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Der Traum vom anderen Leben

Sie betreiben seit drei Jahren einen Bio-Bauernhof vor den Toren Wiens. Er übernimmt 2009 einen alt eingesessenen Gasthof im niederösterreichischen Yspertal. Gemeinsam ist ihnen die Geschichte als Umsteiger. Alexandra Groß, ihr Mann Oliver und Diethold Schaar haben den Mut zur Veränderung und brechen auf zu neuen beruflichen Ufern.

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Alexandra Groß war im früheren Leben in der PR-Branche tätig.

Nach dem Studium der Betriebswirtschaft widmet sie sich der Pressearbeit und dem Veranstaltungsmanagement. Doch die zahlreichen Jobs in Marketing und Medien  sind genug. Alexandra Groß beginnt 2009 eine Ausbildung zur Ernährungs- und Gesundheitstrainerin. „Ich hab' schon länger die Fühler nach etwas Anderem ausgestreckt und wollte für mich einen neuen Lebensstil. Gesund leben, sich viel bewegen und gut essen gehören für mich zu so einem Leben. Ein Traum von mir war immer, meine Lebensmittel selber zu produzieren und mit meinem Körper, meinen Händen zu arbeiten und nicht nur mit dem Kopf.“

Oliver Groß hat schon als Kind seinen Großeltern bei der Arbeit am Bauernhof geholfen und in der dazu gehörigen Buschenschank mitgearbeitet. Der „Koch“ war damals einer der ersten großen Heurigen in Stammersdorf. Doch sein Großvater starb früh und der Hof fiel in einen fast 25 Jahre währenden Dornröschenschlaf. Oliver ging an die Musikhochschule, wurde Konzerthornist und Tontechniker. Als gefragter Tonmeister war er mit den unterschiedlichsten Bands mehr als 15 Jahre international auf Achse. Nach einigen Jahren am anderen Ende der Welt führte ihn sein Leben von Neuseeland wieder zurück nach Stammersdorf. Oliver Groß: „Ich habe in dieser Zeit ein intensives Leben geführt und bin viel herumgekommen. Die Arbeit hat mir unheimlich Spaß gemacht und mich mit vielen interessanten Menschen zusammengeführt. Aber ich wollte nicht mehr so viel auf Tour sein und meinen alten Traum leben, einen Weingarten zu betreiben.“

Die große Liebe auf den zweiten Blick

Noch während der Trainer-Ausbildung lernt Alexandra einen Bekannten aus Studienzeiten kennen - Oliver Groß. Nach mehr als 20 Jahren laufen sie sich wieder über den Weg und verlieben sich  überraschend. „Wir waren damals ein Freundeskreis und Oliver war einer jener, mit denen ich überhaupt nicht geredet habe. Zwischen uns ist damals rein gar nichts gelaufen. Als wir uns dann wieder getroffen haben, gab es dafür umso mehr zu besprechen“, erzählt Alexandra Groß von der Liebe auf den zweiten Blick. Oliver übernimmt kurz vor diesem Wiedersehen den Hof seiner Großeltern in Stammersdorf  und wird Winzer und Biobauer. Alexandra ist begeistert von der Idee eines Biohofes, der den Eigenbedarf an den wichtigsten Lebensmitteln deckt und auch noch so viel abwirft, um gesunde Produkte in der unmittelbaren Region verkaufen zu können. „Endlich konnte ich die Theorie aus meiner Ausbildung in der Praxis umsetzen und draußen an der frischen Luft arbeiten.“ Gemeinsam stürzen sie sich in das Abenteuer, einen alten Bauernhof zum Leben zu erwecken.

 

Diethold Schaar arbeitet ein halbes Leben lang als freier Journalist.

