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Cannabis gegen chronische Schmerzen

Cannabis hat als vermeintliche Einstiegsdroge einen schlechten Ruf. Zu Unrecht! Tatsächlich handelt es sich dabei um eine hochwirksame Substanz mit breitgestreuter, medizinischer Wirkung. Der Allgemeinmediziner Kurt Blaas behandelt Patienten aus ganz Österreich erfolgreich mit synthetischen Cannabinoiden. Im Interview mit Lebensart spricht er über Einsatzgebiete, Wirkungsmechanismen und medizinische Relevanz.

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Foto: Dr. Kurt Blaas Foto: Dr. Kurt Blaas

Bei chronischen Schmerzen funktioniert das Schmerz-Kontrollzentrum nicht mehr ordnungsgemäß. Inwiefern wirkt Cannabis therapeutisch auf diese Fehlsteuerung ein?

Dr. Kurt Blaas: Cannabinoide aktivieren sogenannte Cannabinoid-Rezeptoren im Körper. Bisher sind zwei Cannabinoid-Rezeptoren beschrieben worden – CB1 und CB2. Der Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1) greift direkt auf die Schmerzübertragung und die Verarbeitung von Schmerzen ein. Cannaboidide sind in der Lage, konditionierte Schmerzen auszumerzen. So kann das Schmerzgedächtnis des Körpers gelöscht werden. CB2 aktiviert das Immunsystem und findet unter anderem bei Morbus Chron und Multiple Sklerose Verwendung. Cannabidoide sind hochwirksam, dabei aber deutlich nebenwirkungsärmer als herkömmliche Medikamente.

Wann und in welcher Form darf Cannabis in Österreich als Medikament verabreicht werden?

Cannabis in Substanz darf in Österreich überhaupt nicht als Medikament verwendet werden. Im medizinischen Bereich kommen sogenannte Mono- und Duocannabinoide zum Einsatz - zum einen THC, zum anderen CBD. THC wird auf synthetischem Weg aus natürlichem Cannabis herausgelöst und gereinigt. Es ist als Dronabinol verschreibungspflichtig erhältlich. Die zweite Substanz ist das CBD- eine chemische Vorstufe zum THC. CBD ist ein Cannabidiol mit phänomenaler Wirkung. Es ist nicht psychoaktiv, wirkt jedoch entzündungshemmend und antikarzinogen. Das bedeutet: Es hat eine sehr starke immunmodulierende Wirkung, zerstört Krebszellen und verhindert die Ausbreitung von Metastasen. 

Kritiker führen den Abhängigkeitsaspekt als Argument gegen eine Legalisierung häufig an. Ein Schmerzmittelkonsum geht bei häufiger Verwendung jedoch mit derselben Problematik einher. Wie könnte ein sinnvoller Umgang mit Cannabisprodukten aussehen und was würden Sie sich in dem Kontext aus ärztlicher Sicht wünschen?

Ich würde mir einen sinnvollen Umgang damit wünschen. Cannabis ist eine wirksame Substanz zur Entspannung. Damit ist eine Selbstbehandlung auf hohem Niveau möglich. Eine psychische Abhängigkeit von Cannabinoiden entsteht nur dann, wenn sie hochdosiert über einen langen Zeitraum eingenommen wird. Aus medizinischer Sicht wäre es wünschenswert, dass natürliches Cannabis - neben THC und CBD - in der Medizin Verwendung finden darf. Warum? Monocannabinoide können nie so komplex wie natürliches Cannabis wirken, das bis zu 70 Cannabinoide beinhaltet. Damit könnte man auch Patienten helfen, die schulmedizinisch austherapiert sind, z.B. Schlaganfallpatienten, deren Nervensystem nicht mehr funktioniert.

Das Interview führte: Sylvia Neubauer

Infos und Kontakt: www.ordinationblaas.at

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