Kreislaufwirtschaft, Kooperation und Verantwortung
Tchibo, ARA AG und Johannes-Kepler-Universität erzählen, wie sie gemeinsam an einer nachhaltigeren Zukunft arbeiten.
Paul Unterluggauer (Tchibo Österreich), Harald Hauke (ARA AG) und Jörg Fischer (JKU Linz) geben Einblicke in aktuelle Herausforderungen, innovative Lösungen und ihre Vision für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem bis 2050.
LEBENSART: Wenn man an Tchibo denkt, denkt man an Kaffee aber vielleicht nicht unbedingt daran, dass Tchibo mit der ARA oder der Johannes-Kepler-Universität zusammenarbeitet. Warum sind solche Kooperationen wichtig?
Paul Unterluggauer: Gemeinschaften zu bilden ist der Weg in die Zukunft, da die Herausforderungen, die wir haben, so vielfältig sind – gerade was Umwelt und Nachhaltigkeit betrifft. Um beim Thema Kreislaufwirtschaft voranzukommen, braucht man starke Partner, die sich mit ihren Spezialgebieten einbringen. Bei der Verpackung geht es für uns darum, welches Material wir einsetzen und was wir reduzieren können. Die ARA bringt dafür ihre Expertise im Sammeln und zunehmend auch im Recyceln und in der Produktherstellung ein. Und ohne starke Partner in der Forschung wie die JKU könnte so etwas wie das Kapsel-Recycling ebenso wenig entstehen – daher hat sich auch diese Partnerschaft entwickelt. Man sieht, welche Energie noch in einer Kapsel steckt: wertvolle Ressourcen, denen wir die nötige Beachtung gemäß ihrem Potenzial schenken, und das schon bald 10 Jahre.
Harald Hauke: Auf der einen Seite gibt es einen gesetzlichen Anspruch. Dieser besagt, dass jeder, der ein verpacktes Produkt auf den Markt bringt, an einem Sammel- und Verwertungssystem teilnehmen muss. Das ist gesetzliche Pflicht.
Auf der anderen Seite sehen wir auch einen gesellschaftlichen und industriepolitischen Anspruch: Wir wollen mit unseren Kund*innen gemeinsam darüber nachdenken, was man als Sekundärrohstoff verwenden kann. Es gibt viele Materialien, die keine Verpackungen sind und für die aktuell keine gesetzliche Sammelpflicht besteht. Wir wollen es aber trotzdem schaffen, damit wir sie recyceln können. Im Fall der Kaffeekapsel können sowohl das Aluminium als auch der Kunststoff und der Kaffee wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. Dazu müssen wir gemeinsam mit unseren Kund*innen und der Forschung überlegen, wie das funktioniert, zum Beispiel wie wir der Wirtschaft Material zurückgeben und gleichzeitig der Gesellschaft signalisieren können: Wenn ihr eure Verpackungen getrennt sammelt, dann gehen sie wieder zurück in den Kreislauf.
Jörg Fischer: Aus Forschungssicht ist es wichtig festzuhalten, dass Verpackungen Hochleistungsprodukte sind. Man sieht das nicht, aber sie müssen unter anderem den Transport sicherstellen und gleichzeitig eine lange Haltbarkeit gewährleisten. Dadurch sind Verpackungen grundsätzlich ein spezieller Werkstoff. Genau das ist auch unsere Schwierigkeit, um sie im Kreis zu führen. Wenn wir bei den Kunststoffen immer den gleichen Kunststoff verwenden könnten, hätten wir das Problem der Kreislaufführung überhaupt nicht. Das ist jedoch nicht möglich, da jedes Produkt unterschiedliche Anforderungen hat. Deshalb schauen wir uns das Anforderungsprofil des Produkts und die jeweiligen Prozessstufen gemeinsam mit unseren Partnern genau an, um zu definieren, wie der Abfall aussehen muss, um jene Produkte wieder herstellen zu können.
Wir haben beispielsweise heute früh darüber diskutiert, dass wir beim Kaffee im Lebensmittelkontakt sind – und es ist teilweise schwierig wieder in den Lebensmittelkontakt zurückzukommen, weil gewisse Anforderungen nicht erfüllt werden können. Es gibt jedoch andere Produkte, wie zum Beispiel Kisten, für die sich das Material durchaus eignen würde.
