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Wirtschaft ganz neu denken

Ist die Krise heftig genug, um grundlegende Korrekturen in der Wirtschaft vorzunehmen? Wenn der Wandel zu einer neuen Kultur der Solidarität nicht gelingt, ist die nächste ökonomische Sackgasse gewiss.
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Kapitalismus ist wie ein Eisberg Eisberg. istockphoto.com

Kluft zwischen arm und reich wächst

Es hätte der Finanz- und Wirtschaftskrise gar nicht bedurft, um zu erkennen, dass da etwas schief läuft: Rund 80 Millionen Menschen - so viele wie Deutschland Einwohner hat - leben in der EU unter der Armutsgrenze, die mit 60% des mittleren Einkommens eines Landes definiert wird. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre hat für viele Menschen nicht zur Erhöhung ihrer Lebensqualität geführt.

Zugleich wächst der Wohlstand einiger weniger. Laut einer OECD-Vergleichsstudie über 100 Länder haben die ärmsten 5% der Welt in den letzten Jahren ein Viertel ihres Realeinkommens verloren. Die reichsten 5% dagegen gewannen weitere 12% dazu.

 

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Die Vizepräsidentin des Europäischen Antiarmutsnetzwerks Michaela Moser betreibt Lobbying für ein gutes Leben Michaela Moser. privat

Weltweit müssen sich 2,7 Milliarden in Armut lebende Menschen soviel Einkommen teilen wie die 50.000 Reichsten.

"Die Kluft zwischen Erfolgreichen und Erfolglosen weitet sich aus. Die Mittelschicht erodiert, und die Gesellschaft wird polarisiert", diagnostiziert Martin Schürz, Ökonom bei der Österreichischen Nationalbank, im Blick auf das reiche Österreich. Laut dem von Schürz mitverfasstem Reichtumskapitel des jüngsten österreichischen Sozialberichts besitzt das oberste Promille, also die reichsten 0,1% der Österreicher, genauso viel Geldvermögen wie die gesamte untere Hälfte der Haushalte.

Ganz offensichtlich hat das Wirtschaftswachstum vergangener Jahrzehnte also vor allem den Wohlstand einiger weniger erhöht. In Bezug auf Armut und Ungleichheit ist Hochkonjunktur wenig aussagekräftig, Wirtschaftswachstum ist kein "Rezept" dagegen. Und auch die Umwelt bleibt auf der Strecke: Von den Profiteuren werden Ressourcen rücksichtslos ausgebeutet, für Niedriglohnbezieher ist es gleichzeitig schwierig, ökologisch verantwortlich zu leben: So hausen armutsbetroffene Menschen in schlecht isolierten Wohnungen, fahren alte Autos, können es sich nicht leisten, alte Elektrogeräte durch neue, energiesparende zu ersetzen.

"Kapitalismus ist ein Eisberg"

Die Veteranin der deutschen Soziologie, Maria Mies, verglich den Kapitalismus einmal mit einem Eisberg. Dieser "wächst", indem der Frost von der Spitze aus auch die unsichtbaren, unter Wasser gelegenen Schichten erreicht und zunehmend vereist. Krisen wie die derzeitige werden - so Mies weiter - von den "Hütern" der Eisbergökonomie als normale Konjunkturschwankungen gedeutet. Auch diejenigen, die bei diesem Prozess einer globalen sozialen Vereisung unter die Räder kommen, können sich keine Alternative zum herrschenden Wirtschaftssystem vorstellen. Es erscheint geradezu als Naturgesetz.

Lesen Sie mehr in der LEBENSART Juni 2009