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Schule ohne Noten?

Neurobiologe Dr. Marcus Täuber: „Unser Schulsystem geht daran vorbei, wie Menschen ticken“.

Zwei Mädchen im Grundschulalter schreiben mit Kreide Multiplikationen an eine Tafel, sie sehen einander dabei lachend kommunizierend an.
Foto: Monstera Production / Pexels

Ist eine Schule ohne Noten wirklich nur Hirngespinst und Träumerei? Der Wiener Neurobiologe und Autor Dr. Marcus Täuber kann der Idee, Schulnoten abzuschaffen, viel Gutes abgewinnen. Zumindest in sehr jungen Jahren. Denn gerade bei Kindern sollten Persönlichkeitsbildung und emotionale Intelligenz im Fokus stehen.

Wenn es um pädagogische Konzepte wie Schulnoten geht, ist es wichtig, Nutzen und Schaden gegeneinander abzuwägen. Noten vermitteln den Anschein einer objektiven und leistungsfördernden Beurteilung. Für den Wiener Neurowissenschaftler Dr. Marcus Täuber ein Trugschluss: Mitarbeitsbeurteilungen sind stark subjektiv. Niemand kann das Verhalten anderer ohne die eigenen Wahrnehmungsfilter beobachten. Diese Art der Bewertung kann niemals objektiv fair sein. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, entwickelt häufig ein Gefühl von Machtlosigkeit und Demotivation. 

Schularbeiten und Prüfungen fokussieren auf kurzfristig erlernte Inhalte, nicht aber auf den tatsächlichen Fortschritt eines Menschen. Dadurch ist es nur schwer möglich, die eigene Entwicklung aus Noten abzuleiten. Gerade das wäre aber notwendig, um die intrinsische Motivation zu fördern und das Selbstwertgefühl zu steigern.

Hirn lernt Kontext mit

Unser Gehirn lernt immer auch implizit den Kontext, den Rahmen, in denen Bildung stattfindet, mit. Ein Schulsystem, das wie jetzt stark auf die Benotung von Mitarbeit und Prüfungen wert legt, kommuniziert dem Gehirn, dass externe Erwartungen und Ziele für das Lernen wesentlich sind. Dadurch steht nicht mehr die eigene Neugier und das gute Gefühl von Interesse im Vordergrund, sondern ein System aus Belohnung und Bestrafung. Im Grunde dressieren wir unsere Kinder statt ihrer Freude am Lernen und Gelingen gerecht zu werden.

Erkenntnisse aus der Psychologie zeigen, dass gute Gefühle wie Interesse, Inspiration oder Freude die Aufmerksamkeit erweitern, Kreativität und Produktivität fördern sowie mit einer positiven Grundstimmung einhergehen. Dadurch machen wir mehr gute Erfahrungen, die wiederum auf Psyche und Persönlichkeit positiv zurückwirken. Die US-Psychologin Barbara Fredrickson hat dazu die „Broaden-and-Build-Theory“ aufgestellt und spricht von einer positiven Aufwärtsspirale. „Dieses Modell wird mittlerweile durch zahlreiche Studien gestützt“, betont Marcus Täuber.

Wir brauchen eine Revolution im Schulsystem

Für Marcus Täuber ist es wichtig, gerade im Volksschulalter neben Rechnen, Lesen, Schreiben und motorischen Fähigkeiten auch die mentale und emotionale Stärke zu trainieren. Umgang mit Konflikten, Stress und den eigenen Gefühlen sollten erlernt und gute Gefühle gefördert werden. Dafür braucht es im Lehrplan genauso wie in der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Neben Entspannungs- und Meditationstechniken gehören Schauspieltraining und Kommunikation möglichst früh in den Schulplan integriert. Gerade bei diesen Fächern machen Noten überhaupt keinen Sinn.

