere und eine jüngere Frau bei der gemeinsamen Gartenpflege.
Foto: Lebensräume für Jung und Alt

Lebensräume für Jung und Alt

Im Wohnprojekt „Lebensräume für Jung und Alt“ in Klagenfurt leben Menschen aller Altersstufen – vom Kleinkind bis zum 95-Jährigen – unter einem Dach, wenn auch nicht in einem Haushalt. Die von der Diözese Gurk gebaute Wohnanlage bietet 30 Wohnungen und will das Miteinander der Bewohner*innen fördern. „Hier im Haus kennt jeder jeden“, sagt Adelheid Erdetschnig, die das Projekt hauptamtlich begleitet. Man trifft sich zu Veranstaltungen und Festen und unterstützt einander im Alltag. Jede*r trägt bei, was sie bzw. er kann. „Die Jungen kennen sich super mit allen technischen Dingen aus. Wenn einer einen neuen Internetanschluss braucht, wissen die meistens Bescheid, wo es das günstigste Angebot gibt.“ Die Älteren helfen Familien häufig bei der Kinderbetreuung. Viele Jahre hat davon zum Beispiel Alexandra Praster profitiert, die mit ihren beiden Töchtern, 12 und 16 Jahre alt, in einer der Wohnungen lebt. „Die älteren Damen im Haus sind für meine Kinder Vertrauenspersonen. Sie sind wie Omas, mit denen sie auch mal das besprechen können, was sie der Mama nicht sagen wollen“, sagt die 44-Jährige. Offenheit und die Bereitschaft, sich auf die anderen Bewohner*innen einzulassen, sei eine Voraussetzung für den Einzug ins Wohnprojekt. „Es ist zum Beispiel wichtig, dass die Älteren die Kinder respektieren und Kinderlärm auch aushalten.“ Grundsätzlich seien spielende Kinder im Garten für die älteren Bewohner*innen aber ein Grund zur Freude, nicht für Frust, sagt Alexandra Praster. „Oft sieht man, wie die Älteren am Balkon stehen, den Kindern zuschauen und irgendwann selbst in den Garten runterkommen.“

Webseiten:

www.nl40.at/oma-opa-projekt/

www.wohnbuddy.com

www.kath-kirche-kaernten.at/dioezese/organisation/C4045

www.junamoment.at

Sandra Lobnig

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