ORF, Kronenzeitung, Trend und ein eigener Verlag für Gastronomie sind einige der Stationen, bevor Schaar mit der Jahrtausendwende den Online-Kurier aufbaut. Ein längerer Aufenthalt in den USA macht ihn zu einem der führenden Köpfe des angehenden Online-Journalismus in Österreich. Dann will Schaar etwas anderes machen. Er pachtet gemeinsam mit seinem damaligen Kompagnon das Kloster Pernegg und kauft 2008 das Landhotel Yspertal, das damals noch als „Grüner Baum“ bekannt ist. Doch die Vorstellungen über die Führung sind zu unterschiedlich. Diethold Schaar entscheidet sich für das Landhotel, ein rustikal-bodenständiges Wirtshaus mit treuen Stammkunden mitten in der Einschicht des südlichen Waldviertels.  „Ich habe einen Hang zu antiken Dingen.  Das Haus besitzt alten Mauern und Gewölbe, einen traumhaften Innenhof und eine sehenswerte Gaststube. Die Deckenbalken und Möbel haben Generationen überdauert und sind originalgetreu erhalten geblieben“, schwärmt Diethold Schaar.  Er investiert in die notwendige Modernisierung, beläßt  den Betrieb aber in seiner gewachsenen Form und macht daraus ein Seminarhotel mit seinen eigenen Inhalten. Nur die Stammkunden hat er weitgehend vergrault, seit das Landhotel zur rauchfreien Zone geworden ist.

Diethold Schaar sieht sich nicht als klassischen Wirt. Natürlich kann man bei ihm vorzüglich essen, einen guten Tropfen genießen und in modern eingerichtete Zimmer  wohnen. Mit seinen inzwischen sieben MitarbeiterInnen will er seinen Gästen eine genussvolle und enstpannende Atmosphäre bieten und ihnen Raum zum Wohlfühlen geben. Doch Schaar will noch mehr. „Mein Haus ist eine Werkstatt für nachhaltiges Leben. Menschen, die etwas verändern wollen, finden hier Unterstützung beim Umstieg. Wir leben in einer Zeit der Umbrüche. Und gerade das Yspertal, eine der schönsten  Gegenden in Niederösterreich, setzt mit seiner hohen Veränderungsresistenz  den idealen landschaftlichen Kontrapunkt für diese Aufbrüche.“

 

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In der Stammersdorferstraße 5 wächst in kurzer Zeit der zertifizierte Biohof „Nummer 5“ heran.

Alexandra und Oliver Groß drücken nach einem erfolgreichen Berufsleben nochmal die Schulbank. In der Bauern- und Bäuerinnenschule in Mistelbach lernen die beiden nicht nur das Handwerkszeug zur Führung eines landwirtschaftlichen Betriebs. Viel wichtiger ist die Inspiration für ein Leben am und mit dem Land. Unzählige kleine Schritte, die sich alle in eine Richtung bewegen. Arbeiten mit dem, was man hat und zufrieden sein mit dem, was da ist. Oliver Groß verdeutlicht die Worte mit einem Beispiel. „Ich habe etwa lang überlegt, welche Sorten ich in meinem Weingarten setzen soll. Nach einem Besuch bei Alfred Paradeiser in Fels am Wagram habe ich es dann gewusst.“ Heute bewirtschaften die Groß 10 Hektar Land mit Wein, Gemüse und Futtergetreide, halten Mangalitza-Schweine und Hühner. 2013 sind weitere 12 Hektar gepachtetes Land dazu gekommen. Noch weiß Oliver Groß nicht genau, was er mit dem Land machen wird. Wahrscheinlich wird er es für Grünland und die Tierhaltung verwenden. „Das Richtige wird kommen, wenn wir die Dinge an uns herankommen lassen“, meint dazu Alexandra Groß. „Oliver und ich ergänzen uns sehr gut mit einer hohen Selbstkritik kombiniert mit großer Offenheit für Neues.“

