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Das Glutamat der Sprache

Genussgrübeleien von Jürgen Schmücking

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Möglicherweise bin ich zu sensibel. Ich kann nicht genau sagen, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat, noch wann das genau war. Tatsache ist, dass es mich massiv stört, wenn ich in kulinarischen Texten Wörter wie etwa „lecker“, „Schmankerl“, „Geschmacksexplosion“ oder „erlesene“ Weine lese. Eine Kombination davon könnte mich einem Wutanfall nahe bringen.

An oberster Stelle dieser watchlist steht „lecker“. In meiner Kindheit und Jugend kannten wir das Wort nicht. Oder wir kannten es, verwendeten es aber nicht. Es war einfach ein Wort aus einer anderen Sprache. Vermutlich ist es der Revolution der Medienwelt geschuldet, dass es soweit gekommen ist. Früher gab es nur FS 1 und FS 2, und man hätte eine Woche durchaus den Fernseher laufen haben können, ohne ein einziges „lecker“ zu hören. Drehen Sie Ihren Flatscreen heute auf. Ich garantiere Ihnen, Sie schaffen keine 10 Minuten. Wo es um Essen, Trinken, ums Genießen generell geht, hat sich das Wort festgekrallt wie eine Zecke. Kochsendungen würden ohne „lecker“ nur mehr halb so lange dauern, manche führen das Wort sogar im Titel, wie beispielsweise Lafer, Lichter, lecker. Magazinartikel, Produktbeschreibungen, Foodblogs, Werbung. Lecker ohne Ende. Es muss etwas geschehen. Dabei ist das Problem keinesfalls ein deutsch-österreichisches. OK, ein klein wenig schon. Wir (Österreicher) haben es nicht erfunden, und es hat in unserer Sprachtradition auch keinen Platz. Vieles von dem, was sprachlich von unseren teutonischen Nachbarn kommt, ist für uns eine Herausforderung. Wirsing, Rote Bete, Schorle, ...

Trotzdem. Das eigentliche Problem des Begriffs ist, dass er für vieles steht und genau deshalb nichts bedeutet. „lecker“ beschreibt im besten Fall, dass etwas (individuell) gut schmeckt, ohne Auskunft darüber zu geben, warum. Streng genommen ist es das Glutamat der Sprache. Wenn etwas wohlig, süss, vollmundig daherkommt, sagen wir es sei „lecker“. Linguistisches Umami, dem alles überdeckenden fleischigen „Wohlgeschmack“ glutaminsäureverwöhnter Gaumen

Dabei haben wir Alternativen. Um die Qualität selbst auszudrücken, könnten wir gut, delikat oder köstlich verwenden. Der Geschmack ließe sich durch die unterschiedlichen Ausprägungen der Basisgeschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter beschreiben. Für die Konsistenz haben wir Begriffe und dann gibt es noch die Temperatur, die Farbe und die Vielfalt. Essen und Trinken sind sinnliche Kategorien, die sich auch sinnlich beschreiben lassen. Dafür braucht es ein wenig Phantasie und den Willen, nicht alles auf einen Begriff zu reduzieren.

Neulich hat sich am Nachbartisch in einem Restaurant ein Gast beschwert. Was ihm nicht gepasst hat, war leider nicht zu eruieren. Das Backhendl war einfach nur „übel lecker“.