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Nistplatz Schottergrube

Wo Vögel und Bagger leben

Ein Vogel sitzt auf einer löchrigen Sandsteinwand.
Foto: Schweighofer

Für den Schutz der Natur sind wir alle. Welcher Weg dabei eingeschlagen werden soll, darüber sind sich Naturschutz und Wirtschaft oft uneins. Ein Bericht, wie das Miteinander gelingen kann.

Bei Vanni Bianchi herrscht reger Betrieb. Vor seiner Werkstatt in Oberdrauburg steht ein geräumiges Gehege, in dem sich gerade eine kleine Eule mit gebrochenem Flügel von ihrer Verletzung erholt. Kund*innen kommen und gehen. Sie bringen manchmal verletzte, doch meist tote Vögel, nehmen sie Wochen später ausgestopft mit nach Hause oder schenken sie Vanni. Drinnen in der Werkstatt riecht es nach totem Fleisch. Ein wenig wie nach dem Schlachten auf dem Bauernhof, also nicht für jeden Magen geeignet. Der gebürtige Italiener ist Tierpräparator und seit seiner Kindheit ein geradezu fanatischer Vogelliebhaber. Viele der rund 1.600 Vögel, die er detailreich präpariert hat und im Museum „Vannis Vogelwelt“ ausstellt, sind durch den Zusammenprall mit Masten, Scheiben oder Stromleitungen zu Tode gekommen. Sie sind gleichzeitig einzigartige Kunstwerke und mahnende Beispiele für den Konflikt zwischen Mensch und Natur.

In der öffentlichen Wahrnehmung werden Naturschutz und wirtschaftliche Interessen vielfach als Gegensätze wahrgenommen. „Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen“, sagen die einen. „Was nützt uns die schöne Natur, wenn dadurch Arbeitsplätze und Wertschöpfung flöten gehen“, entgegnen die anderen. Dabei gibt es eine Reihe von Beispielen, wo ein stimmiges Miteinander gelingt. Beispielsweise in vielen Schotter-, Kies- oder Sandgruben Niederösterreichs, die einerseits Abbaugebiet für wertvolle Rohstoffe und andererseits ein sogenannter Ersatzlebensraum für Vogelarten wie etwa den Flussregenpfeifer oder die Uferschwalbe sind. Denn ihr ursprünglicher Lebensraum, Schotterflächen in Flüssen, sind selten geworden.

Lebensraum für seltene Arten

„Für den Kiesbrüter schaut eine Schotterinsel in der Donau gleich aus wie eine Schottergrube. Wenn er keine Schotterinsel im Fluss vorfindet und in der Grube genügend Nahrung vorhanden ist, dann brütet er eben dort. Dem Vogel ist das egal“, erklärt Gabor Wichmann, Geschäftsführer von BirdLife Österreich. Er ist der Meinung, dass Schotterabbau und Naturschutz gut zusammenpassen: „Viele der Lebensräume beziehungsweise Arten wären gar nicht mehr da, wenn es die Schottergruben nicht gäbe. Das muss man auch als Naturschützer so sagen. Natürlich wäre es mir lieber, wenn die Donau frei fließen würde und schöne Schotterflächen hätte. Aber das gibt es halt in der Form kaum noch.“

BirdLife Österreich arbeitet eng mit dem Forum mineralische Rohstoffe sowie den Abbauunternehmen zusammen, um die Artenvielfalt zu erhalten. Bevor schweres Gerät anrollt, wird die Grube gemeinsam begangen. „Dabei wird bestimmt, ob zum Beispiel Nisthilfen benötigt werden oder in welchen Bereichen Wände neu abgestochen und aufkommender Bewuchs vor den Brutplätzen entfernt werden muss. Durch die fachkundige Beratung vor Ort werden Betriebsabläufe verbessert und auf die Bedürfnisse der teilweise bedrohten Vogelarten abgestimmt“, beschreibt Petra Gradischnig, Geschäftsführerin des Forums mineralische Rohstoffe, die Kooperation.

Besonders sensibel sei die Brutzeit. „Um beispielsweise eine ungestörte Brut des seltenen Bienenfressers zu gewährleisten, müssen Steilwände in aktiv genutzten Sand- und Kiesgruben in der Zeit von Anfang Mai bis Ende August geschützt werden. In dieser Zeit erfolgt kein Abbau.“ Die gemeinsamen Begehungen in den Gruben hätten auf Seiten der Unternehmen schon viele Aha-Erlebnisse bewirkt, erzählt Wichmann: „Sie erkennen: Aha, ein solches Naturjuwel habe ich hier! Das sind nicht nur seltene Vögel, sondern auch Amphibien oder Libellen. Die Unternehmen sind stolz, einen Beitrag zur Förderung von Biodiversität zu leisten.“

