zum Inhalt springen

BioInspiration

Neue Sonderausstellung zeigt Potenzial der Bionik für Innovation und Nachhaltigkeit - zu sehen bis August 2023 im Technischen Museum Wien.

Eine organisch aussehende Brücke in warmen Tönen spiegelt sich auf einer glatten Wasseroberfläche. Es ist nicht klar, ob es sich um ein natürliches Gebilde oder um Architektur handelt.
Die Sujets der Ausstellung haben eine Besonderheit: Sie wurden mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt. Eine Spezial-Software, die mit einer Bilddatenbank verknüpft ist, wandelt Wörter und ganze Sätze in Bilder um, die nie identisch sind. Bild: Technisches Museum Wien/Heimat Wien

In den Erfindungen der Natur fehlt nichts und nichts ist überflüssig. Das postulierte schon Leonardo da Vinci. Denn in ca. 3,8 Milliarden Jahren Evolution hat sich die Natur an unterschiedlichste Bedingungen angepasst und die entwickelten Lösungen durch Trial-and-Error und natürliche Selektion erprobt und perfektioniert. Warum sollten wir uns also nicht diese 3,8 Milliarden Jahre „Forschung und Entwicklung“ zunutze machen? Die Forschungsdisziplin Bionik – als Verbindung von Biologie und Technik – überträgt natürliche Phänomene, Strukturen, Prozesse und Mechanismen in technische Innovationen.

Seit 26. Oktober 2022 beleuchtet die neue Sonderausstellung „BioInspiration – Die Natur als Vorbild“, wie Lösungsansätze der Natur in der Technik nachgeahmt werden können und lädt mit mehr als 200 Objekten, Medieninstallationen und interaktiven Stationen zu einer erstaunlichen Reise durch die verschiedensten Anwendungsbereiche der Bionik ein – angefangen von der Antike bis hin zur Forschung der Gegenwart. In der vom Parque de las Ciencias in Granada konzipierten Ausstellung sind auf 800 m² Beispiele aus Architektur, Medizin, Verkehr, Ingenieurwesen, Robotik, Energie, Stadtplanung, Materialkunde, Sport oder Weltraumforschung zu bewundern, die Ansätze, Verfahren oder ganze Systeme aus der Natur auf den Bereich der Technik übertragen.

Ein surreales Bild, das die Form eines Windrades mit jener eines Wals verbindet.
Auch dieses Sujet wurde mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt. Bild: Technisches Museum Wien/Heimat Wien

Junge Wissenschaft mit viel Potenzial für Funktionalität und Nachhaltigkeit

Der jungen Wissenschaft Bionik wird in Zukunft eine immer wichtigere Rolle zukommen, denn sie birgt in zahlreichen Disziplinen ein immenses Potenzial für Wissenschaft und Innovation. Bionische Lösungen überzeugen durch ihre Effektivität, Effizienz und Anpassungsfähigkeit. Zusätzlich zur ver­besserten Funktionalität kann Bionik ressourcenoptimierte und an unsere Umwelt angepasste Tech­nologien hervorbringen. In unterschiedlichen thematischen Modulen wird dem Forschungsbereich, der längst relevant, aber noch erstaunlich wenig bekannt ist, auf den Grund gegangen. Herzstück der Sonder­ausstellung „BioInspiration“ sind acht Themeninseln, wo Klassiker ebenso wie weniger bekannte Beispiele vorgestellt werden. Dabei werden naturwissenschaftliche und technische Erkenntnisse mit tatsächlichen Anwendungsbeispielen anschaulich erläutert und mit aktuellen Innovations- und Forschungsprojekten verknüpft.

Eine Ausstellungsinsel zum Klettverschluss, bei dem eine Klette unter Vergrößerung angeschaut werden kann.
Der Klettverschluss ist die wohl bekannteste bionische Anwendung. Foto: Parque de las Ciencias Granada

Klettverschluss – der Klassiker der Bionik

Klettverschlüsse sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und auch in der Weltraumforschung unverzichtbar. Die Geschichte der wohl meistgenutzten Anwendung der Bionik begann im Jahr 1941, als der Ingenieur Georges de Mestral nach einem Spaziergang mit seinem Hund feststellte, dass sich in dessen Fell kleine Kugeln mit winzigen Häkchen – die Früchte der Großen Klette – verfangen hatten. Durch diese Beobachtung entwickelte er zwei Textilstreifen – einen mit Widerhaken und einen mit kleinen Schlaufen. BesucherInnen können die Beschaffenheit der natürlichen Kletten und die haltstarke und reversible Funktionsweise des Klettverschlusses in dieser Themeninsel genauer unter die Lupe nehmen.

