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Sinne-volles tun

Kommentar von Christa Langheiter

Hand aufs Herz: wann haben Sie zuletzt Marmelade gerührt, Holz gehackt oder einfach nur einen Knopf angenäht? Dabei entgeht uns dadurch eine Menge. Mag sein, dass es effizienter und output-optimierter ist, dies der Marmelademanufaktur, dem Forstarbeiter oder der Oma zu überlassen. Aber wo holen Sie sich dann das Futter für ihre mindestens fünf Sinne? Das Vergnügen zu erleben, wie der Duft des Obstes den Raum erfüllt, zu staunen, wie viele Kilo Marillen in drei kleine Gläser passen. Die Hände an der Maserung des Holzes entlang gleiten zu lassen und – zack - die Kraft des Schlages zu spüren, der die Materie spaltet. Die Freude, den filigranen Faden richtig anzugreifen und wackelig, aber doch, durch das Öhr zu bringen und aus etwas Wegschmeißwürdigem wieder etwas Tragbares gemacht zu haben. Sehnen wir uns nicht alle nach sinnvollem Tun? Wie wäre es, wenn wir mit sinne-vollem Tun beginnen? Denn vielleicht kommt der Begriff sinnvoll ja von der Verwendung unserer Sinne.

Offenbar haben wir uns allzu sehr daran gewöhnt, hauptsächlich einen einzigen Wahrnehmungssinn einzusetzen: den, der vor ca. 20 Jahren Einzug gehalten hat in unser Leben: den Trennsinn. Eine glatte Scheibe hält uns in sicherer Entfernung zum Leben. Zwischen dem Leben und uns ist der Computer-Bildschirm, der TV-Schirm, nicht umsonst Mattscheibe genannt, der I-Pod, das Handy. Riecht nicht, schmeckt nicht, kratzt nicht, kuschelt nicht. Paart sich höchstens mit dem Starrsinn: Augen, die den Bildschirm anstarren, bis sie zu blinken beginnen wie die Cursor-Taste.

Und überhaupt: wo ist das Resultat all dieser Scheibenarbeit? Was haben wir anschließend in Händen? Wenn wir unsere Maileingangsordner sortiert, Newsletter abbestellt und Excellisten durchforstet haben. Wann haben wir noch Gelegenheit zu sagen: „Schau! Hab ich gemacht!“

Nutzen Sie die Gelegenheit jetzt. Sticken Sie ausgewählte Buchstaben in diesem Kommentar mit dünnem Garn nach und kreieren Sie so ihr eigenes buntes Lieblingswort, das sie als Gemälde an die Wand hängen. Reißen Sie den Kommentar in Papierstreifen und kleistern Sie ihn mit Wasser zu einer Kugel, schmeißen Sie ihn Ihrer Katze hin und beobachten Sie, wie sie sich pfauchend drauf stürzt. Schneiden Sie Sätze aus und kleben Sie sie auf einen Bilderrahmen.

Geben Sie mir das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles gemacht habe, indem ich diese Zeilen für Sie geschrieben habe. Etwas Sinnvolles wie heuer im März, anlässlich 100 Jahre Frauendemo. Als 100 Frauen bunte Häkel- und Strickobjekte mit Botschaften und textile Skulpturen um 100 Bäume und Masten an der Wiener Ringstraße gewickelt haben. Die DemonstrantInnen staunten nicht schlecht, dass wir frauenrechtsbewegte Frauen es wagten, mit Handarbeiten in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein. Etwas, das doch bitte sehr ins traute Heim gehört und nur von 70+Frauen betrieben wird. Wurde! Denn längst gibt es eine neue junge Strick-Bewegung, die oftmals in Strickrunden zusammenfindet. Ein Beweis, dass die Sehnsucht nach händischem Tun groß ist. Und auch dafür, dass facebook und co doch nicht so social sind, sondern hauptsächlich media.

Dass es sinnvoll ist, etwas mit den Händen zu gestalten, lässt sich bestens an meinem textilen Objekt der Frauendemo beweisen. Ich hatte „Heimat bist du großer Töchter“ unter einer Häkelrüsche versteckt aufgestickt. Und ein paar Monate später wurde der Text der Bundeshymne geändert. Bestimmt deswegen.

Christa Langheiter ist Mutcoach, textile Öffentlichkeitsarbeiterin und Good News-Journalistin