Paul Unterluggauer: Oft entdeckt man erst über solche Gespräche, was alles möglich wäre – man muss das Wissen und die Anforderungen austauschen, um herauszufinden, was eine technische Lösung sein könnte. So hat sich auch in Zusammenarbeit mit der ARA erst gezeigt, welche Möglichkeiten bestehen – sie hat dann in Folge eine eigene Anlage für das Kapsel-Recycling entwickelt, um die Wertstoffe zu trennen. Und daraus entstehen dann vielfältige Produktideen.
Tchibo setzt sich ja schon sehr lange für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen und mehr Umweltschutz ein. Welche Herausforderungen bringt die heutige Zeit mit sich? Was hat sich an Ihren Bemühungen verändert?
Paul Unterluggauer: Wir wissen, wie wichtig es ist, die gesamte Lieferkette zu betrachten. Beim Kaffee beginnt das in den Anbauländern. Dafür haben wir ein eigenes Programm entwickelt, um Kaffeebauern und -bäuerinnen vor Ort zielgerichtet in der jeweiligen Region zu unterstützen. Brasilien als großes Kaffeeanbauland benötigt zum Beispiel eine andere Unterstützung als der kleine Kaffeebauer in Tansania: In Brasilien geht es mehr um den Klima- und Wasserschutz. In Tansania sind es der Generationswechsel, Zuverdienst und die Umstellung auf einen nachhaltigen Kaffeeanbau, zum Beispiel durch eine Kombination aus unterschiedlichen Pflanzen, für die Biodiversität und als zusätzliche Ernährungs- sowie Einkommensquelle.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind in den Lieferketten besonders spürbar, deswegen ist Klimaschutz und Emissionsreduktion ein wichtiger Teil dieser Initiative. Bis 2030 möchten wir unsere direkten Treibhausgasemissionen um 42 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2022 senken. Für die landwirtschaftlichen Lieferketten, insbesondere Kaffeeanbau, wird eine Reduktion um 30 Prozent angestrebt. Das langfristige Ziel ist, bis 2045 Netto-Null-Emissionen in der gesamten Lieferkette zu erreichen.
Wie sehen Sie das Lieferkettengesetz bzw. die Abschwächung in der Omnibus-Verordnung?
Auch im Recycling hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Wo steht das Recycling in Österreich?
Harald Hauke: Wir haben in Österreich eines der umfangreichsten Sammelsysteme aufgebaut: Für rund neun Millionen Menschen stellen wir fast 4,5 Millionen Sammelpunkte bereit. Pro Jahr bringen wir mehr als eine Milliarde Kilogramm Verpackungen sowie 100 Millionen Kilogramm Elektroaltgeräte und Batterien wieder in den Kreislauf zurück. Und bei Glas, Metall und Papier haben wir die EU-Recycling-Ziele für 2030 heute schon erreicht.
Kunststoff bleibt weiterhin eine Herausforderung, auch wenn sich in diesem Bereich bereits viel getan hat. Wir haben lange darauf hingewirkt, die Leichtverpackungs- und die Metallsammlung in ganz Österreich zusammenzulegen, um ein einheitliches System zu schaffen. Das ist gelungen. Zudem haben wir einer der modernsten Kunststoff-Sortieranlagen Europas gebaut, mit einer Sortiertiefe von mehr als 80 Prozent (das bedeutet, dass 80 % so getrennt werden können, um sie anschließend zu recyceln, bisher waren es in Österreich 58 %, Anm. d. Red.).
Zusätzlich haben wir ein europaweit patentiertes Konzept zur Aufbereitung von Polyolefinen entwickelt, um Verpackungen, die in der Vergangenheit nicht recycelt werden konnten, zu verarbeiten. Reste kommen zwar noch als Ersatzbrennstoff in die Zementindustrie, aber sie sind so aufbereitet, dass dies CO2-reduziert ist, da das Material frei von biogenen Abfällen ist.
Das ist Österreichs Weg bei der Verpackung. Bei den Elektroaltgeräten ist es ähnlich, auch da gibt es viele Innovationen. Österreich ist technologisch sehr weit. Deshalb geht es auch darum, sich Dinge anzusehen, die nicht unmittelbar gesetzlich geregelt sind, die aber einen extremen Mehrwert für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt bringen, wie zum Beispiel Kaffeekapseln.
Was sind die größten Herausforderungen, vor denen Sie stehen?
