Was lernen Schüler*innen über Wirtschaft und Umwelt?
Wirtschaft im Kontext ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit - eine Analyse österreichischer Schulbücher
Wirtschaft ist die Summe der Einrichtungen zur Deckung des menschlichen Bedarfs an Gütern und Dienstleistungen, so eine gängige Definition in Lexika. Doch unser Wirtschaftssystem ist hochgradig arbeitsteilig und vernetzt, damit auch komplex. Unterschiedliche Interessen, Präferenzen, Wahrnehmungen und Zielkonflikte spielen eine Rolle. Wirtschaftliche Bildung muss dieser Komplexität Rechnung tragen.
Wie wird Wirtschaft im Kontext aktueller sozialer Herausforderungen und angesichts planetarer Grenzen in österreichischen Schulbüchern dargestellt?
Dieser Frage ging der Wirtschafts- und Sozialgeograf Hans Holzinger in einer soeben erschienenen umfangreichen Studie nach. Die Themenfelder reichen von der Darstellung von Bedürfnissen und dem Ziel von Wirtschaften über die Messung von Wohlstand und Lebensqualität bis hin zu den Herausforderungen durch ökologische Krisen, die zunehmende soziale Ungleichheit und den Grenzen des Wachstums in einer endlichen Welt.
Untersucht wurden die sechs für die Oberstufen der Allgemeinbildenden Höheren Schulen derzeit zugelassenen Schulbücher „Durchblick kompetent“, „Geografisch“, „Geospots“, „global“, „Meridiane“ und „Perspektiven“. Die Inhalte der Schulbücher werden auf der Basis der aktuellen Fachdiskurse bewertet.
Zu den Bewertungen der sechs Schulbücher
- Durchblick,
- Geografisch,
- Geospots,
- global,
- Meridiane und
- Perspektiven.
Zum Verfasser:
Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeograf, Senior Adviser der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, Mitglied von Scientists for Future. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Nachhaltigkeit, neue Wohlstandsmodelle, Transformationsforschung. 2024 ist sein Buch "Wirtschaftswende" bei oekom erschienen
Hans Holzinger: Wirtschaft – Umwelt – Klima – Soziales. Die Darstellung von Wirtschaft in Österreichs Schulbüchern für Geografie und wirtschaftlicher Bildung im Kontext von nachhaltiger Entwicklung und planetarer Grenzen. Salzburg 2025. 280 Seiten
Die Ergebnisse in Kürze
Mehrheitlich gehen die Schulbücher wie die Mainstream-Ökonomie von „unbegrenzten“ Bedürfnissen und Wünschen aus, die von der Wirtschaft mit knappen Mitteln befriedigt werden müssen. Dass Werbung in der Erzeugung von Bedürfnissen eine Rolle spielt und dass es auch immaterielle Bedürfnisse gibt, wird konstatiert, Marktsättigungen in materiell reichen Volkswirtschaften werden jedoch nicht benannt. In der Ökologischen Ökonomie wird die Annahme unbegrenzter Bedürfnisse sowie das Bild des lediglich auf materiellen Eigennutz bedachten“homo oeconomicus“ aber stark hinterfragt.
Wirtschaftswachstum
Weiteres Wirtschaftswachstum wird als wichtiges Ziel von Wirtschaftspolitik beschrieben, dabei aber mehr oder weniger deutlich auf den Zielkonflikt mit ökologischen Herausforderungen verwiesen. Einige Schulbücher benennen auch den Ansatz der Postwachstumsökonomie, dem jedoch der Ansatz des qualitativen Wachstums entgegengestellt wird. Dem stehen aber Analysen der Nachhaltigkeistforschung entgegen, dass die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch trotz besserer Technologien bisher nicht in dem gebotenen Ausmaß gelingt. Nur ein Schulbuch verweist auf die Problematik des physikalisch unmöglichen exponentellen Wachstums. Die ökosoziale Marktwirtschaft wird überwiegend als „Sonderform“ beschrieben – sie muss jedoch zur neuen Norm werden.
Ungleicheit
Das Thema Ungleicheit wird unterschiedlich behandelt. Während einige Schulbücher lediglich auf die globale Ungleichheit bzw. jene in Ländern wie den USA eingehen, thematisieren andere auch die Ungleichheit und zunehmende soziale Spaltung in Österreich bzw. in europäischen Ländern. Letztere verweisen auch auf die geringe Besteuerung von Vermögen in Österreich und benennen Vermögens- bzw. Erbschaftssteuern als diskutierte Ansätze. Aus demokratiepolitischen, ethischen wie volkswirtschaftlichen Gründen wird jedoch eine fairere Verteilung des Wirtschaftsprodukts unumgänglich sein, da die öffentliche Verschuldung an ihre Grenzen stößt. Eine Schuldenbremse erfordert neben Effizienzmaßnahmen auch eine Vermögensbremse.
