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Dem Wasser auf der Spur

Einmal zu Fuß durch ganz Europa – diese Strecke sind die Wanderers of Changing Worlds zwischen Juni 2022 und April 2023 gegangen. Zurück nach Wien haben sie viele Geschichten mitgebracht – von den Menschen, dem Klimawandel und dem Wasser.

Am Ufer eines Gebirgssees, jemand schöpft Wasser mit der Hand, ein dünnes Rinnsal tropft von den Fingern zurück in den See und auf einen runden großen Stein.
Foto: Swissmediavision / iStock

Der seltsam anmutende Klang sei es, der „Gramatneusiedl“ zum Synonym für einen Ort am Ende der Welt gemacht habe. Das liest man, wenn man das kleine Museum Marienthal an der Hauptstraße 64, Gramatneusiedl im Osten Niederösterreichs besucht. In knapp 15 Minuten habe ich diesen Ort mit dem Zug erreicht, knapp fünf Stunden wird es dauern, sich Wien zu Fuß wieder anzunähern. Das sei eine gemütliche Tagesdistanz, finden die Wanderers of Changing Worlds, die diese 19 Kilometer ihrer ca. 9.000 Kilometer langen Reise mit mir teilen. Bunt heben sich unsere Regenjacken vom dunklen Horizont ab, geduldig schmatzt der Schlamm unter den Schuhen. Der Wind bläst uns, ungeschützt zwischen freien Feldern, die Worte von den Lippen. Mal leise, mal laut klopft der Regen auf die Kapuzen, bahnt sich seinen Weg über die Schultern bis an die Fingerspitzen und versucht unaufhörlich, in unsere Schuhe zu gelangen. Eine Wanderung, auf der Wasser allgegenwärtig ist.

Foto: Climate Walk
Das ist nicht nur in der niederösterreichischen Ebene so: „Wasser war in allen Ländern ein Thema. Nur eben auf verschiedene Weisen“, erklärt mir Forschungsprojektverantwortliche Eva-Maria Holzinger . Um die Extreme ging es dabei, um zu viel oder zu wenig Wasser: Während im Norden, in Norwegen, den Niederlanden und Belgien, das Übermaß die Erzählungen kennzeichnet, waren in Portugal, Spanien, Italien und dem Burgenland die große Trockenheit zu spüren.

1 - PORTUGAL

„In Portugal haben die Menschen das Gefühl, dass das Wasser ungleich verteilt wird“, berichtet Merlin Hochmeier, der diese Strecke mitbegleitet hat. Hotels und Golfreservate würden bevorzugt, die lokale Bevölkerung hingegen benachteiligt – das Thema sei also Klimagerechtigkeit. Die langen trockenen Hitzeperioden verschlimmern die Wasserknappheit, aber auch die Nutzung des Wassers, das da ist, brächte Probleme: Zum Beispiel am Fluss Tejo, dem längsten Fluss der iberischen Halbinsel. Er entspringt östlich von Madrid und fließt bis nach Lissabon. Die Wassernutzung ist zwar vertraglich geregelt, jedoch verschmutzen und erwärmen Atomkraftwerke sowie die spanische Zellstoff- und Papierindustrie den Fluss so stark, dass er sich in einigen Jahren durch starkes Bakterienwachstum grün oder schwarz färbe, so die Anwohner*innen.

„Die Menschen, die wir am Weg getroffen haben, haben mich vielfach überrascht. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen die sozial-ökologischen Veränderungen in ihrem unmittelbaren Umfeld bereits so stark wahrnehmen. Was mich etwas ernüchtert hat, war, dass die meisten einen individuellen Ansatz zur Lösung des Klimaproblems verfolgen – zum Beispiel lokal einzukaufen oder weniger Auto zu fahren. Das ist lobenswert, aber ich fand es trotzdem schockierend, dass fast niemand der Meinung war, dass dieses Problem politisch ist – dass es auch damit zu tun hat, welche Partei man wählt, dass man auf Demos geht. Nichtsdestotrotz hat mir das Wandern durch widerspenstige natürliche und soziale Umgebungen, die unzähligen Gespräche, die ausgeprägte Solidarität und ausgeprägte Handlungsbereitschaft vieler Menschen wieder mehr Hoffnung auf Veränderungen und sehr viel Motivation gegeben.“