Harald Hauke: Eine Herausforderung ist, dass die Bevölkerung nach wie vor mitmacht. Neun von zehn Österreicher*innen sammeln ihre Verpackungen, aber das heißt nicht, dass das automatisch immer weiterläuft. Deshalb beschäftigen wir uns auch viel mit Bewusstseinsbildung und besuchen Kindergärten, Volksschulen und teilweise auch die Oberstufe. Die Bevölkerung hat Druck von vielen Seiten, deshalb muss man sie weiterhin dafür begeistern und den Sinn erklären: Warum ist es so wichtig, die Flasche oder die Kunststoff-Verpackung in den richtigen Behälter zu schmeißen und nicht in den Restmüll? Weil sie dort verloren, ist und da kann man nichts mehr damit machen.
Es ist auch wichtig, das Sammeln von Verpackungen so einfach wie möglich zu machen. Dazu schauen wir, wo Menschen auf ihren alltäglichen Wegen vorbeikommen, um dort Sammelbehälter bereitzustellen. Bequemlichkeit ist ein Riesenthema, das wir auch permanent zu optimieren versuchen.
Und in der Forschung, was sind hier die größten Herausforderungen?
Jörg Fischer: Dass es noch nicht zu Ende ist, wenn man es richtig sortiert hat, denn dann muss die sortierte Ware weitergeführt und wieder zu einem Produkt werden.
Wenn ich die Ware sortiere, erhalte ich Sortierfraktionen – Ballen eines Werkstoffes. Das heißt aber nicht, dass ich die Produkte, die in diesen Ballen sind, einfach so wieder aus den Ballen erzeugen kann, ohne die Herstellung anzupassen. Allein von österreichischen Kunststoffherstellern gibt es zum Beispiel mehr als 100 verschiedene Typen von Polypropylen. Wenn man diese zusammenmischt, erhält man eine gute Mischung aber nichts Spezielles. Neuer Kunststoff wird chemisch so aufgebaut, dass er genau die gewünschten Eigenschaften eines bestimmten Produkts erfüllt. Im Abfall habe ich jedoch die Ketchupflasche, den Joghurtbecher und ganz viele Spritzgussprodukte, die ich zusammenmische. Daraus wieder einen spritzgegossenen Becher oder einen Behälter herzustellen ist einfach – schwieriger wird es aber zum Beispiel bei der Ketchupflasche oder dem Joghurtbecher.Warum sind Ketchupflasche und Joghurtbecher so schwierig?
Jörg Fischer: Für Lebensmittelverpackungen gelten einerseits strengere Anforderungen, andererseits benötigen diese Produktformen ein anderes Verarbeitungsverfahren und damit andere Eigenschaften. Bei einem Spritzgussprodukt wird das Rezyklat verflüssigt und in eine Form gespritzt. Dafür brauchen wir gute Fließfähigkeiten. Joghurtbecher und Ketchupflaschen sind jedoch Tiefziehprodukte, dabei soll das Material nicht so gut fließen, sondern muss lange stabil bleiben. Bei der Ketchupflasche produziert man zum Beispiel zuerst einen Schlauch, der herunterhängt und dann zur Flasche aufgeblasen wird. Wäre das Material zu fließfähig, würde der Schlauch abreißen.
Die Herausforderungen für die Forschung und Industrie ist deshalb jetzt, was nach der Sortierung kommt und welche Modifikationen in der Herstellung notwendig sind, um Waren aus Recyclingmaterial herzustellen. Ein 20 Liter Müllsack aus Rezyklat muss zum Beispiel ein wenig dicker produziert werden, um den Anforderungen zu entsprechen. Sobald er jedoch zweieinhalbmal so dick ist oder die Herstellung eine bestimmte Menge an zusätzlicher Energie benötigt, ist es nicht unbedingt ökologischer, ihn aus Rezyklat statt aus Neuware herzustellen. Man muss also genau schauen, und das gesamtökologisch betrachten. Dazu führen wir Life-Cycle-Assessments entlang der gesamten Prozesskette durch – denn hört die Rechnung beim Granulat auf, würde Rezyklat immer gewinnen. Man muss sich aber immer das entstehende Produkt anschauen.
Würde es Sinn machen, noch feinteiliger zu trennen?
Paul Unterluggauer: Wenn man es so wie bei einer Kapsel macht, die getrennt gesammelt wird, ja. Dann darf man die Kapsel nicht in den gelben Sack geben, sondern braucht ein eigenes Sammelsystem, wo Konsument*innen auch sagen: „Okay, ich trenne diese Wertstoffe, damit sie gezielt wieder in den Kreislauf kommen und aus den Wertstoffen neue Produkte hergestellt werden können.“
Harald Hauke: In dem Bereich, wo es so kleine Produkte sind, die man schlecht heraussortieren kann, ist das sinnvoll.