Arbeit
Auch das Thema Arbeit wird unterschiedlich akzentuiert behandelt. Während die meisten Schulbücher nur auf Erwerbsarbeit eingehen und Teilzeitarbeit von Frauen vor allem mit ihrer Doppelrolle als Mutter bzw. Hausfrau erklären, problematisiert ein Schulbuch mit Verweis auf die feministsche Ökonomie den Aussschluss von Sorgearbeit aus dem wirtschaftlichen Diskurs sowie Geschlechterstreotypien. Die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse sowie das Problem von Arbeitslosigkeit werden thematisiert, insbesondere auch Jugendarbeitslosigkeit. Neue Arbeitszeitmodelle wie eine Vier-Tage-Woche, weitere Arbeitszeitverkürzungen sowie die freigewählte Reduzierung der Arbeitszeiten im Sinne von Wunscharbeitszeit werden nicht bzw. kaum benannt, was für Jugendlicheaber Thema sein wird. Stichwort Generation Z und die Debatten über deren „Arbeitsmoral“. In der Ökologischen und der Postwachstusökonomie spielen weitere Arbeitszeitverkürzungen im Sinne der Neuverteilung des schrumpfenden Arbeitsvolumens jedensfalls eine wichtige Rolle.
Klimakrise
Sehr unterschiedlich und auch unterschiedlich ausführlich wird die Klimakrise thematisiert – in den Schulbüchern ist lediglich von Klimawandel die Rede. Mehrere Schulbücher betonen neben den Gefahren der Klimaerwärmung auch die dadurch entstehenden „Chancen“, etwa für den österreichischen Tourismus, da die Menschen im Sommer die kühleren Alpen den überhitzten Mittelmeerstränden vorziehen würden. Ein Schulbuch – es ist wiederum jenes, das auch auf die Bedeutung der Carearbeit eingeht – beschreibt die Risiken der Klimaerwärmung und die bisher zu zögerliche Klimapolitik dem Stand der Klimaforschung gemäß. Dieses Schulbuch geht auch ein auf die „Planetary Boundaries“, die vom Stockholm Resilience Center jährlich fortgeschrieben werden und anzeigen, wo wir uns gefährlichen Ökokipppunkten nähern – dazu zählen auch der Verlust an Biodiversität, die Auslaugung der Böden sowie die Wasserverknappung. Die Klimakrise muss als solche bezeichnet, die Ergebnisse der Klimaforschung, etwa der IPCC-Berichte, müssen dargestellt werden. Formulieren wie „Der Mensch oder die Menschheit ist verantwortlich…“ sind irreführend und wären zu ersetzen etwa durch „Die Menschen in den Hochkonsumländern sind verantwortlich …“, sowie in der Fachliteratur statt von Anthropozän von Kapitalozän gesprochen wird.
Energie
Auffallend ist auch, dass das Thema Energie vor allem mit der Frage des Versiegens fossiler Energieträger verbunden wird – Stichwort „Peak Oil“ – und nicht mit der Klimaproblematik. Das oben zitierte Schulbuch geht ausführlich auf die Erneuerbare Energiewende ein, ein weiteres stellt zumindest die in der EU geplante Energiewende im Kontext der vereinbarten Klimaziele ausführlich dar. Die anderen Schulbücher haben hier Aufholbedarf.
Mobilität
Die Mobilitätswende wird zum Teil mit dem Übergang zu E-Antrieben angesprochen, wenn auch mit Einwänden dagegen. E-Mobilität wird nur ein Teil der Lösung sein, ihre bessere Ökobilanz gegenüber Verbrennungsmotoren ist aber mittlerweile bewiesen. Die Mobilitätswende wird in Zukunft vor allem aus „Verkehr vermeiden und verlagern“ bestehen müssen. Dazu kommen neue Antriebe, die in E-Motoren zu sehen sind.
Kreislaufwirtschaft
Der Begriff der Kreislaufwirtschaft wird einige Mal verwendet, dieser jedoch vor allem mit Recycling verbunden. Rohstoffe im Kreislauf zu halten – Stichwort „Urban Mining“ – wird wichtig sein, im Zentrum des Ansatzes der Kreislaufwirtschaft steht jedoch das Länger-Nutzen von Geräten. Das erfordert neue Produktdesigns, also langlebigere und reparierbare Geräte, sowie neue Nutzungsformen – vom gemeinsamen Nutzen bis hin zu Second-Hand.