Eine Ausstellungsinsel, die den Flug der Schleiereule nachvollziehbar macht.
Die kammartig gezahnten Flügel der Schleiereule sind das Vorbild für geräuscharme Ventilatoren. Foto: Technisches Museum/APA-Fotoservice/Godany

Verkehr und Technik

Schon früh wurden Flugmaschinen den Vogelflügeln nachgeahmt und auch heute noch liefert die Natur Verbesserungspotenziale im Flugzeugbau. Sogenannte Winglets – also gebogene Flügelspitzen an den Enden der Tragflächen – optimieren den Auftrieb des Flugzeugs und sind der Geometrie von Raub­vogelarten im Gleitflug nachempfunden. In diesem Modul erfahren BesucherInnen auch, was sich selbstfahrende Autos von den synchronen Bewegungen eines Vogelschwarms abschauen können und wie der speziell geformte Schnabel des Eisvogels oder die kammartig gezahnten Flügelfedern der Schleiereule Hochgeschwindigkeitszüge oder Ventilatoren effizienter und geräuschärmer machen können.

Auf einer Ausstellungsinsel ist ein Tauchanzug und andere Anwendungen des Prinzips der Haifischhaut sichtbar.
Die Haut von Haifischen ist hydrodynamisch und antibakteriell und wird deshalb von vielen Anwendungen kopiert. Foto: Technisches Museum Wien

Materialien und Verpackung

Auch für diesen Bereich ist die Natur eine wahre Fundgrube und liefert nützliche Ideen für Wärme­dämmung oder Materialrobustheit, Feuchtigkeits- oder Temperaturregelung, Haften oder Kleben. Die wohl bekanntesten Anwendungen hier sind Saugnäpfe, die aus der Beobachtung von Kraken entwickelt wurden oder der „selbstreinigende“ Lotos-Effekt von Oberflächen und Kleidungsstücken. Ein weiteres Beispiel ist die besondere Beschaffenheit der Haifischhaut, die nicht nur hydrodynamische, sondern auch antibakterielle Wirkung hat und für Schwimmanzüge, Bootsrümpfe, Yogamatten und medizinische Schutzfolien genutzt wird. Aber auch die Tierwelt können wir mit von der Natur inspirierter Technik schützen: Denn Spinnen bauen in ihre Netze besondere Fäden ein, die UV-Strahlen reflektieren, damit Vögel die Netze als Hindernis erkennen und sie nicht zerstören. Wie wir diesen Effekt für die Beschichtung von Glas nutzen können, um zu verhindern, dass Jahr für Jahr Millionen von Vögeln an Fensterscheiben verunglücken, können Besuchende in dieser Themeninsel auch selbst entdecken.

Auf einer Ausstellungsinsel befinden sich zwei Modelle von Termitenbauten sowie ein Modell einer Gebäudebelüftung.
Das Modell eines Termitenbaus zeigt das ausgeklügelte Belüftungssystem, das auch nachhaltige Architektur inspiriert. Foto: Technisches Museum/APA-Fotoservice/Godany

Architektur und Design

Kühlen ohne Klimaanlage wie im Termitenbau, wandelbare Fassadenbeschattungssysteme, die sich des Mechanismus der Paradiesvogelblume bedienen, oder bionische Konstruktionen, die durch effektive Gewichtsverteilung den Materialeinsatz optimieren – von der Natur inspirierte Designs wurden schon seit der Antike genutzt, erlangten Bekanntheit durch Bionik-Architekten wie Antonio Gaudì und Michael Pawlyn und geben nach wie vor innovative Impulse in der Forschung und Entwicklung. In diesem Bereich entdecken BesucherInnen nicht nur spektakuläre Beispiele für bionische Architektur, sondern erfahren auch, was wir in puncto Nachhaltigkeit von der Natur lernen können.