Markus Lerchbaum, zuständig für Medien- und Kunstprojekte des Climate Walk

2 - SPANIEN

„Die Wiesen waren weniger satt, weniger grün. Dass dem Boden Nässe fehlt, spürt man an den Füßen, wenn man barfuß durch das Gras geht“, beschrieben Bewohner*innen in Katalonien die Wasserknappheit der letzten Jahre – denn seit über 30 Monaten fällt dort zu wenig Regen. Wenig Schnee habe es im vorigen Winter gegeben. 2022 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und während man im heißen, trockenen Klima besonders viel trinken soll, wird in einigen Gemeinden die Wasserversorgung der Haushalte beschränkt. Auch die Landwirt*innen spüren die Wasserknappheit durch die verspätete Ernte und entsprechende Ausfälle. Die Böden leiden unter der Trockenheit und bersten unter der heißen Sonne. Gleichzeitig gäbe es wenig Einschränkungen und einen wenig verantwortungsvollen Umgang mit Wasser im Tourismus – Golfplätze verbrauchen beispielsweise allein zehn Prozent des Wassers in Katalonien.

3 - ITALIEN

„Schon im Februar und März, als wir Italien durchquerten, waren viele ausgetrocknete Flussbette zu sehen“, erzählt Martina Perzl, Vorsitzende der Wanderers of Changing Worlds. Der längste Fluss Italiens, der Po, führte im Frühjahr bereits so wenig Wasser wie im vergangenen Sommer – auf Höhe der Provinz Cuneo etwa nur 30 Prozent der üblichen Wassermenge. Zu wenig Regen im Herbst und Winter, zu wenig Schnee in den Alpen lassen den 650 Kilometer langen Fluss verkümmern. Von zu wenig Schnee erzählten auch die Bewohner*innen der italienischen Voralpen – und von den Waldbränden, die diese starke Trockenheit verursache.

Eine schematisierte Europakarte in der verschiedene klimatische Zonen verschieden eingefärbt sind.
Quelle: Europäische Umweltagentur, Europäisches Parlament

Arktis

Zwei stilisierte Blätter.

Deutlich höherer Temperaturanstieg als im globalen Durchschnitt
Weniger Eis bedeckt das Nordpolarmeer und Grönland
Rückgang von Permafrostgebieten
Biodiversitätsverlust

Ein schwarzer Kreis mit einem weißen Eurozeichen.

Neue Möglichkeiten natürliche Ressourcen zu nutzen und Güter auf dem Seeweg zu transportieren

Ein schwarzes Herzsymbol auf weißem Hintergrund.

Risiken für die Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung

Atlantikraum

Zwei stilisierte Blätter.

Mehr Starkregen
Zunahme der Flussströme
Erhöhtes Überschwemmungsrisiko
Höhere Schäden durch Winterstürme
Mehr Schlechtwetter-Perioden

Ein schwarzer Kreis mit einem weißen Eurozeichen.

Weniger Heizenergiebedarf

Boreale Zone

Zwei stilisierte Blätter.

Mehr Starkregen
Weniger Eis und Schnee
Mehr Niederschlag und höhere Flussströme
Schnelleres Wachstum der Wälder, mehr Schädlinge
Mehr Schäden durch Winterstürme

Ein schwarzer Kreis mit einem weißen Eurozeichen.

Höhere Ernteerträge
Weniger Heizenergiebedarf
Mehr Möglichkeiten Wasserkraft zu nutzen
Mehr Sommertourismus

Kontinentale Region

Zwei stilisierte Blätter.

Mehr Wetterextreme
Weniger Niederschlag im Sommer
Erhöhtes Hochwasserrisiko
Erhöhte Waldbrandgefahr

Ein schwarzer Kreis mit einem weißen Eurozeichen.