Übernutzung des Planeten
Die Übernutzung des Planeten wird – wiederum mit einer Ausnahme – nicht bzw. viel zu wenig als strukturelles Problem des hohen Güterausstoßes durch die industrielle Produktionsweise sowie den Expansionsdrang des Kapitalismus beschrieben. Meist wird der Ökologische Fußabdruck sowie der World Overshoot Day als Beleg für die Übernutzung des Planeten herangezogen. In dier fachdiskussion wird am Ökologischen Fußabdruck jedoch kritisiert, dass er nur auf die individuelle Veränderung des Lebensstils abzielt und strukturelle Änderungen außen vorlässt. Mit dem Konzept des Handabdrucks werden strukturelle Maßnahmenvorschläge mit größerer Hebelwirkung vermittelt. Das heißt: In der Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsbildung müssen strukturelle Zusammenhänge zwischen Produktionsweisen und Konsum- bzw. Lebensstilen hergestellt werden, Tipps für Lebensstilmaßnahmen reichen nicht.
Wirtschaftspolitik
In der Behandlung der Wirtschaftspolitik wird auf das magische Vieleck und die sich daraus ergebenden Zielkonflikte etwa zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz, Vollbeschäftigung und Umweltschutz oder Wohlfahrtsleistungen und Staatsverschuldung eingegangen. Wie bei der Thematisierung von Nachhaltigkeit wird dabei Ökologie als ein Aspekt neben anderen dargestellt. Aus Sicht der Ökosystemforschung muss der Erhalt der Lebensgrundlagen den anderen Zielen vorgereiht werden – Ansatz der „strengen Nachhaltigkeit“ –, weil intakte Ökosysteme die Grundlage allen Lebens sind. In Zukunft muss in den Schulbüchern stärker die Frage gestellt werden, welches materielle Wohlstands- und Kaufkraftniveau ökologisch verträglich ist. Gesprochen wird von „Konsumkorridoren“ sowie Minimal- und Maximaleinkommen. Wirtschaftspolitik würde dann vom Ziel des Erhalts des erreichten Lebensstandards übergehen zu einer Strategie, die die Sicherung der Grundbedürfnisse in den Mittepunkt stellt. Dies hieße etwa Erhalt und Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge statt Stimulierung des privaten Konsums. Nicht der Erhalt des hohen materiellen Standards, sondern die gute Versorgung mit den Grundgütern muss auch ins Zentrum der Sozialpolitik rücken.
Kapital & Kapitalismus
Alle Schulbücher thematisieren die Beschaffung von Kapital für Unternehmen, das Funktionieren der Finanzmärkte und die unterschiedlichen Anlageformen. Neben den Chancen und Risiken für Anlegende wird auch die Möglichkeit von nachhaltigen Investments beschrieben. Diese seien für jene gedacht, die soziale und ökologische Verantwortung übernehmen wollen. Doch das reicht nicht. In Zukunft müssen alle Kapitalströme in nachhaltige Investments fließen – dies ist einer der größten Hebel für die Wirtschaftswende und eine notwendige Beschneidung bzw. Einhegung des Kapitalismus.
Anlageformen
Bei den in den Schulbüchern meist sehr ausführlich beschriebenen Anlageformen und die teilweise affirmative Aufforderung nicht nur in Sparbüchern Geld anzulegen, fehlt die Thematisierung der Frage, wer in der Gesellschaft es sich leisten kann, in größeren Mengen Kapital zu investieren. Grafiken zur Vermögensverteilung werden, wenn überhaupt, unkommentiert wiedergeben. Dies müsste jedoch in allen Schulbüchern thematisiert werden – und auch die grundsätzliche Frage, wie weit es ethisch vertretbar ist, nicht selbst, sondern sein Geld für sich arbeiten zu lassen, wie dies etwa in einem neuen Zweig der Wirtschaftsethik mit dem Begriff des Limitarismus ausgedrückt wird. Gemeint wird damit, auf welche Höhe Kapitalgewinne begrenzt werden sollen im Sinne eines „begrenzten Kapitalismus“.
