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Zwischen Avocadotoast und „O. K., Boomer“

Die Abgeordnete Chlöe Swarbrick antwortete lässig „O. K., Boomer“, als ihr ein älterer Abgeordneter im neuseeländischen Parlament ins Wort fällt – spätestens damit ist das Meme zum Sinnbild für Generationen(un)verständnis geworden. Doch was steckt hinter Generationenbezeichnungen wie „Boomer“ oder „Gen Z“?

Ich sitze einem Freund gegenüber, ein lieber und schlauer Typ, ungefähr so alt wie ich, der sich mehr und mehr in Rage redet. Schließlich zischt er: „Man kann in einer Welt nicht Fuß fassen, die sich die Boomer bereits untereinander aufgeteilt haben.“ Das Wort Boomer spuckt er fast aus. Hm, denke ich mir.

Ich sitze einer Bekannten gegenüber, eine kluge und bedachte Frau, ungefähr so alt wie meine Mutter, die sich immer mehr in Rage redet. Schließlich zischt sie: „Die jungen Leute wollen sich nicht reinhängen. Da gibt es nur ‚Ich! Ich! Ich!‘“ Es fehlt nur der Geifer um den Mund, so wütend ist sie. Hm, denke ich mir.

Zwei liebe und kluge Menschen und gleichzeitig so eine Kluft. So eine respektlose – und vielleicht auch ahnungslose – Haltung. Was wissen wir denn wirklich über Babyboomer, Generation X, Y und Z?

Generationenbegriffe auf dem Prüfstand

Eine Generation umfasst alle Menschen, die in einem ähnlichen Zeitraum geboren wurden und durch dieselben gesellschaftlichen Ereignisse geprägt wurden. Daraus wird abgleitet, welche Werte, Merkmale oder Fähigkeiten diese Gruppe auszeichnen, um sie durch Werbung besser ansprechen oder in der Arbeitswelt einschätzen zu können. Das ist eine recht eingeschränkte Sicht – Konsum und Arbeit sind ja nicht alles. Ebenso ist es natürlich auch eine Verallgemeinerung: Ein Jahrgang in den USA, in China und in Europa mag gleich alt sein, hat aber völlig unterschiedliche Lebenswelten vorgefunden. Ein Arbeiterkind wird durch andere Ereignisse geprägt worden sein als ein Akademikerkind. Ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund wird in einer großen Stadt eine andere Form von Integration erleben als in einer kleinen Gemeinde und beide werden ganz anders „typisch“ für ihre Generation sein als ihre Altersgenossen. Zurecht werden Generationenbegriffe häufig kritisiert: Die Generationenlupe hat einen Blick auf die weiße Mittel- und Oberschicht, auf Menschen mit einem hohen Bildungsniveau und blendet andere Lebensrealitäten weitgehend aus. Die Zeitspannen der Generationen sind nicht fix definiert und die Einteilung einigermaßen willkürlich. Bestimmte Lebens- und Berufsphasen bedingen eine Einstellung, ohne dass wir diese als Persönlichkeitsmerkmal festlegen sollten.

Große Studien finden natürlich trotzdem Gemeinsamkeiten und Trends. Das ist auch gut so: Sofern wir solche Trends nicht dazu nutzen, einer Person ein Stereotyp überzustülpen, so erzählen sie uns etwas über unsere Gesellschaft und unsere Geschichte. Sie zeigen uns, welche Ereignisse eine gesellschaftliche Wirkung hatten, und erlauben uns, über Erlebnisse nachzudenken. Darüber, welche Welt ein Mensch vorgefunden hat und welche Herausforderungen er oder sie gemeistert hat. Kenne ich die besonderen Fähigkeiten einer Person, kann ich auch von ihr lernen.

Ich lade Sie daher ein, sich von den Generationenbegriffen neugierig machen zu lassen – und mit den Menschen dahinter ins Gespräch zu kommen.

Babyboomer: Die „Wohlstandsgeneration“
Jahrgänge 1946 bis 1964

Babyboomer sind nach den starken Geburtenraten der Nachkriegszeit benannt. Sie haben die Nachkriegszeit und das Wirtschaftswunder erlebt. Das macht sie bewusst im Umgang mit Ressourcen, gleichzeitig haben sie aber auch eine unglaubliche Weiterentwicklung erlebt – der Vietnamkrieg ging zu Ende, der erste Mensch flog ins All und bald darauf zum Mond. Die Ölpreiskrise führte 1973 autofreie Tage und Semesterferien ein. Als junge Erwachsene haben Babyboomer die Volksabstimmung zu Zwentendorf sowie die Geburtsstunde der Umweltbewegung in Österreich erlebt und mitgetragen. Mit Sorge haben sie vielleicht Berichte über die Islamische Revolution und der Beginn des ersten Golfkriegs verfolgt. Beim Reaktorunfall in Tschernobyl hatten sie bereits selbst Kinder. Im Beruf haben sie den Begriff „Workaholic“ geprägt – sie sind team- und karriereorientiert, Arbeit hat für sie den höchsten Stellenwert.

Was wir von ihnen lernen können: Ihren Fokus auf Karriere und persönliches Wachstum, ihr Umwelt- und Ressourcenbewusstsein, ihre Verwurzelung in der Gesellschaft und ihren Wunsch nach Veränderung.

Was wir ihnen geben können: Wertschätzung für ihre Erfahrung, das Gefühl, gebraucht zu werden, aber auch die Perspektive, dass Arbeit nicht alles ist und sie auch loslassen können.

