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Umweltqualität: ungleich verteilt

Ob ich neben einer Grünfläche oder einer rauchenden Fabrik wohne, ist nicht nur Zufall oder einkommensabhängig, zeigt eine aktuelle Fallstudie aus Österreich.

Ein schwarzweiß Bild einer Industriezone. Im Hintergrund sind Fabriken und Schornsteine zu sehen, im Vordergrund liegen Felder.
Foto: Monika/Pixabay

Es mag ein wenig überraschen, aber offiziell ist Wien zu über 50 Prozent grün. Etwa jeder zweite Quadratmeter der Bundeshauptstadt ist eine Grünfläche. Wer in einem Bezirk wie Alsergrund oder Margareten wohnt, sieht davon allerdings nicht so viel. Was zeigt: Umweltqualität ist, ähnlich wie die Umweltbelastung, nie gleich verteilt. Für dieses Phänomen gibt es einen Begriff – Umweltungleichheit – und ein wachsendes Forschungsfeld. An der Wirtschaftsuniversität Wien forscht die Ökonomin Klara Zwickl in diesem Bereich.

„Bei der Umweltungleichheit gibt es distributive und prozedurale Aspekte“, sagt Zwickl. Bei den distributiven geht es um das Ergebnis. „Da schaut man sich beispielsweise an, wie ungleich die Belastungen mit Umweltgefahren verteilt sind. Oder man dreht es um: Wie ungleich kommen Menschen in den Genuss von Umweltqualität?“ Bei der prozeduralen Ungleichheit hingegen geht es um ungleiche Teilhabe an umweltpolitischen Entscheidungsprozessen – oder einfacher: Wer wird eigentlich gefragt, und wessen Meinung zählt? Im Rahmen des Forschungsprojektes „Eine empirische Analyse von Umweltgleichheit in der EU“, das Zwickl leitete, beschäftigten sich die Forschenden vor allem mit den distributiven Aspekten. Sie untersuchten, wie Bevölkerungsgruppen in Europa von Luftverschmutzung, insbesondere industrieller Verschmutzung, unterschiedlich betroffen sind.

Ursachenforschung mit Datenlücken

Das Forschungsfeld „Umweltungleichheit“ entstand Anfang der 1980er-Jahre in den USA. Die Bürger*innenrechtsbewegung kritisierte damals, dass Giftmülldeponien überproportional oft in Nachbarschaften mit hohem Anteil an Afroamerikaner*innen errichtet wurden. Sozialwissenschaftler*innen stellten sich die Frage, ob an dieser Umweltungleichheit auch außerhalb der medial präsenten Fallstudien etwas dran sei. Die Untersuchungen bestätigten den Verdacht. „Es ist tatsächlich so, dass solche Deponien und andere Umweltgefahren in Nachbarschaften stehen, in denen überproportional Minderheiten und Menschen mit niedrigem Einkommen wohnen“, sagt Zwickl. „Es gibt kaum eine Umweltgefahr, bei der dieser Effekt nicht gefunden wurde.“ Die Gründe dafür werden in der Fachwelt diskutiert, auf einen können sich aber alle Forscher*innen einigen: Menschen mit niedrigem Einkommen können es sich nicht leisten, in Gegenden mit hoher Umweltqualität zu ziehen.

„Wenn es ausschließlich das wäre, dann wäre die Umweltungleichheit nur eine Ableitung der Einkommensungleichheit“, so Zwickl. „Es gibt aber auch Evidenz aus den USA, dass neue Industriestandorte in Nachbarschaften verlegt werden, in denen der geringste Widerstand der Bevölkerung erwartet wird – das sind oft Gegenden mit sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen.“ Umweltungleichheit ausschließlich als Folge der Einkommensungleichheit zu verstehen, greift also zu kurz.

Lange Zeit kamen die Ergebnisse aus dem Forschungsfeld der Umweltungleichheit fast ausschließlich aus den USA. Dort gibt es gute Langzeitdaten seit den 80er-Jahren, als der Emergency Planning and Community Right-to-Know Act (EPCRA) Behörden und Unternehmen zu verstärkter Transparenz zwang. In der EU gibt es vergleichbare Datensätze zu Industrieemissionen erst seit wenigen Jahren. Auch soziodemografische Bevölkerungsdaten – also Einkommen, Bildungsabschluss, Staatsbürgerschaft etc. – sind nicht ausreichend feingliedrig vorhanden und nicht EU-weit harmonisiert. Für Österreich und einige andere europäische Länder gibt es zumindest Daten auf Gemeindeebene, die erste Fallstudien zu Umweltungleichheit ermöglichen.

Ausländische Staatsbürger*innen stärker belastet

Die Forschenden kennen also von jeder Gemeinde in Österreich die Feinstaubbelastung und eine Reihe von soziodemografischen Variablen. In einer Fallstudie konzentrierten sie sich auf drei Variablen: die Anzahl der ausländischen Staatsbürger*innen, den Anteil an Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss und das durchschnittliche Einkommen. „Wir finden sehr konsistent, dass ausländische Staatsbürger*innen überproportional von Feinstaub belastet sind“, sagt Zwickl. „Und das ist nicht nur eine Ableitung des Einkommens: Haben wir zwei Gemeinden mit gleichem Einkommen, hat die mit dem höheren Anteil an ausländischen Staatsbürger*innen immer noch die höhere Feinstaubbelastung.“ Dieser Effekt findet sich österreichweit, ist aber noch stärker in Städten, in denen die Mehrheit ausländischer Staatsbürger*innen lebt. Leute mit niedrigem Bildungsabschluss hingegen sind vor allem in ländlichen Regionen von höherer Feinstaubbelastung betroffen.

Kann Klimapolitik Umweltungleichheit reduzieren?

Das Forschungsprojekt beschäftigt sich auch mit der Frage, unter welchen Bedingungen Klimapolitik Umweltungleichheit reduzieren kann. Der Gedanke dahinter ist, dass eine gut durchdachte Klimapolitik viele Vorteile jenseits des Klimas hat, da Klimaschutzmaßnahmen nicht nur Treibhausgase einsparen, sondern auch viele andere Luftschadstoffe wie Feinstaub, Stickstoffdioxid oder Schwefeloxid. Diese sogenannten Co-Benefits sind im Gegensatz zur Klimastabilität schnell und lokal spürbar und könnten eine ambitionierte Klimapolitik unabhängig von den globalen Klimazielen rechtfertigen. Menschen mit hoher Belastung durch Luftverschmutzung können besonders profitieren, was wiederum die Umweltungleichheit reduziert.

Zur Person

Klara Zwickl ist assoziierte Professorin am Department für Sozioökonomie
an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie studierte Volkswirtschaftslehre in Wien und Massachusetts. Im Rahmen ihrer Habilitation leitete Zwickl das vom Wissenschaftsfonds FWF mit 240.000 Euro geförderte Projekt „Eine empirische Analyse von Umweltungleichheit in der EU“ (2019–2022), an dem unter anderem Forschende des IIASA und des Umweltbundesamtes mitwirkten.

Publikationen

Zwickl K., Miklin X., Naqvi A.: Sociodemographic disparities in ambient particulate matter exposure in Austria. Working Paper – SSRN 2023

Zwickl K., & Sturn S.: Air quality co-benefits of climate mitigation in the European Union, in:  The Routledge Handbook of the Political Economy of the Environment, 184–194, Routledge 2021

Zwickl K., Sturn S., Boyc J. K.: Effects of carbon mitigation on co-pollutants at industrial facilities in Europe, in: The Energy Journal, 42(5), 2021