zum Inhalt springen

Die Wärme aus der Tiefe

Eineinhalb Millionen österreichische Haushalte heizen mit Öl oder Gas – eine große Herausforderung für den Ausstieg aus fossiler Energie. Dabei liegt eine Energiequelle direkt unter unseren Füßen: die Erdwärme. Wie funktioniert Geothermie?

Eine Luftbildaufnahme eines Thermalbassins.
Foto: Dan Meyers/unsplash

Kohle und Öl sollen nur noch bis 2035 zum Heizen verwendet werden dürfen, Erdgas bis 2040. Ein aktueller Gesetzesentwurf sieht vor, Gas im Neubau bereits ab dem Jahr 2023 zu verbieten – mit Ausnahme bereits genehmigter Projekte. Doch was ist die Alternative?

Unterhalb der Erdoberfläche befindet sich eine natürlich vorkommende Energiequelle in praktisch unerschöpflichem Ausmaß: die Erdwärme. In Gesteins- und Erdschichten sowie in unterirdischen Wasserreservoirs gespeicherte thermische Energie zählt zu den erneuerbaren Energiequellen. Nutzen wir diese Wärmequelle zum Heizen, Kühlen oder zur Erzeugung von elektrischem Strom, nennt man dies Geothermie.

Verschiedene Formen von Geothermie

Grundsätzlich wird zwischen zwei Arten von Geothermie unterschieden: der oberflächennahen und der tiefen Geothermie.

Für die Beheizung und Kühlung von Gebäuden spielt vor allem die oberflächennahe Geothermie eine Rolle. Dabei wird der Untergrund bis zu einer Tiefe von ca. 400 Metern und Temperaturen von bis zu 25 Grad Celsius genutzt. Kaltes Wasser wird durch Leitungen ins Erdreich gepumpt, erwärmt sich dort und wird dann wieder nach oben befördert. So genannte Erdsonden (Bohrlöcher) erreichen tiefere Erdschichten und brauchen im Verhältnis zu Flachkollektoren in einer Tiefe von nur ca. ein bis eineinhalb Metern deutlich weniger Platz. Zur oberflächennahen Geothermie zählt auch die Grundwassernutzung mittels Brunnenanlagen. Probebohrungen schaffen Klarheit über das Potenzial und zeigen, welches System eingesetzt werden kann. Je nach Standort sind Bewilligungen der Wasserrechtsbehörde erforderlich.

Kehrt das Wasser erwärmt aus dem Erdreich zurück, bringt es eine Wärmepumpe auf ein nutzbares Temperaturniveau zum Heizen oder zum Kühlen. Damit diese Pumpe möglichst wenig Strom verbraucht, sollte die Gebäudehülle gut gedämmt und großflächige Abgabesysteme wie Fußboden-, Wand- oder Deckenheizungen vorhanden sein. Denn nur sie können mit geringen Vorlauftemperaturen arbeiten.

40 - 60 %
DER MÖGLICHEN HYDROTHERMALEN GEOTHERMIE
IN ÖSTERREICH LIEGEN NACH HEUTIGEN SCHÄTZUNGEN IM
WIENER BECKEN

Die tiefe Geothermie ist die direkte Nutzung von Erdwärme aus einer Tiefe von ca. 1.500 bis 5.000 Metern und Temperaturen von über 60 Grad Celsius. Dabei nutzen sogenannte hydrothermale Systeme natürliche Thermalwässer und petrothermale Systeme heiße, trockene Gesteinsschichten.

Ein hydrothermales System transportiert mit einer Tiefenbohrung heißes Wasser an die Oberfläche und führt das abgekühlte Wasser anschließend wieder in den Untergrund zurück. Bei einem petrothermalen System wird das Gestein aufgebrochen, wodurch viele kleine Klüfte geschaffen werden, durch die eingebrachtes Wasser fließen und Wärme aufnehmen kann. Eine Förderbohrung bringt das Wasser an die Oberfläche; mittels einer Injektionsbohrung wird das abgekühlte Wasser nach der Wärmeentnahme wieder in das Gestein zurücktransportiert.

Tiefe Geothermie ist eine große Chance für das Wiener Becken: Dort befinden sich nach heutigen Schätzungen 40 bis 60 Prozent der möglichen hydrothermalen Geothermie in Österreich – eine Wärmeleistung von 450 bis 700 Megawatt. Seit 2016 erforscht das Projekt „GeoTief“ die Potenziale für die Wärmeversorgung des Großraums Wiens und hat dabei einen Wasserspeicher in rund 3.000 Metern Tiefe mit einer Temperatur von bis zu 100 Grad Celsius entdeckt. Er könnte in Zukunft bis zu 125.000 Wiener Haushalte mit klimafreundlicher Wärme versorgen. Das Potenzial wird mit bis zu 120 Megawatt in etwa doppelt so hoch wie die Wärmeleistung des Heizkraftwerks Spittelau eingeschätzt. Petrothermale Anlagen gibt es in Österreich bisher nicht.

