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Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. Hirut Grossberger

 „Menschen, die ihren eigenen Weg gehen und sich durch Widerstände nicht beirren lassen. Sie alle wissen, wie wichtig es ist, sein Leben selbst zu bestimmen". Frau Grossberger ist eine davon…

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Dr. Hirut Grossberger und Asya Khalef Lebensart

Wenn Sie sich bitte kurz vorstellen? Woher kommen Sie, seit wann sind Sie in Österreich?

Ich bin Hirut  Grossberger, 44 Jahre alt und komme aus Äthiopien. Seit 2004 wohne ich in Niederösterreich, zuerst in Hadersdorf am Kamp, dann von Jänner 2005 bis Juni 2007 in St. Pölten, seit Juli 2007 wohne ich in Krems. Ich bin verheiratet und habe einen Sohn.

Sie arbeiten am Department Bahntechnologie / Mobilität an der Fachhochschule St. Pölten. Wie sind Sie zur Technik gekommen?

Ich wollte schon als Kind Maschinenbau studieren. Meine Mutter hat gearbeitet und meine ältesten Geschwister waren nicht zu Hause. Mit sechs Jahren habe ich daheim gearbeitet z.B. wenn man Wasser vom Brunnen holen oder Kaffee stampfen musste. Damals habe ich mir gedacht, dass das doch auch Maschinen machen könnten und Lust bekommen, welche zu bauen. Ich wollte auch ein Fahrrad bauen, denn es war sehr teuer, ein Fahrrad zu kaufen. Außerdem gab es sehr wenig Fahrräder und wenn, dann nur für Erwachsene. Später habe ich in Äthiopien Wasserwirtschaft und Umwelt studiert.

Wie Sie sind nach Österreich gekommen?

Durch meinen Professor. Der hatte hier studiert und die BOKU (Universität für Bodenkultur Wien) gekannt. Er hat mir davon erzählt, dass es hier ein ähnliches Studium mit einem guten Labor gibt, wo ich meine Wünsche erfüllen könne. Über den österreichischen Austauschdienst in Äthiopien habe ich kurzfristig ein dreimonatiges Stipendium bekommen. Aufgrund der politischen Situation in meiner Heimat habe ich in Folge einen Asylantrag gestellt und während der Wartezeit studiert. Nach fünf Jahren habe ich den positiven Asylbescheid bekommen. In dieser Wartezeit habe ich zwei Studien mit Diplom abgeschlossen.

Dann habe ich gleich einen Job als Universitätsassistentin bekommen und das Doktorat gemacht. Nach Abschluss des Studiums habe ich mich bei der Fachhochschule in St. Pölten am Department Bahntechnologie / Mobilität beworben, wo ich seit 2014 in der Forschung und Lehre tätig bin. Ich beschäftige mich mit Eisenbahn-Infrastruktur, wie Trassierungen, Brückenbau, Umweltauswirkungen und vieles mehr. Es gibt mehrere Lehrveranstaltungen wo ich auch unterrichte.

Als Sie nach Österreich gekommen sind - wie ist es Ihnen hier mit der Sprache gegangen? Sie haben wahrscheinlich englisch als Muttersprache und eine afrikanische Sprache oder?

In Äthiopien gibt es achtzig verschiedene  Sprachen (lacht). Meine Muttersprache ist Amharisch, die Amtssprache von Äthiopien. In der Grundschule habe ich Amharisch gelernt, in dieser Sprache gibt es rund 300 Buchstaben. Ab dem Gymnasium lernt man Englisch, studiert habe ich in Englisch. Als ich nach Österreich kam habe ich nur Englisch gesprochen. Dann wusste ich, dass ich hier bleiben möchte und habe mir gedacht, ich muss so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen. Zuerst habe ich versucht viele Kinderbücher zu lesen und mehr Kontakt mit Österreichern besonders mit Kindern zu haben. In Hadersdorf hab ich eine alte Dame als Freundin gewonnen. Sie hat mir sehr geholfen, deutsch zu lernen. Auch auf der Straße, wenn ich spazieren gegangen bin, habe ich versucht mit anderen zu reden.

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Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (links) und Frauen-Landesrätin Barbara Schwarz (rechts) gratulierten Hirut Grossberger (Mitte) zum Liese Prokop-Frauenpreis in der Kategorie „Wissenschaft und Technologie“.|CR Fotograf & Fee Gerald Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (links) und Frauen-Landesrätin Barbara Schwarz (rechts) gratulierten Hirut Grossberger (Mitte) zum Liese Prokop-Frauenpreis in der Kategorie „Wissenschaft und Technologie“.