Auf einer Ausstellungsinsel sieht man Modelle eines Buckelwals und einer Windturbine. Ein Bildschirm zeigt die Luft-/Wasserverwirbelungen.
Vielversprechende Entwicklungen wie Rotorblätter, die Buckelwalflossen nach-empfunden sind und die Leistungsfähigkeit von Windkraftanlagen verbessern. Foto: Technisches Museum Wien

Energiesparen und Umwelt

Wie uns Systematiken der Natur in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimawandel hilfreich sein können, ist Thema in diesem Modul. Hier werden internationale Beispiele und vielversprechende Entwicklungen präsentiert – wie besonders effiziente Turbinen, die der Form des Flamingoschnabels nachempfunden sind oder Rotorblätter, die die Leistungsfähigkeit von Windkraftanlagen verbessern, indem sie die Geo­metrie von Buckelwalflossen imitieren. Der Erfindungsreichtum der Natur hilft uns aber nicht nur bei der effizienteren Energiegewinnung, sondern inspiriert auch nachhaltige Technologien wie den „Nebel­fänger“, der in wasserarmen Regionen – wie einige Kakteenarten – das Wasser in der Luft auffangen kann, oder Zement, der „korallenartig wächst“ und dabei klimaschonend CO2 bindet, anstatt es zu produzieren.

Eine Ausstellungsinsel mit medizinischen Kanülen und Detailansichten einer Stechmücke.
Stechmücken liefern Impulse für medizinische Innovationen wie schmerzfreie Injektionsnadeln. Foto: Technisches Museum Wien

Medizin

Besonders im Bereich des Gesundheitswesens ist die Bionik von entscheidender Bedeutung, denn sie ermöglicht die Entwicklung wirksamer medizinischer Anwendungen, die die Natur des Menschen als Lebewesen berücksichtigen.

In dieser Themeninsel erfahren BesucherInnen, warum wir Stechmücken meist erst bemerken, wenn es bereits zu spät ist und wie wir dieses Prinzip mithilfe von Nanotechnologie auf Injektionsnadeln übertragen können, die beim Einstich keine Schmerzen verursachen, oder wie wir die Mechanismen der Natur nutzen, um gerissene Sehnen zu reparieren, Impfstoffe zu konservieren oder flexible und robuste Gefäßstützen zu produzieren.

Ein Modell eines Schuppentiers und eines des davon inspirierten Rucksacks.
Rucksack, der sich wie ein bedrohtes Schuppentier zu einer Kugel mit Außenpanzerung zusammenrollt. Foto: Parque de las Ciencias Granada

Sport und Freizeit

Wie praktisch wäre ein Rucksack, der sich wie ein bedrohtes Schuppentier zu einer Kugel mit Außen­panzerung zusammenrollen kann? Und wie aufregend ist ein Lego-Set, dessen Löcher und Verbin­dungsstücke von den Gelenken der Krabben inspiriert wurde?

In diesem Bereich können BesucherInnen spannende Produkte, Entwicklungen und Innovationen aus Sport und Freizeit kennenlernen.

Einige Detailaufnahmen und Modelle von Schwammknochen sowie von den daraus abgeleiteten Gebäudeteilen.
Mondhabitate kopieren die Belastbarkeit von Schwammknochen. Foto: Technisches Museum Wien

Weltraumforschung

Wie können wir die sanften Landungen von Katzen auf Dämpfsysteme von Raumschiffen übertragen oder uns von der Belastbarkeit von Schwammknochen inspirieren lassen, um eine Mondbasis zu entwerfen, die extremen Temperaturschwankungen, herabfallenden Meteoriten und Sonnenwinden standhalten soll? In diesem Kapitel können BesucherInnen bionische Entwicklungen und Anwendungen aus der Raumfahrt erkunden und selbst austesten, warum die Wabenstruktur der Bienen die effizienteste Form zum Aus­füllen einer Ebene ist und deshalb häufig in der Luft- und Raumfahrttechnik zum Einsatz kommt.