Jörg Fischer: Dabei kommt aber wieder das Thema Convenience ins Spiel – und auch das Wissen: Nicht alle Leute verstehen dasselbe und wissen, welches Plastik wo hingehört. Das ist auch für mich schwierig. Deshalb wird ebenso an verbesserten technischen Trennmethoden gearbeitet.
Von recycelbaren Kaffeekapseln, wiederverwendbaren Recup-Bechern, unterschiedlichen Reuse-Aktionen - wo steht Tchibo auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft?
Paul Unterluggauer: Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wir wissen aber auch, dass wir an dem Thema weiter dranbleiben müssen, um die Entwicklung voranzutreiben.
Neben unseren großen Lieferkettenprogrammen haben wir für unsere unterschiedlichen Produktbereiche weiters nationale Initiativen, bei denen wir unsere Kund*innen stark einbinden. Beim Kaffee ist das zum Beispiel unser Kapselrecyclingprogramm. Dabei sammeln wir die Kaffeekapseln direkt in den Filialen – 34 Prozent der Kapseln kommen so zu uns zurück und diesen Anteil möchten wir noch einmal weiter erhöhen. Durch die sortenreine Sammlung haben wir die Möglichkeit, die Wertstoffe weiterzuverwenden.
Harald Hauke: Per Gesetz gelten Kapseln heute noch nicht als Verpackung, daher ist man auch nicht verpflichtet, diese zu sammeln. Erst mit der europäischen Verpackungsverordnung werden die Kapseln als Verpackung eingestuft und dann werden wir ein getrenntes Sammelsystem dafür aufbauen. 34 Prozent sind deshalb heute schon extrem viel.
Paul Unterluggauer: Mit den Pfandbechern für den beliebten Coffee to go und unseren Re-Use-Aktionen haben wir weitere wichtige Initiativen ins Leben gerufen: Seit mehreren Jahren geben wir gemeinsam mit unseren Kund*innen aussortierten Textilien ein „Zweites Leben“. Es geht einfach darum, Wertstoffe länger im Kreislauf zu halten. Wir nehmen die Verantwortung, die wir als Unternehmen haben, sehr ernst und agieren ganzheitlich – bei Umweltschutz, der sozialen Verantwortung und auch bei unseren Mitarbeiter*innen.
Aus Sicht der ARA, was braucht es, die Kreislaufwirtschaft in Österreich auf einen guten Fuß zu bringen?
Was würde Sie von politischer Seite am meisten unterstützen?
Harald Hauke: Das erste ist die Deregulierung. Wir haben zwar sehr viele Gesetze und Verordnungen, die gut gemeint sind aber sich nicht unmittelbar stark auf die Umwelt auswirken und viel Geld kosten. Da müsste man ein bisschen entrümpeln.
Dann muss man schauen, wie man die europäische Verpackungsverordnung in Österreich etabliert und welche Begleitgesetze damit einhergehen müssen.
Darüber hinaus ist es wichtig und richtig, dass wir uns die Verpackung genauer ansehen. Aber auch andere Wertschöpfungsströme sollten stärker in den Blick genommen werden. Kunststoff ist schließlich auch im Automobilbereich, in der Medizin und im Bau ein Thema. Und auch da muss man hinschauen, weil wir in der Verpackung in Österreich schon auf einem extrem hohen Niveau sind.
Und wie schaut es mit der Forschungslandschaft zur Kreislaufwirtschaft hierzulande aus? Wo stehen wir da?
Jörg Fischer: Es gibt sehr gute Forschungseinrichtungen und auch viele kooperative Forschungsprojekte. Zum Beispiel betreiben wir ein Leitprojekt zum mechanischen Recycling gemeinsam mit der Montanuniversität Leoben. Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette bzw. des Wertschöpfungskreislaufes sind extrem wichtig, weil die unterschiedlichen Player verstehen müssen, was die Anforderungen der anderen sind. Alle haben ihre Ziele und diese nicht umsonst, dementsprechend müssen wir diese harmonisieren und miteinander reden.
