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Pazifikinsel: Die Hüter der Meere

Seit Jahren kämpft die indigene Bevölkerung einer kleinen Pazifikinsel für den Schutz des Meeres. Ihr Gegner: Die Regierung Neuseelands. Dank eines aktuellen Präzendenz-Urteils könnte sie jetzt die Geschichte ändern. Ihre eigene und die der ganzen Welt.

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Foto: Doris Neubauer Doris Neubauer

Endlose Sandstrände auf der einen und eine wilde Felsenküste auf der anderen Seite – auf den ersten Blick unterscheidet sich das zehn Quadratkilometer kleine Motiti, das zehn Kilometer vor der Ostküste Neuseelands liegt, nicht von anderen Inseln im Pazifik. Vor einigen Jahren ist es jedoch unerwünscht zu Ruhm gelangt: Am 5. Oktober 2011 ist das Containerschiff „Rena” auf dem Riff Astrolabe unweit der Küste auf Grund gegangen. Es war die größte Umweltkatastrophe Neuseelands: 234 Tonnen Öl und Abfälle verunreinigten den Ozean, in dem sich zuvor Krebse, Muscheln, Königsdorsche und Schnapperfische getummelt hatten. Weitere 350 Tonnen Öl wurden in den kommenden Wochen von den Klippen der Insel abgeschabt.

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Foto: Darryl Torckler Foto: Darryl Torckler

Die Katastrophe brachte paradoxerweise etwas Positives: Um das Riff nicht noch mehr zu beschädigen, wurden im Umkreis von zwei Seemeilen Fisch- und Tauchverbote verhängt. Zwar blieb das Wrack trotz Protesten von Umweltschützern und Maori-Gruppen wie dem „Motiti Rohe Moana Trust (MRMT)” am Riff, doch ohne schädlichen menschlichen Einfluss konnte sich das Meeresleben wieder erholen. Zumindest teilweise. Im April 2016 nämlich erklärte die Regierung Neuseelands nicht nur das Astrolab zum Tauchplatz, sondern gab es erneut für Fischer frei. „Jetzt ist das Riff wieder so zerstört, wie vor der Schutzphase”, beschwert sich Umuhuri Matehaera vom MRMT. Die Maori zogen deshalb gegen die Regierung von Neuseeland vor Gericht. „Wir kennen unsere Umgebung am besten", argumentiert Matehaera, „wir sollten entscheiden dürfen, was geschützt werden soll und wie."

Die Maori wollen die Lebenskraft für künftige Generationen bewahren

Das Verantwortungsgefühl für ihre Umwelt steckt den Maori im Blut: Sie nennen sich „Tangata Whenua" (Menschen des Landes), betrachten sich als seine Hüter und wollen die „Mauri" (Lebenskraft) für künftige Generationen bewahren. „Während westliche Ansätze die Bestände einer bestimmten Art zu ihrem eigenen Vorteil nutzen, heißt Meeresschutz für uns, unsere kulturelle und spirituelle Verbindung mit der Lebenskraft des Ozeans zu erhalten," erklärt Meeresbiologe Te Atarangi (T.A.) Sayers, der durch 15 Generationen von Whakapapa (eine bedeutsame Form der Genealogie) mit Motiti verbunden ist: „Das ist ökologisch nachhaltiges Management”. Statt die Natur auszubeuten, solle sie von künftigen Generationen genutzt werden können.

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Foto: Doris Neubauer Foto: Doris Neubauer

Das Umweltgericht in der Bay of Plenty befürwortete diesen Ansatz: Gemäß eines Präzedenz-Urteils vom Dezember 2016 sollen Communities mit regionalen Behörden im Rahmen des „Ressources Management Acts” Meeresgebiete schützen können, wenn sie deren ökologische, kulturelle oder spirituelle Bedeutung für die Gemeinschaft nachweisen. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung wurde im Sommer 2017 vorm Höchstgericht bestätigt; Einsprüche der Regierung, die das bisher per Gesetz verhindert hatte, wurden abgewiesen. Damit haben Communities erstmals die Möglichkeit, gegen Schäden durch Massenfischerei, Plastikmüll sowie sonstiger Verschmutzung vorzugehen.

Genau das hatten nicht nur Motiti, sondern auch Regionen wie Marlboro auf der neuseeländischen Südinsel seit einer Weile verlangt; auch Omaha an der nördlichen Spitze freut die Entscheidung: Dort sorgten Fischernetze für Ressentiments, nachdem sich Schwimmer in ihnen verfangen hatten. „Die Entscheidung ist aber nur gut, wenn sie die Küstengemeinden als Chance nutzen“, stellt T.A. Sayers klar, „sie müssen die kulturelle, ökologischen oder spirituellen Werte des Meeres erkennen und definieren, was diese für ihre Gemeinschaft bedeuten.” Die Maori von Motiti haben diese Arbeit getan. Damit andere Regionen von deren Erkenntnissen profitieren, hat der 33-Jährige das Projekt „Nomad Ocean” ins Leben gerufen, in dem er bei einer Neuseeland-Umsegelung in den teils entlegenen Küstengemeinden Workshops abhalten wird, um mit den Communities konkrete Maßnahmen zu erarbeiten.

Ein Fluss mit Persönlichkeitsrechten

Damit leisten die Maori von Motiti nicht nur für den Meeresschutz Neuseelands Pionierarbeit. Auch andere Nationen wie Wales zeigen Interesse, sind doch Küstenvölker weltweit mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Maori wären nicht das erste Mal Vorreiter in Sachen Umweltschutz: Im März 2017 hatte der Whanganui River im Norden Neuseelands als weltweit erster Fluss Persönlichkeitsrechte erhalten, nachdem dies lokale Indigene gefordert hatten. Seitdem kann jeder angeklagt werden, der ihn direkt oder indirekt beschädigt. Dieses Konzept hat mittlerweile in Ecuador, Bolivien und Indien Nachahmer gefunden. Auch das Meer sollte juristische Person werden, plädieren progressive Wissenschaftler wie Daniel Hikuroa von der Universität von Auckland. Bis dahin braucht es starke Fürsprecher, wie die Maori von Motiti. Für sie ist der Kampf trotz Präzedenz-Urteil nicht vorbei: Ihre Pläne für die Meeresschutzzone rund ums Astrolab wurden von den regionalen Behörden abgewiesen. Im November ziehen sie erneut vor Gericht. Die kleine Insel Motiti wird wohl noch länger Geschichte schreiben...

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Foto: Doris Neubauer Foto: Doris Neubauer

AUTORIN: DORIS NEUBAUER

Die Journalistin Doris Neubauer ist Mitbegründerin des "Nomad Ocean-Projekts". Gemeinsam mit dem neuseeländischen Meeresbiologen T.A. Sayers segelt sie in ihrer 8-Meter-Yacht um Neuseeland, um in Küstengemeinden auf Meeresschutz aufmerksam zu machen.

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