Wie ist das aufgenommen worden?

Das ist hier ganz anders als in Äthiopien. Wenn man dort in einem Dorf lebt und einen Fremden sieht dann begrüßt man diesen zuerst. In Hadersdorf hat mich niemand gegrüßt, das hat mich natürlich am Anfang überrascht. Dann habe ich selbst zu allen „Grüß Gott“ gesagt (lacht). Viele haben sich gewundert, wahrscheinlich haben sie das von einer schwarzen Frau nicht erwartet. Damals war ich der einzige  Flüchtling dort. Dadurch habe ich sehr nette Freunde kennengelernt. Sie haben mich zu sich eingeladen, manchmal sind sie zu mir gekommen. Obwohl sie Englisch konnten haben wir miteinander nur Deutsch gesprochen, so habe ich viel gelernt.

Wie geht es Ihnen in Österreich, womit sind Sie zufrieden?

Ich bin sehr glücklich in Österreich (wischt eine Träne weg) – ja, wenn ich von Österreich rede, bekomme ich manchmal Tränen. Die Menschen sind wirklich lieb, von Anfang an bin ich mit Liebe aufgenommen worden. Ich habe so viel Glück, weil das passiert mir immer wieder, egal wo ich bin. Es geht mir wirklich sehr gut hier. Meinen Ehemann, ein Österreicher, habe ich 2006  kennengelernt, 2008 haben wir geheiratet. Seine Familie ist auch sehr lieb zu mir, seine Tante, meine Schwägerin. Derzeit wohne ich in Krems. Die Nachbarn sind auch sehr nett.

Was ist der größte Unterschied zu Äthiopien?

Das Leben hier ist sehr strukturiert, das gefällt mir. Es gibt einen klaren Tagesablauf. In Äthiopien vergeht oft so viel Zeit sinnlos, das ist nervig. Und die Pünktlichkeit. Hier fährt der Zug um 8.30 Uhr und wartet nicht, bis alle da sind. Ein Sammeltaxi in Äthiopien wartet, bis es voll ist. Ja, und die Nachbarschaft ist unkomplizierter in Äthiopien. Die Kinder der Nachbarn kommen einfach ins Haus und spielen, wo es ihnen gerade gefällt. Und wenn die Mutter weg muss, werden die Kinder nicht nach Hause geschickt. Man sagt einfach der Nachbarin, dass sie jetzt aufpassen soll.

Gibt es etwas, was Sie sich wünschen, was verbessert werden sollte?

Ich möchte mehr Mädchen für die Technik begeistern und dabei begleiten. Egal ob österreichische Mädchen oder Kinder mit Migrationshintergrund. Wir hatten dazu ein Projekt, Kinder und Jugendliche zu begeistern und ihnen mehr Infos über Technik zu vermitteln. Dabei haben wir viele Schulen und Kindergärten besucht.

Was empfehlen Sie den Menschen, die nach Österreich gekommen sind?

Auf jeden Fall die Sprache zu lernen. Wichtig ist auch, offen, positiv und aktiv zu sein. Es ist oft so widersprüchlich, was ich über das Thema Migranten höre und was ich selbst erlebe. Wir sollten keine Vorurteile haben - auf beiden Seiten. Ein schönes Beispiel ist meine Tante. Sie ist heute 76 Jahre alt. Sie war einmal für zwei Wochen alleine in Äthiopien dann als wir vor einigen Jahren in Äthiopien zu Besuch waren, ist sie auch  mitgefahren. Dort wollte sie mit meiner Mutter reden, das ging jedoch nicht, weil diese nur Amharisch spricht. Zurück in Österreich hat sie begonnen, Amharisch zu lernen, hat sich in speziellen Bibliotheken Bücher auf Amharisch besorgt. Heute schreiben sie sich Briefe und sie übersetzt für uns auch Briefe von Waisenkindern, die wir in Äthiopien unterstützten.

DI DI Dr. Hirut Grossberger ist die Researcher Carl Ritter von Ghega Institut für integrierte Mobilitätsforschung und Internationale Koordinatorin - Department Bahntechnologie und Mobilität.

2017 wurde sie mit dem Liese Prokop Frauenpreis des Landes Niederösterreich ausgezeichnet

Interview: Asya Khalef