Große Herausforderungen stellen auch weiterhin Fehlwürfe dar – da gibt es viele unterschiedliche Typen, die zu Problemen führen. Zum Beispiel Batterien, die in einer Sortieranlage täglich vorkommen und zu lokalen Erhitzungen und potenziellen Brandherden führen. Aber auch Fehlwurf von Verpackung oder anderen Produkten, die getrennt gesammelt werden sollten, in den Restmüll ist ein Problem, weil uns das Material dadurch verloren geht. Da wird nicht noch einmal draufgeschaut, das wird thermisch – also energetisch, aber nicht stofflich – verwertet. Und das stoffliche Verwerten geht zumindest ein paar Kreisläufe lang. Irgendwann muss es sowieso energetisch verwertet werden, denn auch Kunststoffe sind organische Werkstoffe, so organisch wie wir selbst. So wie wir altern, altern auch Kunststoffe. Und das muss man mitberücksichtigen, denn wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben können sie nicht mehr in den Kreislauf.
Wie sieht Ihre Vision für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem 2050 aus und welche Rolle wollen Sie mit Ihrem Unternehmen darin spielen?
Paul Unterluggauer: Als Familienunternehmen ist es uns wichtig, Verantwortung zu übernehmen und mit Blick auf die nächsten Generationen zu agieren. Wir möchten ein möglichst menschliches und nachhaltiges Unternehmen sein, in unseren Lieferketten, Produkten und Geschäftsprozessen. Das heißt für uns auch, dass wir die Zukunft aktiv mitgestalten. Ich möchte hier drei Beispiele am Weg in Richtung 2050 nennen: Mit unserem Kaffeeprogramm wollen wir bis 2027 100 % verantwortungsvoll eingekaufte Kaffees anbieten. Bis 2030 sollen 100 % unserer Verpackungen kreislauffähig sein und bis 2045 möchten wir Netto-Null-Emissionen in der gesamten Lieferkette erreichen. Als Familienvater denke ich auch an meine Kinder und Enkelkinder – mit welcher Zukunft, in welcher Umwelt sie leben werden. Deshalb ist es wichtig, bei sich selbst anzufangen: „Was trage ich persönlich zu einer lebenswerten Zukunft bei?“ Nur so wird es gehen, dass Unternehmen, Politik und die Gesellschaft gemeinsam in die gleiche Richtung gehen.
Harald Hauke: Langfristig müssen wir die Erfahrung, die wir in den letzten 30 Jahren im Bereich der Kreislaufwirtschaft aufgebaut haben, auch in anderen Bereichen umsetzen. Wir müssen weit über die Verpackung hinausdenken und herausfinden, wie diese Bereiche funktionieren. Wir haben zum Beispiel Projekte im Bauwesen. Dort waren wir die ersten, die in Österreich Gipskartonplatten so getrennt haben, dass Karton und Gips getrennt verwertet werden konnten. Diese innovative Komponente versuchen wir daher auch in anderen Bereichen umzusetzen, um den Wandel von Primär- zum Sekundärrohstoffen in anderen Wertschöpfungsketten voranzutreiben. So versuchen wir, uns als Unternehmen zu verbessern.
Bis 2050 sollte in vielen Bereichen etabliert sein, wie ich die Ressourcen, die bereits auf dem Markt sind, wieder ins Spiel bringe. Derzeit liegt die Zirkularitätsrate in Österreich bei 12,5 Prozent, bis 2030 wünscht sich die Regierung jedoch 18 Prozent.
Jörg Fischer: Grundsätzlich beobachte ich in sehr vielen Projekten, dass die Kommunikation so weit geht, bis man erkennt, dass die weitere Entwicklung sehr viel Geschäft bedeuten würde. Dann nimmt die Offenheit oftmals ab, weil man selbst mehr Gewinn als der Nachbar, als der Partner in der Kette machen will. Weil man einen neuen Markt sieht, den man dominieren könnte, versucht man, schneller zu sein. Und dadurch kommt man insgesamt nicht so schnell voran, wie es gemeinsam möglich wäre.
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann dies zu reduzieren und mehr Gemeinschaft zu fördern. Weil gewisse Lösungen nur gemeinsam gehen. So kann die Lebensmittelzulassung für Becher aus Rezyklat von keinem einzelnen Unternehmen, von keiner einzelnen Forschungseinrichtung geschafft werden – das muss auf so vielen unterschiedlichen Ebenen bearbeitet werden, dass man das nur gemeinsam schafft. Und in der Automobilindustrie ist es zum Beispiel auch so, dass man nur gemeinsam weiterkommt.
Welche Verantwortung haben Unternehmen für die Gesellschaft?