Das Erdreich als Wärmespeicher

Die langfristige Speicherung von erneuerbarer Energie zählt zu den zentralen Herausforderungen der künftigen Energieversorgung. In den Sommermonaten fällt zwar viel erneuerbare Wärme an, der Bedarf an Heizwärme ist aber gering – im Winter ist es genau umgekehrt. Wärmespeicher ermöglichen es, die Erträge aus dem Sommer einzuspeichern und im Winter nutzbar zu machen.

Sein großes Volumen und seine thermische Trägheit machen das Erdreich zu einem idealen Wärmespeicher. Bereits heute ist eine mittel- und langfristige Speicherung in einem Temperaturbereich von unter zehn Grad Celsius (Kältespeicherung) bis ca. 90 Grad Celsius bei niedrigen Verlusten möglich. Auch hier unterscheiden sich oberflächennahe Systeme und Speicher im tieferen Untergrund.

Grafik: Wien Energie

Im oberflächennahen Untergrund zwischen 50 und 200 Metern wird vorrangig Niedertemperatur-Wärme bis ca. 30 Grad Celsius mithilfe von Erdwärmesonden gespeichert – dazu zählt beispielsweise Wärme aus Kühlanlagen. Auch thermisch aktivierte, erdberührte Bauteile sowie das Grundwasser können zur Speicherung in geringer Tiefe genutzt werden. Bei günstigen geologischen Bedingungen wird bei den sogenannten Niedertemperatur-Aquiferspeichern im Sommer Wasser aus einem „kalten“ Brunnen entnommen, erwärmt und in einen „warmen“ Brunnen eingespeist. Im Winter steht das eingespeicherte warme Wasser dann z. B. für die Beheizung von Gebäuden zur Verfügung.

Das Erdreich wird auch in lokalen Niedertemperatur-Wärmenetzen, sogenannten Anergienetzen, als Wärmespeicher eingesetzt. Diese nutzen vor Ort verfügbare erneuerbare Energie- und Abwärmequellen zur Beheizung von Gebäuden. Ein Rohrleitungsnetz verbindet Energiequellen und -verbraucher, Wasser mit ca. vier bis 20 Grad Celsius transportiert die Wärme zwischen den Gebäuden. Speziell in dicht bebauten Gebieten können begrenzte Flächen- und Energiepotenziale so besser genutzt werden als in Einzelhaus-Lösungen. Durch angeschlossene Erdspeicher kann im Sommer Wärme aus Wohnräumen entzogen und im Erdreich gespeichert werden – eine Heizung für den Winter und gleichzeitig eine kostengünstige Kühlung der Wohnräume. Dieses Konzept wurde im „Smart Block Geblergasse“, einem gründerzeitlichen Wohnblock in Wien, umgesetzt, welcher mit dem Staatspreis für Architektur & Nachhaltigkeit 2021 ausgezeichnet wurde. Die geothermische Klimatisierung mittels oberflächennaher Wärmespeicherung ist bei Industrie- und Bürogebäuden oder Einkaufszentren bereits üblich. Mit fortschreitender Klimaerwärmung wird sie nun zunehmend auch für Wohngebäude relevant.

Im tieferen Untergrund – also zwischen ca. 300 und 2.000 Metern Tiefe – ist die Speicherung von Wärme bzw. Kälte ebenso in Aquiferspeichern möglich, welche natürlich im Untergrund gespeichertes Wasser nutzen. Dabei können große saisonale Speicherkapazitäten von zehn bis über 50 Gigawattstunden erschlossen werden. In Österreich sind bisher keine Anlagen zur Wärmespeicherung im tiefen Untergrund in Betrieb.

GEOTHERMIE IN ÖSTERREICH

ca. 90.000
oberflächennahe Erdwärme-Anlagen
erzeugen mit ca. 1.100 Megawatt Leistung
ca. 2.300 Gigawattstunden Wärme

10
hydrothermale Anlagen
erzeugen ca. eine Gigawattstunde Strom und
300 Gigawattstunden Wärme

Die Auswirkungen der Geothermie

Verändert sich die Temperatur des Grundwassers, so kann sich dies auf die Grundwasser-Mikrofauna (und ihre Lebensgemeinschaften) und Ökosystemprozesse auswirken – je nachdem wie stark sich die Temperatur verändert und welche Qualität das Grundwasser aufweist. Bei sauberem Grundwasser wirken sich wenige Grad Celsius nur unwesentlich auf die Beschaffenheit des Wassers und die Ökosystemfunktionen aus. Verschmutztes Grundwasser hat einen direkten negativen Einfluss auf Lebensgemeinschaften und Ökosysteme. Deshalb bestehen in Österreich für die thermische Grundwassernutzung wasserrechtliche Vorgaben. In vielen städtischen Gebieten sind durch zahlreiche Wärmequellen Erdreich und Grundwasser bereits um einige Grad Celsius wärmer als der natürliche Zustand. Eine gezielte, nachhaltige thermische Nutzung könnte Grundwasser und Erdreich wieder auf ein natürliches Niveau zurückführen. Anstelle zahlreicher unkoordinierter Einzelanlagen sind daher abgestimmte Nutzungs- und Bewirtschaftungspläne gefragt.