Wirtschaftlicher Wert der Wälder sinkt
Höherer Energiebedarf für Kühlung

Gebirgsregionen

Zwei stilisierte Blätter.

Höherer Temperaturanstieg als im europäischen Durchschnitt
Gletscherrückgang
Pflanzen und Tiere wandern in höhere Regionen ab
Große Gefahr des Artensterbens
Zunahme von Schädlingen
Mehr Steinschläge und Erdrutsche

Ein schwarzer Kreis mit einem weißen Eurozeichen.

Auswirkungen auf die Wasserkraft
Weniger Skitourismus

Mittelmeerraum

Zwei stilisierte Blätter.

Mehr Hitzewellen
Weniger Niederschlag, niedrigere Flussströme
Häufigere Dürreperioden
Biodiversitätsverlust
Erhöhte Waldbrandgefahr

Ein schwarzer Kreis mit einem weißen Eurozeichen.

Negative Auswirkungen auf die meisten Wirtschaftssektoren
Wasserverknappung
Steigender Wasserbedarf in der Landwirtschaft, niedrigere Ernteerträge
Erschwernisse in der Viehwirtschaft und der Energieerzeugung
Höherer Energiebedarf für Kühlung
Weniger Sommertourismus – möglicherweise mehr in anderen Jahreszeiten
„Spillover-Effekte“

Ein schwarzes Herzsymbol auf weißem Hintergrund.

Mehr Todesfälle durch Hitzewellen
Mehr Krankheiten durch Insekten

Küstenzonen und regionale Meere

Zwei stilisierte Blätter.

Anstieg des Meeresspiegels
Höhere Oberflächentemperaturen
Ozeanversauerung
Meereslebewesen wandern nach Norden
Phytoplankton-Gemeinschaften verändern sich
Mehr tote Meeresgebiete

Ein schwarzer Kreis mit einem weißen Eurozeichen.

Risiken und Chancen für die Fischerei

Ein schwarzes Herzsymbol auf weißem Hintergrund.

Mehr wasserübertragene Krankheiten

4 - TSCHECHIEN

„Im Schatten der beiden größten tschechischen Braunkohle-Wärmekraftwerke Počerady und Chvaletice habe ich wie selten zuvor ein tiefes Gefühl der Beklemmung empfunden“, erzählt Martin Thalhammer, der im Team für die Routenplanung zuständig war. Počerady ist mit einer Leistung von 1 Gigawatt eines der leistungsstärksten Kohlekraftwerke in Tschechien und mit jährlich 4,5 Millionen Tonnen gleichzeitig die größte Quelle von CO2-Emissionen: „Wer nach wie vor der Meinung ist, der Mensch habe keinen Einfluss auf das Klima, dem/der empfehle ich eine Reise zu besagten Kraftwerken. Wenn die Dämpfe aus den Kühltürmen den Himmel verdunkeln, wird einem relativ rasch klar, dass es so nicht weitergehen kann.“

Ich war am allermeisten davon fasziniert, wie die Menschen, die wir unterwegs getroffen haben, aus der Hoffnungslosigkeit Hoffnung schöpfen, die sie ermächtigt, aktiv zu werden und zu handeln.
Madli Oras, aus dem Bildungsprojekt-Team des Climate Walk

