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Wer nicht für uns ist, ist gegen uns?

Gastkommentar von Christine Ax und Friedrich Hinterberger

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Ein beliebter Reflex der meisten Wachstumsfreunde ist es, jeden Wachstumsskeptiker als „Wachstumsgegner“ zu diskreditieren. Wer nicht für Wachstum ist, der wird gerne zum Gegner jedweden menschlichen Fortschritts stilisiert.
Doch Tatsache ist: Für die sinkende Wachstumsraten der Industrienationen braucht es die Wachstumsskeptiker nicht. Nicht wachsen kann und tut die Wirtschaft von ganz alleine. Dies ist, soweit es die Zahlen angeht, schon allein der Tatsache geschuldet, dass unser Wachstum linear war. Wenn das BIP ist Jahr um Jahr um eine annähernd gleich große Summe wächst, dann ist der Zuwachst in Prozenten berechnet  Jahr um Jahr weniger. Daran kann auch die hektische Wachstums-Rhetorik nichts ändern.

Weder Regierungen noch die von der Realwirtschaft losgelösten Geldströme  „erzeugen“ Wachstum. Wirtschaftswachstum ist das Ergebnis des Zusammenwirkens einer Vielzahl von Wachstumstreibern, die weder die Politik, noch die Banken oder wir Verbraucher in der Hand haben. Schauen wir den Realitäten ins Auge: Unendliches Wachstum kann es in einer Welt, in der weder die Zeit zu konsumieren, noch die Arbeitskräfte und die Ressourcen endlos zu Verfügung stehen, nicht geben.
Außerdem brauchen wir es nicht. Weder für eine faire Teilhabe aller Bürger und Bürgerinnen an unserem Wohlstand, der weltweit mit an der Spitze steht, noch für ein gutes Leben. Anders sieht es für manch andere Regionen dieser Erde aus, die diese Wachstumsphase noch vor sich haben. Je früher wir das akzeptieren, desto besser ist es für uns und die nachfolgenden Generationen.

Wir „Ausgewachsenen“ stehen also vor der Herausforderung, uns in Sachen Wachstum endlich wie „Erwachsene“ zu benehmen. Dies gilt umso mehr, als der Zusammenhang zwischen den vielen Versuchen, Wachstum (und Renditen) um jeden Preis zu erzwingen und den Krisen der letzten Jahre doch so ganz offensichtlich sind und auf der Hand liegen.
Nicht zu wachsen muss nicht wehtun. Nicht zu wachsen macht nur dort Probleme, wo wir unsere Gesellschaft so organisiert haben, dass sie nur funktionieren kann, wenn unrealistische Wachstumsziele erreicht werden. Weder die Arbeitsmärkte, noch das Renten- und Gesundheitssystem müssen zusammenbrechen, wenn die „Wachstumsschwäche“ Normalität wird. Und davon ist auszugehen. Wenn nicht heute, dann Morgen.

Dass es nicht einfach ist, unter solchen Bedingungen die Staatsverschuldung zurückzuführen liegt auf der Hand. Doch wer den Kopf in den Sand steckt, statt die Weichen richtig zu stellen, tut weder sich noch uns einen Gefallen.

Was wäre auch so schlimm daran, wenn wir Morgen „nur“ genauso viel haben, wie im letzten Jahr. Eine Wirtschaft, die wenig oder gar nicht wächst, bedeutet nicht Stillstand. Wir könnten immer noch (in Euro) genauso viel konsumieren wie im letzten Jahr – aber vielleicht nachhaltiger und klüger. Junge Menschen können weiterhin Karrieren machen. Wir können weniger aber länger arbeiten und die Erwerbsarbeit – samt Einkommen – fairer und vor allem generationengerechter und familienfreundlicher verteilen. Unsere Wirtschaft würde auch in Zukunft neue Produkte auf den Markt bringen, im Wettbewerb stehen und innovieren.

Das Ende des alten Wachstumsparadigmas ist weder das Ende des technischen Fortschritts noch eines Güterwohlstandes. Es ist eine Chance auf das zu schauen was wir für ein gutes Leben wirklich brauchen. Es ist eine Aufforderung an uns alle, Lebensqualität und Wohlstand neu zu definieren.

Christine Ax arbeitet forscht, schreibt und berät seit den 90er Jahren zu Fragen der Nachhaltigen Entwicklung. Friedrich Hinterberger war viele Jahre Leiter für Ökologische Ökonomie und Wirtschaftspolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. 1999 gründete er das Sustainable Europe Research Institute (SERI) in Wien. Beide haben kürzlich das Buch "Wachstumswahn - Was uns die Krise geführt hat und wie wir wieder herauskommen" (Ludwig Verlag) herausgegeben.