Schulnoten dürfen nicht überwertet werden

Eine schulnotenfreie Volksschule eröffnet die Chance, die nötige Resilienz und Motivation zu entfalten, um später besser mit Stress umzugehen. Wenn in Gesamtschule und Gymnasium Schulnoten herangezogen werden, sollten diese nicht überbewertend betrachtet werden. Unser Schulsystem fokussiert darauf, dass ein Zeugnis keine negative Note enthalten soll. Dadurch werden enorme Anstrengungen unternommen, vermeintliche oder tatsächliche Schwächen auszubügeln, und es fehlt am Stärkenfokus.

Schülerinnen und Schüler sollten nicht in ihrer Leistung nivelliert werden, sondern die Möglichkeit haben, ihre Talente und Neigungen weiter zu entfalten. Dazu gehört, dass ein oder zwei Nicht Genügend niemals dazu führen sollten, ein ganzes Schuljahr zu wiederholen. Wahlfächer und Vertiefungsangebote sollten an Stellenwert gewinnen, um die eigenen Talente besser ausleben zu können.

Menschen streben nach dem Guten

Versuche an drei bis acht Monate alten Kindern zeigen, dass Tierpuppen bevorzugt werden, die anderen Tierpuppen helfen gegenüber jenen, die andere behindern. Mit anderen Worten: In uns Menschen ist die Veranlagung, nach dem Positiven und Guten zu streben. Der US-Psychologe Kim Cameron spricht in diesem Zusammenhang vom „heliotropen Effekt“. „Wenn wir uns schlecht fühlen, dann nicht weil wir von Natur aus schlecht sind, sondern weil das System in dem wir leben und lernen schlecht ist“, so Täuber.

Jede fünfte Schülerin und jeder fünfte Schüler leidet unter massiven Schulstress. Häufige Folge: psychische Störungen. Für Täuber ein Alarmsignal. Hier weiter zuzusehen, kommt einer unterlassenen Hilfeleistung gleich. Wir brauchen dringend ein Schulsystem, das auf das Positive ausgerichtet ist.

Menschen zu sagen, sie sollen positiv denken und das Glas halbvoll statt halbleer sehen ist unangemessen, wenn seit früher Kindheit Fehler mit einem Rotstift fett markiert werden statt die richtig gelösten Aufgaben in den Vordergrund zu stellen.

Wichtig: Richtig loben und bewerten

Bei allen Bewertungen, ob verbal oder über Noten ist es wichtig, den Schwerpunkt auf die Art und Weise zu legen, wie das Ergebnis erzielt worden ist, und weniger auf das Ergebnis selbst. Ein „mit Hartnäckigkeit diese Rechnung erlernt“ bekräftigt das erfolgreiche Verhalten. Ein „noch nicht“ in Ergänzung zu einer nicht gelungenen Leistung vermittelt, dass es möglich ist, die erforderliche Fähigkeit oder das fehlende Wissen zu erlernen und die jetzige Leistung eben nicht in Stein gemeißelt ist.

Ganz schlecht ist es, die Identität von Menschen zu beurteilen. Ein Kind, das erfährt, als „klug“ bezeichnet zu werden für eine gute Leistung, lernt im Gegenzug, dass es nicht klug ist, wenn es diese Leistung nicht erzielt. Das baut nicht nur Druck auf, sondern nagt auch am Selbstwertgefühl.

Gute Gefühle verändern alle Bereiche unseres Lebens

Marcus Täuber hat durch seine berufliche Auseinandersetzung mit psychologischer Beratung gelernt, wie viel Kraft in positiven Emotionen steckt. Mit seinem Buch "Gute Gefühle" möchte der Hirnforscher dazu einladen, die eigenen guten Gefühle zu entdecken, zu entwickeln und einzusetzen. Sie steigern die Lebenserwartung, die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität. Das führt nicht nur zu mehr persönlichem Glück – emotional reife Menschen kommen auch in ihrem Umfeld besser an.

Dr. Marcus Täuber ist promovierter Neurobiologe und Leiter des Instituts für mentale Erfolgsstrategien in Wien.

Zum Buch:

Dr. Marcus Täuber
Gute Gefühle - Nutze die emotionalen Stärken deines Gehirns

Hardcover, 200 Seiten, ISBN 978-3-99060-350-5

Erschienen 2023 im Goldegg Verlag, erhältlich im Buchhandel.