Ein Modell des Themse-Tunnelbaus.
Das Modell zeigt den Themse-Tunnelbau, der sich der Systematik von Bohrwürmern bediente. Foto: Parque de las Ciencias Granada

Natur inspiriert seit der Antike

Bionik als Wissenschaft ist zwar noch jung, die Idee, sich von der Natur inspirieren zu lassen, ist allerdings nicht neu. Die Ausstellung schließt mit einem Überblick an bionischen Innovationen: Angefangen bei römischen Heerformationen, die mit Schutzschildern das Prinzip der Schildkröte imitierten, bis hin zu einem 1843 eröffneten Themse-Tunnel, der sich die Strategie des Schiffsbohrwurms zunutze macht oder dem Pariser Eiffelturm, der in seiner Architektur vom menschlichen Oberschenkelknochen inspiriert wurde.

Natur + Technik = nachhaltig?

Die Ausstellung „BioInspiration“ will BesucherInnen Einblicke in die Ansätze und vielfältigen Anwen­dungs­gebiete der Bionik geben und illustriert, wie verschiedene Disziplinen – von Biologie über Ingenieurwesen bis hin zum Design – in der bionischen Forschung und Entwicklung zusammenarbeiten, um die Strategien der Natur auf Technik zu übertragen. Besonderer Fokus der Ausstellung liegt auf Innovationen, die durch ihre Effizienz, Nachhaltigkeit und Anpassungsfähigkeit bestechen und Lösungsansätze für die großen Herausforderungen unserer Zeit wie Energiewende, Klimakrise und Umweltschutz entwickeln.

Eine von der Natur inspirierte Technologie ist aber nicht automatisch nachhaltig. Oft kopiert die Bionik nur die erprobten Formen der Natur, die Umsetzung ist nicht zwangsläufig umweltschonend – wie beispielsweise der Klettverschluss aus Nylon zeigt. In einer weiteren Stufe können bionische Ent­wicklungen ressourcenschonend die Herstellungsprozesse der Natur imitieren, bevor in der letzten Stufe ein grundlegender Paradigmenwechsel initiiert wird und technische Innovationen von natürlichen Ökosystemen inspiriert werden, die ohne Raubbau an Bodenschätzen oder Beeinträchtigung der Biosphäre funktionieren. Indem wir uns nicht mehr darauf fokussieren, was wir aus der Natur extrahieren können, sondern darauf, was wir von der Natur lernen können, bietet die Bionik die Chance, das lineare Modell der Wegwerfwirtschaft, das Energie und natürliche Ressourcen verschlingt, hinter uns zu lassen und uns den Prinzipien anzupassen, die das Leben auf der Erde nachhaltig ermöglichen.

Als Rahmenprogramm locken folgende Führungen und Workshops:

Alles nur geklaut? Ideen der Bionik (Familienführung, 7–12 Jahre, 45 Minuten)

Forschungslabor Bionik (Kinderworkshop, 7–12 Jahre, 120 Minuten)

Bionik – Natur als Inspiration (Führung, Jugendliche und Erwachsene)

www.technischesmuseum.at/

Ein fantastisches Bild das Architektur und die klassische Form von Honigwaben kombiniert.
Auch dieses Sujet wurde mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt. Bild: Technisches Museum Wien/Heimat Wien

#Alliance4Science – BioInspiration ist Teil einer internationalen Museumskooperation

Um den internationalen Austausch und eine nachhaltige Museumspraxis zu fördern, ist diese Ausstellung Teil einer europäischen Kooperation zwischen dem Technischen Museum Wien, dem Parque de las Ciencias in Granada und der DASA Dortmund. Im Mittelpunkt der Kooperation stehen die Themen Innovation und Nachhaltigkeit. „BioInspiration“ des Parque de las Ciencias wird nach seiner Präsentation im Technischen Museum Wien ab Herbst 2023 weiter nach Deutschland und schließlich zurück nach Spanien wandern. Im Rahmen der Kooperation produzierte das Technische Museum Wien die interaktive Ausstellung über Ernährung „FOODPRINTS“, die ab 29. Oktober 2022 in Dortmund zu sehen ist, bevor sie weiter nach Granada reist. Ab Herbst 2023 zeigt das Technische Museum Wien die Partnerausstellung der DASA Dortmund „Smart World“.