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ArtistInnen: Mein Papa kommt

„Mein Papa wohnt am Bodensee. Er besucht mich jedes Wochenende. Aber das geht nur im Sommer. Da kann er im Auto schlafen. Kannst du da was machen?“. Der Wunsch des neunjährigen Sven brachte Annette Habert auf die Idee das Projekt „Mein Papa kommt“ zu entwickeln.

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Foto: Flechtwerk 2+1g GmbH/Cecilia Kramer Foto: Flechtwerk 2+1g GmbH/Cecilia Kramer

Was brauchen Kinder, wenn sich Eltern trennen?

Annette Habert: Kinder brauchen Vertrauen in die Tragfähigkeit von Beziehungen. Das gilt erst recht nach der Erfahrung der Trennung ihrer Eltern. Unsere gesellschaftlichen Strukturen sind jedoch nicht auf die damit oft entstehende Multilokalität von Familie eingestellt. Wir ermöglichen Vätern und Müttern tragfähige Beziehungen zu ihren Kindern – trotz großer räumlicher Entfernungen.

Vor welchen Problemen stehen Eltern, die weit voneinander entfernt leben?

Habert: Viele Väter versuchen trotz eines Anreisewegs von 500km sehr engagiert, Kindern Bindungssicherheit zu vermitteln. Aber die hohen Kosten für Anreise und Übernachtung können sich viele nicht leisten – die Gefahr, dass die Beziehung zum Kind abbricht, ist hoch. Mit unserem Besuchsprogramm unterstützen wir beide Elternhäuser des Kindes, wertschätzend, ganz pragmatisch und sorgen so für die Bindungssicherheit von Kindern auch in multilokalen Trennungsfamilien.

Wie sieht das Angebot von „mein Papa kommt“ aus?

Habert: Wir bieten Eltern kostenfreie Übernachtungsmöglichkeiten am Wohnort des Kindes, ein „Kinderzimmer auf Zeit“ und individuelles Elterncoaching zur Gestaltung des Umgangs.

Kinderzimmer auf Zeit? Wie kann man sich das vorstellen?

Habert: Kooperationspartner wie Kindergärten oder Kindertagesheime bieten am Wochenende ihre freistehenden Räume an. Hier kann das Kind mit seinem Papa oder seiner Mama spielen, basteln, kuscheln – fast wie zu Hause.

Was tun die GastgeberInnen und welche Regeln gelten für die Gäste?

Habert: Sie bieten dem Elternteil eine kostenfreie Übernachtungsmöglichkeit am Wohnort des Kindes. Bestimmte Regeln für die Gastfreundschaft sind einzuhalten, wie z.B. der Verzicht auf Alkohol und Zigaretten, Anreise des Gastes bis 20.00 Uhr, bis zu zwei Übernachtungen. Gast und Gastgeber gestalten aber auch ganz individuelle Vereinbarungen. So kann bei Gastgebern mit viel Platz auch oft das besuchte Kind mitübernachten.

Gibt es auch GastgeberInnen in Österreich?

Münderlein: In Österreich suchen wir überall, wo Kinder leben, noch Gastgeber und darüber hinaus auch Kooperationspartner für „Kinderzimmer auf Zeit“. Bei den österreichischen Ämtern, Gerichten und Beratungsstellen scheint unser Angebot noch nicht bekannt zu sein. In der Schweiz und Italien haben sich die positiven Erfahrungen unserer Eltern schon mehr rumgesprochen. Von dort reisen auch schon Väter nach Deutschland zu ihren Kindern und übernachten dann bei Flechtwerk-Gastgebern.

Kann „mein Papa kommt“ auch von Müttern in Anspruch genommen werden?

Münderlein: Ja, selbstverständlich! Für uns zählt, dass jedes Kind sich über das Zusammensein mit seinem anderen Elternteil freut, insbesondere wenn das nach der Trennung nicht täglich möglich ist.

Das Besuchsprogramm „mein Papa kommt®“

Aus der Initiative von Dipl.-RelPäd. Annette Habert wurde 2012 mit Dipl.-Soziologe Jobst Münderlein die gemeinnützige Flechtwerk 2+1 GmbH gegründet, die das Besuchsprogramm „mein Papa kommt®“ organisiert. Es ermöglicht Vätern und Müttern tragfähige Beziehungen zu ihren Kindern zu erhalten – trotz großer räumlicher Entfernungen. Pro Jahr werden gut 100 Eltern betreut, die nach der Trennung meist einen Anreiseweg von 500km zu ihrem Kind haben. Annette Habert wurde aufgrund der Bedeutung der Initiative 2015 in das weltweite Sozialunternehmer-Netzwerk von Ashoka aufgenommen. www.mein-papa-kommt.at

Autorin: Roswitha M. Reisinger

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