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Was Verschwörungstheorien begünstigt

Optimismus, Vertrauen und die Fähigkeit zum Komplexitätsdenken reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen an Verschwörungstheorien glauben.

Risikofaktoren um Verschwörungstheorien anzuhängen sind: Kritik an Covid-Maßnahmen, regelmäßige religiöse Treffen, eigene Kinder unter 16 Jahre, an Covid erkrankt, u.a.
Grafik aus der Studie, DOI: 10.1007/s43545-023-00790-9,

Wachsende Verunsicherung, Fehlinformationen und mangelndes Vertrauen bildeten während der COVID19-Pandemie ein Substrat, welches das Entstehen und die Verbreitung von Verschwörungstheorien begünstigte. Mit dem Aufkommen der ersten Vakzine gegen COVID-19 wuchs auch Skepsis an ihnen und deren Produktion und Distribution in der Gesellschaft. Verschwörungstheorien griffen die Impfstoffthematik in großem Spektrum auf, von Mikrochips in den Impfdosen bis hin zu Zweifeln an der Existenz des Virus an sich, um zwei populäre Beispiele zu nennen. Die Bedeutung dieser Theorien als soziales Phänomen liegt in ihrer Gefahr für die Demokratie, da sie zu einer Erosion des Vertrauens in die Regierung und staatliche Einrichtungen führen können, eine spaltende Wirkung auf die Menschen haben und zur Verbreitung von Fehlinformationen beitragen.

Die Studie im deutschsprachigen Raum mit Beteiligung der Universität für Weiterbildung Krems und der Medizinischen Universität Wien geht auf Verschwörungstheorien während der Pandemie ein. Die Analyse der Stichprobe von erwachsenen Einwohner*innen der D-A-CH-Region berücksichtigte individuelle Persönlichkeitsmerkmale und umfeldspezifische Faktoren sowie Komplexitätsdenken. Darunter wird die Fähigkeit verstanden, auch nicht-evidente Strukturen und Zusammenhänge in komplexen realen Systemen zu erkennen, sowie die damit in Verbindung stehenden emergenten Eigenschaften und adaptiven Kapazitäten. Die Studie verfolgte drei Forschungsfragen:

  1. Welche Faktoren stehen im Zusammenhang mit pandemiebezogenem Verschwörungsglauben während der COVID-19-Pandemie?
  2. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Bildung und sozioökonomischen Faktoren und dem Glauben an pandemiebezogene Verschwörungstheorien?
  3. Können Komplexitätsdenken und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale als „Schutzfaktoren“ gegen Verschwörungsvorstellungen identifiziert werden?

Mittels multivariablen, bereinigten Regressionsmodellen konnten so Zusammenhänge in den Datensätzen der Befragten nachgewiesen werden.

Wovon die Neigung zu Verschwörungen abhängt

So zeigte sich, dass die Werte von Komplexitätsdenken und Verschwörungsglauben schwach invers korrelieren, Teilnehmer mit einem höheren Wert bei Komplexitäts­denken tendierten zu einem geringeren Wert bei Verschwörungsglauben. Bei den Befragten mit höherem Bildungsgrad oder höherem Haushaltseinkommen war eine geringere Neigung zum Verschwörungsglauben feststellbar. Bei fast allen Erhebungselementen waren die Werte bei Komplexitätsdenken umgekehrt zu jenen des Verschwörungsglaubens. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten das Alleinleben, die Tatsache, dass man nicht verheiratet bzw. in einer Partnerschaft ist, und die Tatsache, dass man keine chronische Krankheit hat: Diese Eigenschaften waren bei den Teilnehmer*innen im höchsten Bereich bei Komplexitätsdenken und Verschwörungsglauben häufiger.

Wer eher an Verschwörungen glaubt

Der Impfstatus der Teilnehmer*innen bzw. jener deren engen Kontakte war am stärksten mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Glaubens an Verschwörungen assoziiert. Teilnehmer*innen, die angaben, dass weder sie selbst noch ihre engen Kontaktpersonen geimpft waren, hatten eine zehnmal höhere Wahrscheinlichkeit, einen hohen Wert bei Verschwörungsglauben zu erzielen, als geimpfte Teilnehmer*innen. Ein weiterer Zusammenhang zeigte sich bei regelmäßigen Besucher*innen – mindestens einmal monatlich – religiöser Zusammenkünfte. Ihre Werte bei Verschwörungsglauben waren sechsmal so wahrscheinlich im hohen Bereich. Auch bei Nichtwähler*innen bzw. Studienteilnehmer*innen, die zuletzt eine Oppositionspartei gewählt haben, wurde eine größere Wahrscheinlichkeit für höhere Verschwörungsglaubenswerte nachgewiesen. Hohe Extrovertiertheit ging auch mit erhöhten Werten bei Verschwörungsglauben einher.

Schutzfaktoren um Verschörungstheorien nicht anzuhängen: Optimistische Grundeinstellung, Fähigkeit, komplexe Situationen zu analysieren, Vertrauen, Freunde, höheres Einkommen und Bildung
Schutzfaktoren Grafik aus der Studie, DOI: 10.1007/s43545-023-00790-9,

Faktoren, die vor Verschwörungsglauben schützen

Bei Teilnehmer*innen mit Studienabschluss war es um 33 Prozent unwahrscheinlicher, dass sie einen hohen Wert bei Verschwörungsglauben aufwiesen, als bei Menschen mit Mittelschulausbildung. Dies zeigte sich nur bei Männern, nicht bei Frauen; und auch nur in Österreich und der Schweiz, nicht aber in Deutschland. Hohe Werte bei Vertrauen, Optimismus und Komplexitätsdenken gingen ebenso einher mit niedrigen Werten bei Verschwörungsglauben. Das Vorhandensein von mehr engen Kontaktpersonen scheint bei den Befragten ebenso mit einem geringeren Verschwörungsglaubenswert zu korrelieren.

Rolle der Bildung

In den Umfragedaten wurde in verschiedenen Untergruppenanalysen ein umgekehrter Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Verschwörungsglauben festgestellt. Bildung ist ein wichtiger Faktor, der die kognitive Kapazität für Komplexität erhöhen kann, indem Menschen lernen, analytisch zu denken und sich daran zu gewöhnen, die Nuancen verschiedener komplexer Situationen zu erkennen, anstatt sie zu vereinfachen. Wenn Menschen sich in einem Umfeld wohlfühlen, das einer Echokammer ähnelt und ihre Ängste oder Skepsis bestätigt, neigen sie eher zu Verschwörungstheorien, da sie den wissenschaftlichen Diskurs nicht verstehen und das Vertrauen in die Empfehlungen des Mainstreams verlieren. Ein Fokus auf die Erziehung hin zum komplexen Denken kann daher eine wertvolle langfristige Strategie zur Verringerung der Neigung zu Verschwörungsvorstellungen darstellen. In dieser Hinsicht sind Studien mit einer detaillierteren Bewertung der Bildung und validierten Skalen für komplexes Denken erforderlich.

Zur Studie

Die Daten wurden zwischen Juli und August 2021 im Rahmen einer Online-Umfrage unter 3.067 Erwachsenen erhoben, die nach Alter, Geschlecht und Wohnort in eine Quotenstichprobe erfasst wurden. Die Teilnehmer*innen waren zwischen 18 und 90 Jahren alt, deutschsprachig und in Deutschland, Österreich oder der Schweiz wohnhaft. Der Fragebogen, erstellt von Mitgliedern des Forschungsteams, umfasste 74 Fragen zu Lebensstil, Gesundheit und COVID-19 bezogenen Maßnahmen und Verhaltensweisen.