Best Practice in Niederösterreich

Wie schauen die Naturschutzmaßnahmen konkret aus? In Schwadorf und Rauchenwarth im Bezirk Bruck an der Leitha wurden mehrere Flachwasserzonen für Watvögel wie Kiebitz, Flussuferläufer und Rotschenkel erhalten, wenngleich diese in heißen und trockenen Sommern zeitweilig austrocknen. Drei bestehende Brutwände in feinkörnigem, lockerem Material, wo sich Uferschwalben und Bienenfresser besonders wohl fühlen, wurden durch Nachgraben verbessert. In St. Pantaleon im Bezirk Amstetten hat das Abbauunternehmen sehr zur Freude der Uferschwalben einen hohen Sandhaufen neu angelegt, der immer wieder frisch abgestochen wird, um Brutwände zu schaffen. In Lassee-Schönfeld im Bezirk Gänserndorf hat man eine vorhandene Mulde mit Lehm abgedichtet, um Lebensraum für Amphibien, Reptilien und Insektenlarven zu schaffen – auch die Vögel lieben die auf diese Weise neu geschaffene Vogeltränke.

Besonders artenreich ist eine Schottergrube in Nussdorf ob der Traisen im Bezirk St. Pölten Land. Hier kreucht und fleucht es, dass es nur so eine Freude ist. Sogar die erfolgreiche Brut von Flussregenpfeifern ist nachgewiesen. Flussuferläufer, Zwergdommel, Kolbenente, Haubentaucher, Kiebitz, Teichrohrsänger und Drosselrohrsänger fühlen sich in dieser besonderen Schottergrube zuhause, weil die Schotterflächen regelmäßig entbuscht werden und der abbauende Betrieb eine Brutinsel vergrößert, erhöht sowie durch einen Kiesriegel gegen Fische geschützt hat. Amphibien, Insektenlarven und Watvögel finden die so entstandene Flachwasserzone richtig klasse.

Diese und weitere Maßnahmen wurden durch das Projekt „Arten- und Lebensraumschutz in Rohstoffgewinnungsbetrieben in Niederösterreich“ umgesetzt beziehungsweise eingeleitet: ein Vorbild für andere Regionen und gleichzeitig Erfolgsgeschichte über den Einklang von Naturschutz und Wirtschaft.

Flexibilität, Vertrauen und Offenheit

„In Summe sind die Nutzungskonflikte in den Gruben lösbar“, ist Wichmann überzeugt. Die Abbaubetriebe würden sich sehr darum bemühen, einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt zu leisten – ganz im Gegenteil zu vielen Motocrossfahrer*innen, die ohne Rücksicht auf Besitzverhältnisse oder Artenschutz in den Gruben ihre Runden drehen.

Der Schlüssel zu einem wertschätzenden Miteinander ist für Wichmann eine Kombination aus viel Flexibilität auf beiden Seiten, viel Vertrauen und einem Maßnahmenkatalog, der für die Unternehmen gut umsetzbar ist. Das bedeutet, den Betrieben möglichst wenig Personal- und Maschineneinsatz abzuverlangen, die Arbeiten in der Grube zweckmäßig aufeinander abzustimmen, die Bewirtschaftung nicht übermäßig zu erschweren und Ertragseinbußen zu vermeiden. Gradischnig stößt ins selbe Horn: „Es braucht den Willen, sich für die Artenvielfalt einzusetzen und natürlich das Verständnis für die unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten. Viele der Maßnahmen werden während des laufenden Betriebs umgesetzt, sie müssen machbar sein und gleichzeitig einen Mehrwert für die Tiere bieten. Hier machen langfristige Kooperation Sinn, sie sind nachhaltiger und man profitiert von den bereits gesammelten Erfahrungen“, lobt Gradischnig die Partnerschaft mit BirdLife Österreich.

Der BirdLife Geschäftsführer, der im Alter von vier Jahren das erste Fernglas geschenkt bekam, glaubt, dass der eingeschlagene Weg weitere Kreise ziehen kann. „Es wird nicht immer und überall eine Lösung geben, aber ich glaube, dass man sich mit Offenheit gegenüber den Argumenten des jeweils anderen zumindest annähern kann.“

Regina M. Unterguggenberger

 

Ein etwas rundlicher Vogel mit braunen Flügeln, weißem Bauch und schwarz umrandete Augen.
Flussregenpfeifer, Foto: Samuel Schnierer
FLUSSREGENPFEIFER
CHARADRIUS DUBIUS

Ein Zugvogel, der die kühlere Jahreszeit in der Mittelmeerregion oder in Afrika verbringt. Zur warmen Jahreszeit brütet er auch bei uns. Er bewohnt Schotterflächen und legt meist vier
farblich gut getarnte Eier in eine kleine Mulde im Boden. Die Jungen sind Nestflüchter, laufen also sofort los und suchen nach kleinen Insekten, Würmern, Spinnen.

Der Flussregenpfeifer schätzt feuchte Flächen, weil da das Nahrungsangebot reichhaltiger ist. Der europäische Gesamtbestand wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf etwa 110.000 bis 240.000 Brutpaare geschätzt. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erhöhte vor allem der Kiesabbau die Zahl der möglichen Niststandorte und somit den Bestand.

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