NORWEGEN

Mitten in Norwegen, kein Handynetz, 20 Kilo auf dem Rücken und die Füße knöcheltief im Schlamm. „Dann ist der erste Fluss gekommen, und er war riesig. Frisches Schmelzwasser. Wir waren kurz unsicher, was wir machen sollen. Wir waren bereits 30 bis 40 Kilometer von der letzten Ortschaft entfernt und über 20 Kilometer von unserem Ziel“, beschreibt Anna Schreinlechner, Ko-Vorsitzende der Wanderers, eine Begegnung mit Wasser im Norden Europas. Es sollte an diesem Tag nicht die letzte Flussdurchquerung mit Bauchweh sein. Nach einem unbeständigen Winter kam die Schneeschmelze spät und heftig – während es an der Westküste gleichzeitig 30 Prozent mehr regnete, ging den Kraftwerken im Süden des Landes das Wasser aus. Die Schneefelder, die Wetterextreme waren aber nicht die einzigen Auffälligkeiten, erzählt Martin Thalhammer: „Besonders schockiert hat mich quer durch Europa der Zustand der Wälder und bestimmter Baumarten. Ich habe nicht damit gerechnet, schon auf Höhe Trondheim auf größere Mengen an Fichten-Borkenkäferschadholz zu treffen. Auch das Eschentriebsterben dürfte an Fahrt aufgenommen haben – es war im südlichen Norwegen, in Schweden, Deutschland und Tschechien immer wieder zu sehen.“

ANLEITUNG:

SILENT SOLO WALK

Diese kleine Wanderung soll in Stille geschehen. Probiere, in den nächsten zwei bis drei Stunden nicht zu kommunizieren – online oder offline. Achte zu Beginn darauf, dass du deine eigene Lautstärke weiter und weiter senkst, bis du in der Stille angekommen bist, und versuche das Gleiche mit deiner Gehgeschwindigkeit – werde langsamer und finde danach deine eigene Geschwindigkeit. Während des Spaziergangs kannst du dir Notizen zu folgenden Aufgaben machen:

1. Wie geht es mir vor dem Walk? Wie ist mein persönliches Wetter heute und meine Wettervorhersage für den Walk? (ca. 15 Minuten)

2. Gehe ca. 45 Minuten in Stille und konzentriere dich auf das Gehen und auf deinen Körper. Spüre den Untergrund. Was machen meine Füße? Wie fühlt sich das stille Gehen an? Was macht mein Körpergefühl? Was macht das Gehen mit mir?

3. Was sehe, höre, rieche oder fühle ich? Bleibe an einem selbstgewählten Ort für 10 Minuten stehen und nimm deine Umwelt wahr. Schreibe auf, was du wahrnimmst. Setze deinen Spaziergang danach fort.

4. Nimm dir 45 Minuten und überlege dir, wie deine Beziehung zu deiner natürlichen Umwelt ist. Was bedeutet sie für dich? Welche Beziehung hast du zu ihr? Suche dir ein Objekt am Weg, mache ein Foto davon oder zeichne ein Bild, welches deine Beziehung zur Natur/Umwelt widerspiegelt.

5. Am Weg oder als Reflexion zu Hause: (Wie) Hat sich dein persönliches Wetter seit dem Start des Walks verändert? Was bedeutet das Gehen für dich? Warum gehst du? Wie hat sich die Stille angefühlt? Welche Beziehung hast du zu deiner Umwelt? (Wo) Siehst du (Klima-)Wandel?

CLIMATE WALK

Foto: Climate Walk

Ein Projekt der Wanderers of Changing Worlds

Vom Nordkap in Norwegen und vom Cabo da Roca in Portugal nach Wien: Auf zwei Routen waren die Wanderers des Climate Walk zehn bzw. acht Monate unterwegs. Im April 2023 haben sie ihr gemeinsames Ziel Wien erreicht – und viele Geschichten zu erzählen.

Der Walk ist Forschung-, Bildungs- und Medienkunstprojekt in einem: Er dreht sich um die Frage, wie Menschen den Klimawandel und Auswirkungen erleben, und erfasst Geschichten, Landschaften und Praktiken in verschiedenen europäischen Regionen. In Zusammenarbeit mit Vereinen, Universitäten und Schulen haben die Wanderers Workshops organisiert, in denen vor Ort über Probleme, die durch den Klimawandel verursacht werden, ihren Kontext und mögliche Lösungen diskutiert wurde. Darüber hinaus arbeiteten die Wanderers mit lokalen Künstler*innen zusammen, um die Vielfalt der gelebten Erfahrungen der Menschen mit dem Klimawandel einzufangen.

www.climatewalk.eu

Routen zum Nachwandern finden Sie hier.

Michaela R. Reisinger

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