Strukturwandel
Thematisiert wird auch der Strukturwandel in den einzelnen Wirtschaftssektoren. Im Bereich Landwirtschaft wird durchaus auf die Probleme der Intensivbewirtschaftung und des zu starken Kunstdünger- und Pestizideinastzes eingegangen, dabei aber sehr bzw. zu stark auf das veränderte Bewusstsein und Konsumverhalten der Menschen gesetzt. In allen Schulbüchern wird der hohe Anteil der Biolandwirtschaft in Österreich als Pionierland betont. Doch das Agrarsystem muss generell ökologisch ausgerichtet werden und es muss auch die Ernährungskultur zum Thema werden – insbesondere der zu hohe Fleischkonsum, der aus Gesundheits- und Klimagründen problematisch ist. Nicht thematisiert wird die Massentierhaltung aus ethischer Perspektive, was ich bemängle, auch wenn Tierethik im Lehrplan im Religionsunterricht verankert ist.
Industrie
Beim Thema Industrie werden vor allem die Herausforderungen durch Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer sowie die Chancen und möglichen Risiken durch weitere Automatisierungen angesprochen. Dass die Industrie mit ihren teilweise sehr hohem Energieeinsatz etwa in der Chemie-, Stahl- oder Zementindustrie vor großen Herausforderungen steht, wenn diese „grün“ werden soll, muss in den Schulbüchern ebenso Thema werden wie die Grenzen dieser Strategie.
Dienstleistungen
Bei Dienstleistungen wird vor allem auf den Handel als größtem Bereich dieses Sektors sowie auf wirtschaftsnahe Dienstleistungen eingegangen. Die Attraktivität und Probleme von Shoppingcenter werden dabei ebenso angesprochen wie jene des Online-Handels. Kaum thematisiert werden die aus ökologischen Gründen gebotene Begrenzung des Konsums sowie die Bedeutung der sozialen und kulturellen Diensteistungen für das Funktionieren einer Gesellschaft – von den Kindergärten und Schulen über die Krankenhäuser und Senioreneinrichtungen bis hin zur öffentlichen Verwaltung.
Tourismus
Beim Tourismus wird in den Schulbüchern sehr wohl auf ökologische und soziale Probleme wie Wasserverknappung, Klimawandelverstärkung oder „Overtourismus“ eingegangen. Stärker zu reflektieren wären jedoch die Motive des Reisens und wie viel Reisen zukünftig aus ökologischen Gründen noch machbar sein wird. Der Tourismus muss sich nicht nur an sich verändernde klimatische Bedingungen anpassen, er trägt selbst nicht unwesentlich zur Klimakrise bei.
Entwicklungszusammenarbeit
Globalisierung und weltweiter Handel werden in den meisten Schulbüchern mit ihren Chancen und Problemen beschrieben. Genannt werden etwa billigere Produkte durch mehr Wettbewerb als Vorteil für uns als Konsument*innen, die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer als Nachteil, wobei die Gewichtung nach Schulbüchern variiert. Das bestehende Welthandelssystem wird teilweise kritisiert, der Welthandel an sich aber nicht in Frage gestellt. Auffallend ist, dass einige Schulbücher hier ausführlich auch globalisierungskritische Bewegungen wie Oxfam oder attac vorstellen. Aus ökologischer Sicht muss Wirtschaftsbildung nicht nur über einen ethischen oder fairen Welthandel reflektieren, sondern auch darüber, wie viel Welthandel überhaupt sinnvoll und nötig ist.
Alle Schulbücher gehen auf Entwicklungszusammenarbeit ein, meist wird dabei auch der Begriff „Entwicklungsländer“ reflektiert, aber dennoch verwendet, auch der Begriff „unterentwickelte Länder“ kommt weiterhin vor. Die in manchen Schulbüchern vorgebrachte Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit ist berechtigt, aufgepasst werden muss aber, dass diese nicht Wasser auf den Mühlen jener wird, die diese aus Spargründen einstellen wollen.
Wichtig ist eine Reflexion über die Begriffe „Entwicklung“, „nachholende Entwicklung“ sowie „Entwicklung des Nordens und des Südens.“ Denn der vorherrschende Wirtschafts- und Lebensstil in den nach wie vor fossil angetriebenen Hochkonsumländern ist alles andere als nachhaltig, daher auch entwicklungsbedürftig. Der in manchen Schulbüchern neben Effizienz und Konsistenz eingeführte Begriff der Suffizienz wird eine wichtige Leitlinie für das 21. Jahrhundert sein müssen. Dies erfordert seitens der Politik ein entsprechendes „Erwartungsmanagement“ gegenüber der Wählerschaft und ein offenes Ansprechen mit den Schüler*innen in der Wirtschaftsbildung.