Paul Unterluggauer: Jedes Unternehmen hat eine hohe Verantwortung, weil es auch viel bewirken kann. Wenn diese Verantwortung wahrgenommen wird, dann kann man sehr weit kommen. Unser Ansatz ist es, in die Kaffeeanbauländer zu gehen, in die Fabriken, wo Produkte erzeugt werden, und dort sowohl die ökologische als auch die soziale Verantwortung entlang der gesamten Wertschöpfungskette wahrzunehmen. Als familiengeführtes Unternehmen ist dies fest in unseren Unternehmensgrundsätzen verankert und dies gibt auch den Rahmen, hier langfristig wirkungsvoll zu handeln.
Wir initiieren daher in Österreich Programme, die es Konsument*innen leicht machen, mitzuwirken – und ihren Alltag nachhaltiger zu leben.
Harald Hauke: Nachhaltigkeit hat drei Säulen, die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt. Am Ende des Tages muss man alle drei Säulen bespielen. Wenn ich wie in unserem Fall über die Verpackung rede, dann ist die erste Säule die industriepolitische Komponente - wir liefern hunderttausende Tonnen an wertvollen Rohstoffen an die österreichische Industrie. Das steigert unsere Wettbewerbsfähigkeit. Wir beschäftigen auf der anderen Seite fast ausschließlich österreichische Unternehmen, um zu sammeln und zu recyceln - das ist eine starke soziale und gesellschaftliche Komponente. Und dann sparen wir über 500.000 Tonnen CO2-Äquivalente; das ist die Umweltkomponente. Ich glaube dieses Dreieck muss man schließen – es ist nicht sinnvoll, beispielsweise nur die Gesellschaft zu betrachten und die Wirtschaft zu vergessen, denn dann haben wir keine finanziellen Mittel, um dies zu finanzieren. Deshalb versuchen wir seit vielen Jahren, Nachhaltigkeit in ineinandergreifenden Dimensionen zu sehen.
Und welche Verantwortung hat die Forschung für die Gesellschaft?
Jörg Fischer: Wir haben Lösungen zu entwickeln, die wirklich nachhaltig sind, damit wir die nachfolgenden Generationen nicht belasten. Auch ich bin Familienvater und muss auf die Generationen hinter mir schauen. Das Wichtigste ist, dass die nachhaltige Entwicklungsdefinition eingehalten wird: Dass wenn wir etwas entwickeln, dies unseren nächsten Generationen nicht schadet. Das ist unser Primärziel. Und wenn es für die nächste Generation förderlich ist, ist es umso besser.
Paul Unterluggauer: Man muss sagen, dass die Themen komplex und vielfältig sind. Um hier auch die relevanten Potenziale herauszufiltern und voranzutreiben, ist der Austausch mit der Forschung wichtig, wo sich Expert*innen ganz intensiv mit Zukunftsthemen auseinandersetzen.
Jörg Fischer: Zusätzlich zu Forschung, die Lösungen für neue Produkte schafft, ist eine weitere Verantwortung die Bildung in unterschiedlichen Ebenen: Tertiäre Bildung ist natürlich unser Primärgeschäft, aber wir machen genauso Workshops für Schüler*innen und mit Unternehmen, um das aktuelle, bei uns bestehende, Wissen mitzuteilen.
Was leitet Sie jeweils persönlich? Gibt es einen persönlichen Leitsatz?
Paul Unterluggauer: Jeden Tag besser zu werden und mit gutem Vorbild voranzugehen. Das ist, was mich antreibt – dass jeder Konsument, jede Konsumentin bei Tchibo jeden Tag wirklich Gutes entdecken kann.
Harald Hauke: Für mich ist es, einen Beitrag zu leisten, damit die Welt jeden Tag ein bisschen schöner wird. Das ist der Grund, warum man in der Früh aufsteht und motiviert ist – weil man Dinge voranbringt und am Ende des Tages auch ein Ergebnis sieht.
Jörg Fischer: In meiner Arbeit ist es, die eigene Lust und Freude, die ich im Umgang mit Kunststoffen empfinde, weiterzugeben – damit man den Wertstoff Kunststoff sieht und nicht nur das Problem.
Die Gesprächspartner
Paul Unterluggauer, Geschäftsführer Tchibo Österreich
Jörg Fischer, Professor an der Johannes Kepler Universität Linz, Institutsvorstand am Institut für Polymeric Materials and Testing und stellvertretender Leiter für eine Pilotfabrik zum Thema Kreislaufwirtschaft und Kunststoffe
Harald Hauke, Vorstandssprecher der ARA AG (Altstoff Recycling Austria AG)
Das Interview führte Michaela R. Reisinger.