In Österreich könnte Geothermie
die Umstellung von einem fossilen zu einem
nachhaltigen Energiesystem unterstützen.

Werden Erdwärmesonden bis zu 300 Metern Tiefe saisonal (also über ein Jahr hinweg) ausgeglichen betrieben, so sollte sich dies kaum auf Pflanzen oder Tiere auswirken. Die Fläche über den Sonden kann normal genutzt bzw. bepflanzt werden. Lediglich über Flachkollektoren können keine Bäume mehr gepflanzt werden – eine Wiese zum Ballspielen ist aber kein Problem.

Da Erdwärme mit Wärmepumpen arbeitet, ist für die ökologische Bewertung der Strommix entscheidend. Je höher der Grünstrom-Anteil ist, umso besser schneidet das System im Vergleich zu fossilen Heizsystemen ab. Mit dem österreichischen Strommix stoßen effiziente Erdwärme-Wärmepumpen-Anlagen 75 bis 85 Prozent weniger Treibhausgase aus.

Ein symbolisches Thermometer gibt die Jahresarbeitszahl von regenerativen Systemen (bis 6), Erdsonden-Systemen (4-4,5), Flächenkollektoren (3,5-4) und Luft-Wärmepumpen (2,5-3) an.
Gestaltung: liga.co.at
So effizient ist Geothermie

Die Jahresarbeitszahl (JAZ) gibt an, wie viele Teile Wärme aus einem Teil Strom generiert werden können – je höher diese Zahl, desto effizienter ein System. Ein Wert von 4 bedeutet beispielsweise, dass aus 1 Kilowattstunde Strom 4 Kilowattstunden Wärme gewonnen werden kann. Spitzenreiter sind regenerative Systeme, welche das Erdreich als Speicher nutzen und dieses nicht nur abkühlen, sondern im Sommer auch wieder aufwärmen.

Potenziale für Geothermie in Österreich

In Österreich könnte Geothermie die Umstellung von einem fossilen zu einem nachhaltigen Energiesystem unterstützen und Teile des Energiebedarfs der Fern- und Prozesswärme, des Heiz- und Kühlbedarfs von Gebäuden, aber auch die saisonale Wärmespeicherung abdecken. Nicht zu vergessen die Gewinnung elektrischer Energie und ihr Beitrag zur Sektorkopplung, welche die Bereiche Strom, Wärme, Verkehr und Industrie verbindet.

Geothermie-Anlagen benötigen im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien wenig Platz an der Erdoberfläche – es braucht keine Lagerflächen für Brennstoffe und im Betrieb fallen weder Abgase, Lärm noch Abwärme an. Einmal eingebaut, laufen sie relativ wartungsarm und zuverlässig über Jahrzehnte. Darüber hinaus nutzen sie lokal verfügbare Energiequellen, stärken die regionale Wertschöpfung und erhöhen die Unabhängigkeit von Energieimporten. Die Technologien zur Erdwärmenutzung sind ausgereift und bieten eine preisstabile und ausfallsichere Wärme- und Kälteversorgung. Sie stellen somit eine nachhaltige Lösung dar, um den steigenden Kühlbedarf – vor allem in Städten – nachhaltig decken zu können.

Eine junge Frau mit langen, blonden Haaren, hellen Augen und einer schmalen Nase. Sie blickt direkt in die Kamera und lächelt.
Foto: ÖGUT, Petra Blauensteiner

 

Bianca Pfefferer, MSc

Expertin der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) für die Themenbereichen Energie und Innovatives Bauen.




 

Links und weitere Informationen

BMK „Raus aus Öl und Gas“

Klimaaktiv Heizungsmatrix

BMK, Kesseltausch

KPC Förderungen:

Wärmestrategie

FTI-Roadmap Geothermie (BMK & Klima- und Energiefonds):

Energy Innovation Austria (BMK & Klima- und Energiefonds), Ausgabe 2/2021 „Wärme aus der Tiefe“

Forschungsprojekt Manage_GeoCity (Stadt der Zukunft, BMK)

Projekt GeoTief Wien (Klima- und Energiefonds)

Smart Block Geblergasse (Klima- und Energiefonds)

AnergieUrban Stufe 1
AnergieUrban Leuchttürme

Verein Geothermie Österreich

Geologische Bundesanstalt

Umweltbundesamt Deutschland

Abo bestellen