Generation X
Jahrgänge 1965 bis 1979

Die Generation X war als Kinder und Jugendliche vielleicht schon bei der Besetzung der Hainburger Au mit dabei. Die Gefahren der Atomkraft, die öffentliche Debatte über das Ozonloch und das Waldsterben führen zu einem anderen Zugang zu Konsum. Als junge Erwachsene finden sie mit dem Fall des Eisernes Vorhangs und dem Zerfall Jugoslawiens veränderte Weltumstände vor. In China werden am Tian’anmen Proteste gewaltsam niedergeschlagen, in Ruanda findet ein Völkermord statt. Der kalte Krieg und die Apartheid in Südafrika enden. Aber auch privat kommen Systeme ins Wanken: Die Scheidungsraten steigen, AIDS verändert die Wahrnehmung von Sex nachhaltig. Die Generation X löst sich von traditionellen Institutionen und nimmt eine kritische, individualistische Sicht ein. Arbeit wird zum Mittel zum Zweck und Zeit wertvoller als Geld.

Was wir von ihnen lernen können: Ihre Unabhängigkeit und ihr kritischer Individualismus, ihr Streben nach einer hohen Lebensqualität.

Was wir ihnen geben können: Viel Freiheit, um zu gestalten und sich zu entwickeln, aber auch einen Sinn für Community und Gemeinschaft.

Generation Y: „Millennials“
Jahrgänge 1980 bis 1994

Die Generation Y war um die Jahrtausendwende Teenager. Sie wachsen mit dem Internetboom auf – die Industriegesellschaft wird zu einer globalisierten Informationsgesellschaft. Sie ist die erste Generation an Digital Natives, zahlt als Erwachsene mit dem EURO, erinnert sich aber noch an die Zeit davor. Die Terroranschläge auf das World Trade Center und den ersten Irakkrieg erlebt sie als Jugendliche. Der erste Jahrhundertsommer bringt 2003 den Klimawandel ins Bewusstsein. Als junge Erwachsene prägt sie, dass Arbeitsformen flexibler werden und der Dienstleistungssektor stetig wächst. Die Finanzkrise 2008/2009 und die zunehmende psychosoziale Belastung führen zu einem Wertewandel: Die eigene berufliche Entwicklung steht stärker im Fokus als die Beziehung zum Arbeitgeber. Das Bildungsniveau steigt, Karriere um jeden Preis ist out, Erfüllung und Sinn werden wichtiger. Die Globalisierung ermöglicht, international zu studieren und zu arbeiten. Millennials wachsen neben traditionellen Familien mit alleinerziehenden Elternteilen oder in Patchworkfamilien auf – gründen sie selbst Familien, so sind die Rollenbilder weicher und die Väter aktiver.

Was wir von ihnen lernen können: Sie zeigen, wie man Globalisierung und Digitalisierung positiv nutzen kann, ihr persönliches Netzwerk, ihren Optimismus und ihre Flexibilität.

Was wir ihnen geben können: Freiräume für Selbstverwirklichung, Vernetzung und Teamwork, aber auch Bodenhaftung und Sicherheit.

Generation Z
Jahrgänge 1995 bis ca. 2015

Die Generation Z hat schon im Kindheitsalter Zugang zu Smartphones, Tablets und Webinhalten. Sie gilt als hypervernetzt – soziale Netzwerke und digitale Kommunikation sind das A und O. Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung des Alltags voran – als Werte kristallisieren sich Autonomie und der Wunsch nach Transparenz heraus. Die „betreute Kindheit“ – zwischen Helikoptereltern und Ganztagsbetreuung – bietet der Generation Z viele Angebote, fordert aber auch früh Leistung. Der Widerspruch zwischen einem starr durchgetakteten Alltag und den endlosen Weiten des Internets und der Information führt zu einer Präferenz für klare, überschaubare Strukturen.

Die Generation Z erlebt als Kinder und Jugendliche mit den 2010er Jahren das heißeste Jahrzehnt seit Beginn der Aufzeichnungen. Greta Thunberg beginnt sich für den Klimaschutz einzusetzen, der erste weltweite Klimastreik findet statt. Europa hadert mit der Flüchtlingskrise, rechtspopulistische und -extremistische Parteien erstarken. Russland annektiert die Krim, England verlässt die EU und Donald Trump löst Barak Obama als Präsident der Vereinigen Staaten ab. Die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft wird zum Thema. Die Generation Z reagiert mit einer realistischen und individualistischen Grundhaltung, aber auch mit Resignation und Ohnmachtsgefühlen. Als junge Erwachsene trifft sie die Corona-Krise im Berufseinstieg, die langfristige Auswirkung ist noch nicht abzusehen.

Was wir von ihnen lernen können: Die Klarheit, mit der die Gen Z spricht und agiert, ihr (Um)Weltbewusstsein und ihre realistische Betrachtungsweise der Welt – weder beschönigend, noch übermäßig pessimistisch.

Was wir ihnen geben können: Sicherheit und einen Rahmen, persönliche Ziele zu erreichen, aber auch eine Gesellschaft, die mit ihnen an einem Strang zieht.

Quellen (Auswahl):

Statistik Austria: Gesellschaftsentwicklung, Wirtschaftssektoren, Bildung und Arbeit in Österreich

Generationenzusammenfassung „Von den Baby Boomern zur Generation Y“, WKO: www.wko.at
Studien von Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt, z. B. www.youtube.com/watch?v=B2JDEpkh9go
Trendstudie des Zukunftsinstituts zur Generation Y: www.zukunftsinstitut.de
Studie zur Generation Z von Statista: de.statista.com

Einen guten Überblick über zusätzliche Literatur finden Sie auch auf: die-generation-z.de