Vor eineinhalb Jahren kam Sohn Anatol zur Welt. Der blonde Sonnenschein wächst mitten in der Großstadt Wien in einer ursprünglichen Umwelt auf. Der sorgsame Umgang mit der Natur, Kreislaufwirtschaft und das Leben mit selbst produzierten Lebensmitteln sind ihm in die Wiege gelegt.  „Da holt er sich zum Abendessen schon mal eine Handvoll Getreideschrot, der eigentlich für die Schweine gedacht war“, erzählt Oliver Groß schmunzelnd. Seit knapp einem Jahr können Stadtkinder in der „Schule am Bauernhof“ das bäuerliche Leben kennenlernen. Vier Programme werden 2014 angeboten. Die Themen reichen von der Spurensuche im Weingarten über Erdäpfel und Paradeiser bis hin zu einem  Rundgang über den Bauernhof.

Für Diethold Schaar sind Veränderungen keine Bedrohung.

Veränderungen sind in seinem Leben eine ständige Konstante und Triebfeder für neue Entwicklungen. Mit dem Angebot im Landhotel Yspertal will er Menschen beim Schritt über Grenzen helfen. „Ich möchte Impulsgeber sein für einen anderen Blick auf die Welt. Daher gibt es alle 6 bis 8 Wochen bei mir im Haus den „Stammtisch für eine bessere Welt“. Das Publikum ist breit gestreut. Es kommen Wirtschaftstreibende, Künstler und Menschen aus dem Sozialbereich. Der Charakter einer Werkstatt hilft beim Ausprobieren von neuen Perspektiven für die nächsten Generationen. Eine Werkstatt ist somit ein Raum für Prozesse.“

Eine bessere Welt ist für Diethold Schaar eine Welt, in der die Probleme, die es heute gibt, keine Probleme mehr sind. Eine Welt also ohne endlose Diskussionen über gerechte Verteilung, Klimaschutzziele und Ressourcenschonung. Eine Welt, in der nicht mehr Geld allein regiert. Mit den „Tagen der Zukunft“ Ende März bietet Diethold Schaar eine Plattform für den Dialog über neue Finanzierungsformen und nachhaltiges Wirtschaften. „Warum messen wir unser Tun immer noch am Geld? Brauchen wir das Geld zu unserem Glück? Mit dieser Veranstaltung spannen wir einen Bogen von der Sinnfrage zu den ganz konkreten Fragen der Finanzierung, des Wirtschaftens und Zusammenlebens mit den Rahmenbedingungen der Gegenwart und den Hoffnungen der Zukunft.“

Ein Blick in die Zukunft ohne festes Ziel.

Anatol spielt friedlich am Boden in der Küche. Alexandra Groß auf die Frage, ob sie jetzt zufriedener ist als früher: „Ja, ich habe das Gefühl, etwas aufgebaut zu haben. Das Ergebnis meiner Arbeit ist sichtbar und es macht Sinn. Mein Leben ist ruhig, zentriert, und ich bin nicht mehr in dieser Maschine eingesperrt. Ich lebe im Ursprünglichen.“ Oliver Groß über die Zukunft des Biohof „Nummer 5“: „Wir werden heuer noch mehr in den Abhof-Verkauf und in die Tierhaltung gehen. Im Zentrum steht aber die Vertiefung der bisherigen Arbeit. Wir wollen ein kleiner, feiner Betrieb sein, der die Familie und den regionalen Unkreis versorgen kann.“

Diethold Schaar hat keine langfristigen Ziele. „Ich habe Ideen für die Zukunft, aber es gibt kein fixes Bild von dem, was in zehn Jahren sein wird“, meint Schaar.“Wir werden demnächst Klimabündnis-Betrieb und ich träume von einer ökologischen Sanierung des Hauses, die sich auch rechnet. Aber ich will authentische Dienstleistungen, ich will keine gestylte Hülle. Wissender sein und Lernender bleiben. Einfach das leben, was wir anbieten.“

Weitere Informationen:

http://wein.nummer5.at

www.landhotelyspertal.at